Mujinga Kambundji ist nach dem Gewinn der EM-Silbermedaille über 100 m zufrieden und frustriert zugleich. Sie weiss, dass sie in München eine grosse Chance vergeben hat.
Lange sah es nach einem Sieg für Kambundji aus, am Ende musste sie sich noch um fünf Tausendstel der Einheimischen Gina Lückenkemper geschlagen geben. Zwar nervte sie der knappe Rückstand etwas, sie sagte aber auch: «Es ist eine Medaille. Ich wusste, dass es eng wird. Es ist okay, wie es ist. Ich bin auch mit Silber zufrieden.»
Ganz tief in ihr drin dürfte sie sich jedoch mehr geärgert haben, als sie preisgab, da sie eine grosse Chance verpasst hat. Denn der Start glückte ihr vorzüglich und ihre vermeintlich grösste Konkurrentin um Gold, die als Titelverteidigerin angetretene Britin Dina Asher-Smith, litt an Krämpfen, weshalb sie schon nach wenigen Metern aus der Entscheidung fiel. Warum sie auf den letzten Metern einen deutlichen Vorsprung aus der Hand gab, dafür hatte Kambundji kurz nach dem Rennen keine Erklärung.
Mit 10,99 Sekunden blieb die 30-jährige Bernerin zum sechsten Mal in dieser Saison unter der 11-Sekunden-Marke. Das spricht für ihre Konstanz, jedoch lief sie bei ihrem im Juni erzielten Schweizer Rekord eine Zehntelsekunde schneller. An der WM im Juli in Eugene war ihre Zeit bei sämtlichen drei Einsätzen in der Königsdisziplin besser. «Es war nicht kalt, aber schon etwas frisch», sagte Kambundji. «Es ist niemand eine persönliche Bestleistung gelaufen, von daher ist die Zeit eher zweitrangig.»
200 m nun im Visier
War es schwierig, die Form nach der WM zu konservieren? «Im Grossen und Ganzen ist es gut gegangen. In der ersten Woche war Erholung angesagt.» Danach sei es darum gegangen, das Niveau zu halten, habe sie nicht mehr so viel gemacht. Kambundji holte zum sechsten Mal an internationalen Meisterschaften eine Medaille (In- und Outdoor), zum zweiten Mal in diesem Jahr nach Gold über 60 m an der Hallen-WM in Belgrad.
An Europameisterschaften im Freien war es ihr zweiter Podestplatz nach Bronze 2016 in Amsterdam. Gold fehlt also noch in ihrem EM-Palmarès. Diese Lücke will sie am Freitag über 200 m schliessen. Die Chancen dazu dürften nun grösser sein, jedenfalls steht hinter der Leistungsfähigkeit von Asher-Smith, der Nummer 1 in Europa über 200 m in dieser Saison, zumindest ein grosses Fragezeichen. Die drittbeste Europäerin über die halbe Bahnrunde in diesem Jahr, die Deutsche Corinna Schwab, weist eine um 46 Hundertstelsekunden schwächere Zeit aus als die Schweizerin. Kambundji freut sich jedenfalls sehr auf die zweite Chance im Olympiastadion in München: «Die Stimmung ist unglaublich.»