Auch am 3. Tag der Tour de Suisse sticht der Schweizer Trumpf nicht. Mit dem Sieg vor Augen wird Marc Hirschi 600 Meter vor dem Ziel vom Feld gestellt. Für den Berner ist es eine verpasste Chance.
Es kommt nicht mehr häufig vor, dass Marc Hirschi in einem Rennen dieser Grössenordnung seine Freiheiten bekommt. In seinem Team UAE Emirates, eine Ansammlung von Stars und jungen Talenten, die auf bestem Weg dazu sind, solche zu werden, muss der Tour-de-France-Etappensieger und WM-Dritte von 2020 nicht selten hinten anstehen.
Am Dienstag bot sich Hirschi eine dieser wenig gewordenen Chancen, auf höchstem Level zu zeigen, zu was er noch immer zu leisten fähig ist. Das coupierte Etappenfile in Rüschlikon war wie geschaffen für einen starken Puncher wie ihn.
Gute Beine alleine reichen nicht
Und Hirschi nutzte die Bühne. Bei noch drei verbleibenden Kilometern greift er im zweitletzten Anstieg «aus Instinkt» an und bringt in der kurzen Abfahrt zur letzten, steilen Rampe schnell ein paar Sekunden zwischen sich und die Konkurrenz. «Ich war überrascht, dass das Loch so gross war», sagt er später.
Einen Moment lang sieht es gut aus für den Berner. «Ich hoffte, dass es hinten etwas unorganisiert ist und ich davon profitieren kann.» Doch seine Hoffnungen zerschlagen sich. In der Schlusssteigung geht ihm der Saft aus und das Feld rauscht 600 Meter vor dem Ziel an ihm vorbei. «Ich bin voll ins Laktat reingefahren. Es wäre besser gewesen, wir wären zu zweit oder zu dritt vorne gewesen, dann hätten wir uns abwechseln können.»
Während der erst 21-jährige Thibau Nys den Bergaufsprint meistert, fährt Hirschi als 54. mit 39 Sekunden Rückstand auf den belgischen Sieger über die Ziellinie. Ohne jegliche Unterstützung seines Team lag an diesem Tag nicht mehr drin, oder? «Ich habe es probiert. Meine Beine waren gut. Doch vielleicht hätte ich besser auf den Sprint gewartet», werweisst Hirschi. Er habe jedoch gewusst, dass «noch schnellere Fahrer wie Bryan Coquard (der Sprintsieger vom Montag – Red.) dabei waren. Und gegen solche Fahrer wird es im Sprint schwierig».
Aufgeschoben aber nicht aufgehoben?
Für Hirschi ist es eine verpasste Chance, seine wohl letzte auf einen Etappensieg an der diesjährigen Landesrundfahrt, die auf allen weiteren Etappen bis zum finalen Bergzeitfahren am Sonntag in Villars-sur-Ollon auf starke Kletterer ausgelegt ist. «Man weiss nie was kommt, aber es wird sicher schwierig.» Fortan wird sich Hirschi deshalb wieder in den Dienst seines Teams stellen und versuchen, mit seiner Arbeit dem Portugiesen João Almeida oder dem Briten Adam Yates zum Gesamtsieg zu verhelfen.
Und wer weiss, vielleicht ist der Sieg am Ufer des Zürichsees nur aufgehoben: Am 29. September werden knapp zehn Kilometer Luftlinie entfernt auf dem Sechseläutenplatz die WM-Medaillen im Strassenrennen vergeben. Auf diesen Tag hat Hirschi seine gesamte Saison ausgerichtet.