Der Schweizer Spielmacher Manuel Zehnder macht in dieser Saison einen grossen Leistungssprung. Er will nicht weniger als der beste Handballer der Welt werden.
Donnerstagmorgen am Hauptbahnhof von Düsseldorf, Manuel Zehnder schlendert mit seinen Teamkollegen zum Gleis 19. Die Schweizer reisen mit dem Zug nach Berlin, wo sie am Sonntag gegen Frankreich und am Dienstag gegen Nordmazedonien die letzten beiden Vorrundenspiele der EM-Endrunde in Deutschland bestreiten.
Die Stimmung ist selbstredend gedrückt nach der 14:27-Schlappe am Vorabend im Auftaktspiel gegen den Gastgeber. Manuel Zehnder besitzt wegen seiner Mutter auch den deutschen Pass und hatte daher die Qual der Wahl. Denn im Sommer 2022 erhielt er einen Anruf von Bundestrainer Alfred Gislason, der sagte, dass er in ihm einen interessanten Spieler sehe. Aufgrund des Bauchgefühls entschied sich Manuel Zehnder jedoch gegen Deutschland und für die Schweiz.
In seinem ersten EM-Spiel hätte Manuel Zehnder nur allzu gerne gezeigt, dass es der richtige Entscheid war. Doch kam auch der 24-jährige Regisseur nicht auf Touren. «Wir spielten viel zu statisch», bemängelt er. Aufgrund der klaren Verhältnisse konnte er die spezielle Atmosphäre im mit 53'586 Zuschauern ausverkauften Fussballstadion nicht richtig geniessen.
Topskorer der Bundesliga
Nichtsdestotrotz befindet sich Manuel Zehnder auf einem guten Weg. Nach einer schwierigen, aber lehrreichen ersten Saison in der Bundesliga bei Erlangen wurde er für diese Saison an den Ligakonkurrenten Eisenach ausgeliehen und blühte dort auf: Mit 147 Treffern in 19 Partien, davon 102 aus dem Spiel heraus, ist er aktuell der erfolgreichste Torschütze der Bundesliga. Das Magazin «Sport Bild» nannte ihn ein Torwunder. «Darüber mache ich mir nicht gross Gedanken, es ist aber natürlich eine schöne Bestätigung», sagt Zehnder im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Trainer in Eisenach ist der Schweizer Misha Kaufmann, mit dem er schon bei Suhr Aarau zusammengearbeitet hat. «Ich profitiere enorm von ihm, das Vertrauensverhältnis ist riesig», so Zehnder. Die beiden arbeiten auch neben dem Platz eng zusammen. Kaufmann legt grossen Wert auf den mentalen Aspekt, konkret auf die Visualisierung.
Überlässt nichts dem Zufall
Zehnder wendet diese Technik «eigentlich immer» vor dem Einschlafen an. «Momentan versetzte ich mich viel in hitzige Situationen hinein, versuche, in diesen einen ruhigen Kopf zu bewahren und die Übersicht zu behalten», erzählt Zehnder. Er verbindet dies mit einem Tape auf dem Handgelenk, auf dem er Spielzüge aufschreibt, «die mir in solchen Situationen Sicherheit geben sollen.»
Er führt auch Bücher über die Spiele, schaut sich diese «ein- bis zweimal» nochmals an. Beim Schlaf überlässt er ebenfalls nichts dem Zufall. Vor dem Einschlafen zieht er eine Blaulichtfilterbrille an, während der Nacht benutzt er ein Nasenpflaster. Und am Morgen sorgt ein Tageslicht-Wecker mit Vogelgezwitscher für ein sanftes Erwachen.
Zu seiner Detailversessenheit sagt der Druck liebende Zehnder: «Ich habe nichts anderes zu tun, habe viel Zeit, mich mit solchen Dingen zu beschäftigen.» Eine Nebenbeschäftigung braucht er aktuell nicht: «Ich finde es momentan cool, mich voll aufs Handball konzentrieren zu können.» Zehnder wohnt allein in Eisenach, «einem herzigen Städtchen, in dem nicht allzu viel gemacht werden kann». Ausserhalb des Vereins kennt er «fast keine» Leute.
Fürs Risiko belohnt
Zehnder kam durch seine Spielgruppenleiterin zum Handball. An dieser Sportart fasziniert ihn, dass sie «so viel vereint – Schnelligkeit, Dynamik, Cleverness. Es läuft immer etwas, das macht Spass.» Zehnder besuchte eine Sportschule und absolvierte danach ein Jahr das Sport-KV in Aarau. In der Folge wechselte er an die Minerva. Weil er dort nach einem Jahr Schule ein einjähriges Praktikum hätte machen müssen, brach er ab. «Ich war damals schon Bestandteil des NLA-Teams (von Suhr Aarau), das war nicht vereinbar mit dem Trainingspensum».
Das Risiko hat sich auf jeden Fall ausbezahlt, die sportliche Zukunft von Zehnder sieht mehr als rosig aus. Und sein Ziel ist alles andere als bescheiden: Er will der beste Handballer der Welt werden. Seine Traumdestination ist der FC Barcelona. Einerseits reizt ihn die Historie des Vereins, andererseits sei es eine sehr coole Stadt direkt am Meer.
Vergleich mit Andy Schmid nervt
Da Zehnder auf der gleichen Position spielt wie der fünffache Bundesliga-MVP Andy Schmid, wird er aufgrund seiner aktuellen Leistungen immer wieder mit dem zukünftigen Schweizer Nationaltrainer verglichen. «Mich mit 24 Jahren mit ihm zu vergleichen, ist utopisch. Wie er das Spiel liest, wie er mit dem Kreisläufer spielt, davon bin ich noch Welten entfernt. Ich möchte meinen eigenen Weg gehen und mir einen eigenen Namen machen».
Der nächste Schritt dazu wäre eine Topleistung gegen Olympiasieger Frankreich, am Sonntag der zweite Vorrundengegner der Schweiz. Denn die Schweizer würden noch so gerne bald wieder in den Zug steigen – die besten zwei Teams der Gruppe A bestreiten die Hauptrunde in Köln.