Tiger Woods bewegt sich seit Jahren an der Grenze der Invalidität. Trotzdem hält er mit den weltbesten Golfprofis mit. Am US Masters hat er zu Beginn eine Spitzenrunde abgeliefert. Was kommt jetzt?
Ärztlichen Rat in den Wind schlagend, nahm Tiger Woods die Strapazen von vier Runden im Augusta National Golf Club auf sich. Das rechte Bein, das er sich nach dem Autounfall vom Februar 2021 beinahe hätte amputieren lassen müssen, schmerzte unentwegt in den fast 20 Stunden, die er auf dem Platz verbrachte. Woods sagte, dass er es genau so erwartet habe. Starke Schmerzen spürte er besonders im rechten Fuss, der bei dem Unfall regelrecht zertrümmert worden war. Den 47. Platz, den er im erlesenen Feld der besten 90 Golfer belegte, darf als eine von Woods' grössten Leistungen angesehen werden.
Tiger Woods schaute schon immer in die Zukunft, das tut er auch jetzt. Ein Zauderer und ein Pessimist war er nie. So wird er vom Comeback vor allem die Spitzenrunde in seinen Gedanken behalten, die ihm zu Beginn glückte. An der US PGA Championship im Mai könnte es schon zu zwei derart prächtigen Runden reichen, am US Open im Juni zu drei. Dann könnte der Sieger des British Open im Juli Tiger Woods heissen.
Nur das Bein und der Fuss könnten ihn stoppen, aber kaum das Alter von 46 Jahren. Golfprofis leben länger. Der Amerikaner Tom Watson gewann 2009 mit 59 Jahren um ein Haar zum sechsten Mal das British Open. Er unterlag seinem Landsmann Stewart Cink erst im Stechen.
Das Warten auf den Nachfolger
Als Tiger Woods 1996 seine Profikarriere startete, spielte Jack Nicklaus, der «Goldene Bär», mit damals 56 Jahren nur noch selten Turniere. Die Karrieren der beiden grössten Golfer haben sich, bedingt durch den Altersunterschied, kaum überschnitten. Nicklaus gewann 18 Turniere auf der Stufe Grand Slam, Woods 15. Woods triumphierte Mal für Mal in einer Epoche, als die Leistungsdichte im Weltgolf höher war als zu Nicklaus' besten Zeiten.
Bis heute hat kein anderer Anstalten gemacht, ähnlich erfolgreich zu werden wie Nicklaus und Woods. Woods' Nachfolger wird gesucht, gefunden ist er nicht. Sergio Garcia wurde als «Europas Antwort auf Tiger Woods» apostrophiert, als er 1999 kometenhaft aufstieg. 23 Jahre später hat der Spanier einen einzigen grossen Titel im Palmarès, jenen vom US Masters 2017.
Rory McIlroy, das Wunderkind aus Nordirland, gewann in den ersten sieben Jahren seiner Profi-Laufbahn vier Majors. Das ist sehr viel. Aber seit mehr als sieben Jahren ist er auf diesem Niveau sieglos. Brooks Koepka gewann zwischen Juni 2017 und August 2019 je zweimal das US Open und die US PGA Championship. Seither wartet er auf den fünften grossen Titel, mit dem er erst einen Drittel von Woods' Ausbeute erreichen würde.
Eventuell Scottie Scheffler?
Der frische US-Masters-Champion Scottie Scheffler spielt in diesem Frühling eine Form aus, wie man sie nur in Woods' besten Jahren antraf. In Augusta errang er seinen vierten Turniersieg 2022. Aus heutiger Sicht ist dem 25-Jährigen aus Dallas alles zuzutrauen. Auch dass er sich als Dritter im Bunde zu Nicklaus und Woods gesellt.