«Das stinkt» Mauro Schmids Triumph in Belgien erhitzt die Gemüter

Von Luca Betschart

20.6.2022

Mauro Schmid (rechts) jubelt mit Teamkollege und Tagessieger Fabio Jakobsen über seinen Gesamtsieg an der belgischen Rundfahrt.
Mauro Schmid (rechts) jubelt mit Teamkollege und Tagessieger Fabio Jakobsen über seinen Gesamtsieg an der belgischen Rundfahrt.
Bild: Getty

Mauro Schmid kürt sich am Sonntag in extremis zum Sieger der Belgien-Rundfahrt. Weil sein Team dabei aber mit allen Mitteln kämpft, werden Stimmen laut, die den Triumph des Schweizers nicht anerkennen wollen.

Von Luca Betschart

Kurz vor dem Ziel der letzten Etappe der Belgien-Rundfahrt sorgen drei Zwischensprints auf dem sogenannten «goldenen Kilometer», bei denen Bonifikations-Sekunden zu ergattern sind, für einen hochspannenden Showdown im Rennen um den Gesamtsieg. Der Schweizer Mauro Schmid hat gegen den zeitgleichen Tim Wellens zuerst das Nachsehen. Der Belgier entscheidet den ersten Sprint für sich und übernimmt virtuell die Führung. «Mir unterlief ein Irrtum. Da dachte ich schon, dass die Gesamtwertung verloren ist», schildert der Zürcher.

Doch Schmid kann den Aussetzer korrigieren und wenig später kontern – mit tatkräftiger Unterstützung seiner Quick-Step-Teamkollegen. Allen voran leistet Yves Lampaert Schützenhilfe, indem er Konkurrent Wellens vor dem zweiten Sprint anrempelt und wohl entscheidend behindert. Vor dem dritten Sprint wird Wellens gar von drei Quick-Step-Fahrern eingeklemmt und kann erneut nicht um die Bonussekunden mitsprinten.

Schmid dagegen ergattert sich drei Sekunden und macht den eingefangenen Rückstand so wieder wett. Wegen der besseren Zeit im Einzelzeitfahren jubelt der Schweizer am Ende über den Gesamtsieg, obwohl er nach den fünf Etappen zeitgleich mit Wellens im Ziel ankommt. Doch das Verhalten von Schmid und seinen Teamkollegen schlägt hohe Wellen.

Schwere Vorwürfe von Konkurrent Wellens

«Der erste Zwischensprint lief ideal und ich dachte, ich würde die Rundfahrt gewinnen. Aber da lag ich wohl falsch», sagt der zurückgebundene Wellens im Anschluss und fügt vielsagend an: «Ob man Lampaert disqualifizieren muss? Mir würde es jedenfalls nichts bringen, da ich dann noch immer hinter Schmid liegen würde. Klar ist, ohne Lampaert gewinne ich die Rundfahrt.»

Weniger dramatisch sieht Mauro Schmid den Zwischenfall, den er gemäss eigenen Aussagen gar nicht mitbekommt. «Und ich habe Yves auch nicht um so etwas gebeten», so der 22-Jährige. «Ich denke, beide Teams haben alles gegeben, um sich die Sekunden zu holen.» Der Beschuldigte selbst verteidigt sich: «Auf den TV-Bildern sieht es oft heftiger aus, als es ist. Ich denke, es war alles fair.» Die Renn-Jury teilt diese Ansicht allerdings nicht und disqualifiziert Lampaert nachträglich – ohne Auswirkungen auf den Kampf um den Gesamtsieg.

Zwei Ex-Fahrer schlagen Regelanpassung vor

«Das stinkt», klagt der ehemalige australische Radrennfahrer Robbie McEwen. «Die UCI-Regeln brauchen eine Klausel, die nicht nur zu einer Disqualifikation von Lampaert führt, sondern auch zu einer Strafe für den Fahrer, der von der unfairen Aktion eines Teamkollegen profitiert. Es ist ein Mannschaftssport.» Auch der ebenfalls schon zurückgetretene André Greipel fordert indirekt, dass Schmid der Gesamtsieg aberkannt wird: «Ein klares Beispiel für unfaires Verhalten. Meiner Meinung nach sollte es eine Regel geben, die letzten beiden Sprints nicht zu zählen.»

Gammenthaler: «Das war über der Grenze»

Auf Nachfrage von blue Sport stellt auch Experte Henri Gammenthaler klar: «Das war über der Grenze. Und das ist schade, weil es die Leistung von Mauro schmälert. Vielleicht hätte er diese Hilfe gar nicht gebraucht. So hat der Triumph aber einen fahlen Beigeschmack.»

Henri Gammenthaler
Bild: zVg

Henri Gammenthaler analysiert das Radsport-Geschehen für «blue Sport». Der Zürcher war einst selbst Fahrer, später TV- und Radio-Experte und Kommentator der Tour de Suisse.

Für Gammenthaler trägt der Internationale Radsport-Verband mit der Einführung solcher Zwischensprints aber eine Teilschuld. «Das bringt ein erhöhtes Sicherheitsrisiko und provoziert ein Stück weit solche Zweikämpfe auf Biegen und Brechen. Eine solch künstlich erzeugte Spannung hat eine solche Rundfahrt nicht nötig.»

Aus diesem Grund sieht Gammenthaler auch kein Potenzial, solche Zwischensprints bei den grössten Rundfahrten wie die Tour de France (ab dem 1. Juli) einzuführen. So könnte Mauro Schmid schon bald wieder unter Beweis stellen, dass er die Konkurrenz auch ohne unfaire Hilfe seiner Teamkollegen in die Schranken weisen kann.