An den Olympischen Spielen 1968 gewinnt Denis Oswald die Bronzemedaille und entdeckt eine neue Welt. Danach klettert der Neuenburger als Sportfunktionär immer höher – fast bis zum Präsidenten des IOC.
1968 ist in der Weltgeschichte ein Jahr von besonderer Bedeutung. In den USA gingen die Schwarzen auf die Strassen, um Gleichberechtigung einzufordern. Ihre Leitfigur und Verfechter eines friedlichen Wandels, Martin Luther King, wurde ermordet. Im Prager Frühling kämpften die Tschechoslowaken für mehr Freiheit. Und ein 21-jähriger Jusstudent reiste von Neuenburg nach Mexico City und entdeckte mit staunenden Augen eine neue Welt.
Auch 52 Jahre später – und selbst durch das Telefon – ist die Faszination von Denis Oswald noch deutlich herauszuhören. «Ich reiste erst zum zweiten Mal in einem Flugzeug, und zum ersten Mal ausserhalb Europas», erzählt er. «Und da war ich plötzlich in diesem völlig fremden Land. Die Hitze, der Enthusiasmus und die Warmherzigkeit der Menschen, das war eine ganz aussergewöhnliche Erfahrung für mich.»
Eine Erfahrung, die relativ unverhofft kam und auch sportlich äusserst erfreulich verlief. Der Vierer mit Steuermann war eines der Aushängeschilder des Schweizer Ruderns, doch dem zuvor erfolgreichen Boot mit vier erfahrenen Athleten lief es im Frühjahr 1968 nicht wie gewünscht. So beschloss der Verband einen Wechsel. «Sie dachten, dass ich als neuer Schlagmann etwas bringen könnte», erinnert sich Oswald, der zwischen acht und elf Jahre jünger war als seine neuen Teamkollegen. «Ich war nicht so kräftig wie die anderen, aber ich hatte eine gute Kondition und konnte einen guten Rhythmus vorgeben.» Die Integration des Jünglings und einzigen Romands verlief ohne Probleme. «Ich hatte mein Schuldeutsch und Hugo Waser sprach ziemlich gut Französisch», erklärt Oswald lachend.
Als Team zusammengewachsen
In diversen Trainings wuchsen die fünf – neben Oswald und dem Nidwaldner Waser gehörten der Basler Peter Bolliger, der Glarner Fritz Grob und Steuermann Gottlieb Fröhlich zum Team – zusammen. Da die Olympischen Spiele wegen der mexikanischen Sommerhitze erst im Oktober stattfanden, blieb genügend Zeit. Die letzten zwei Wochen vor dem Abflug trainierten die Schweizer Ruderer in der Höhe von St. Moritz. «Wir massen uns meist mit dem Doppelzweier von (Melchior) Bürgin und (Martin) Studach. Unsere Boote hatten ungefähr das gleiche Tempo, wir konnten gut mithalten. Von ihnen erwartete man eigentlich die Schweizer Medaille.»
Bürgin/Studach waren zuvor Welt- und Europameister, doch nach dem Vorlauf erlitt Studach in der Höhe von Mexiko (2300 Meter über Meer) einen Kreislaufkollaps. «Wir hingegen hatten keinen grossen Druck», erinnert sich Oswald. Die Schweizer waren zwei Wochen vor ihrem Wettkampf angereist, und der Olympia-Neuling genoss erst einmal das Leben im Athletendorf. «Ich war fasziniert. Die Begegnungen mit Leuten anderer Kultur und Hautfarbe waren für mich so viel wert wie die Medaille.» Als es aber um eben diese geht, ist Oswald voll da.
Im Final überholen die Schweizer auf den letzten 500 Metern die Italiener und schliessen fast noch zu den zweitplatzierten Ostdeutschen auf. Gut vier Zehntel fehlen zu Silber, fünf Zehntel Vorsprung auf die Italiener bringen aber Bronze. «Die Erleichterung, als das Resultat feststand, war gross, unsere Anstrengungen wurden belohnt.» Beim Empfang in Neuenburg säumen gemäss Zeitungsberichten rund 20'000 Leute die Strassen.
Politische Dimensionen
Zuvor sog Oswald aber nochmals die Atmosphäre im olympischen Dorf auf. Der angehende Rechtsanwalt war sich der politischen Dimensionen durchaus bewusst. «Wir hatten schon mitbekommen, wie die Schwarzen in Amerika für ihre Rechte kämpften», erzählt das langjährige Mitglied des IOC. «Und tschechoslowakische und sowjetische Sportler machten jedes Mal einen grossen Bogen, wenn sie die anderen sahen.»
Die Magie von Mexiko liess sich für Oswald nicht wiederholen. 1972 in München und 1976 in Montreal verpasste er mit neuen Teamkollegen zweimal als Achter den Final. «Es war nicht mehr die gleiche Entdeckung», stellt er fest. «Ich hatte in der Zwischenzeit viele internationale Wettkämpfe bestritten, die Warmherzigkeit der Leute war nicht die gleiche und auch die Chemie im Boot nicht so gut wie 1968. Es waren keine schlechten Resultate, aber nicht das, was wir erwartet hatten.»
Die Begeisterung für Olympia liess Oswald aber nicht mehr los. Seit 1991 ist der langjährige Präsident des Internationalen Ruderverbands Mitglied des IOC, von 2000 bis 2012 und nun wieder seit 2017 gehört er der IOC-Exekutive an. Vor sieben Jahren kandidierte er als IOC-Präsident, unterlag aber dem Deutschen Thomas Bach.