Untersuchungsbericht Niemann hat in Online-Partien wahrscheinlich mehr als 100 Mal betrogen

SB10

5.10.2022

Magnus Carlsen erhob schwere Vorwürfe gegen Hans Niemann.
Magnus Carlsen erhob schwere Vorwürfe gegen Hans Niemann.
Getty

Laut einem detaillierten Untersuchungsbericht hat der Schachgrossmeister Hans Niemann mehr als 100 Mal beim Online-Spielen betrogen. Das wäre deutlich mehr als der Carlsen-Bezwinger bisher zugegeben hätte.

SB10

5.10.2022

Das Schachportal Chess.com hat einen 72-seitigen Untersuchungsbericht gefertigt. Wie das «Wall Street Journal» (zahlungspflichtig) ausführt, soll beim Schachspieler Niemann deutlich mehr ans Tageslicht gekommen sein, als es der unter Verdacht stehende US-Amerikaner bisher zugab. Es soll sich demnach um über 100 Online-Partien handeln, in denen Niemann geschummelt haben soll. Unter anderem soll er im Jahr 2020 betrogen haben – auch wenn es um Preisgelder ging. Die Anschuldigungen soll er sogar privat zugegeben haben.

Chess.com nannte Niemanns Aufstieg «statistisch aussergewöhnlich» und wies auf «viele bemerkenswerte Signale und ungewöhnliche Muster in Hans' Weg als Spieler» hin, die «eine weitere Untersuchung auf der Grundlage der Daten verdienen». Der Weltschachverband FIDE ermittelt derzeit ebenfalls gegen Niemann.



Festzuhalten gilt: Der Bericht trifft laut Wall Street Journal keine Aussage dazu, ob Niemann bei direkten Duellen ebenfalls betrogen hat.

Eine Passage hält fest: «Ausserhalb seines Online-Spiels ist Hans der am schnellsten aufsteigende Top-Spieler im klassischen Over-the-Board-Schach in der modernen Geschichte.»

Hans Niemann weist eine rasantere Entwicklung auf als Schach-Legende Bobby Fischer oder Magnus Carlsen. «Obwohl wir nicht daran zweifeln, dass Hans ein talentierter Spieler ist, stellen wir fest, dass seine Ergebnisse statistisch gesehen aussergewöhnlich sind», heisst es im Bericht.
Hans Niemann weist eine rasantere Entwicklung auf als Schach-Legende Bobby Fischer oder Magnus Carlsen. «Obwohl wir nicht daran zweifeln, dass Hans ein talentierter Spieler ist, stellen wir fest, dass seine Ergebnisse statistisch gesehen aussergewöhnlich sind», heisst es im Bericht.
chess.com

Chess.com verwendet verschiedene Werkzeuge, um Betrüger zu entlarven: Analysen früherer Leistungen, wie oft Spieler während einer Partie andere Browser geöffnet haben oder Untersuchungen von Zügen im Vergleich zu denen, die von Schachmaschinen vorgeschlagen werden.

Der Verdacht besteht seit den Vorkommnissen im September, als der 19-Jährige den so dominanten Schachweltmeister Magnus Carlsen besiegte – obwohl er mit den schwarzen Figuren spielte, was ein Nachteil ist. Carlsen verliess das Turnier und brach eine anschliessende Online-Partie gegen Niemann nach nur einem Zug ab – und beschuldigte seinen Gegner öffentlich, zu betrügen.

Carlsen erhebte schwere Vorwürfe

«Ich glaube, dass Niemann mehr – und auch in letzter Zeit – betrogen hat, als er öffentlich zugegeben hat», sagte Carlsen. «Seine Fortschritte über das Brett hinweg waren ungewöhnlich, und während unserer Partie beim Sinquefield Cup hatte ich den Eindruck, dass er in kritischen Stellungen nicht angespannt oder sogar voll auf das Spiel konzentriert war, während er mich mit Schwarz auf eine Art und Weise überspielte, wie es meiner Meinung nach nur eine Handvoll Spieler schafft.»

Der US-Amerikaner versuchte danach die Anschuldigungen des Norwegers in einem Interview zu entkräften. Er habe zweimal als Teenager im Alter zwischen 12 und 16 Jahren bei Online-Partien betrogen – nie jedoch in Präsenz am Schachbrett. Er bedauere diese Handlungen zutiefst.

Die Journalisten des «Wall Street Journal» stellten jedoch fest, dass im Bericht festgehalten wird, dass Niemanns Konto bei Chess.com – der sowohl bei Amateuren wie auch bei Schachgrossmeistern beliebten Seite – zeitweise wegen der Betrugsvorwürfe gesperrt wurde. Weiter wird enthüllt, dass Niemann selbst die Anschuldigungen während eines Telefonats mit Danny Rensch, dem Schachchef von Chess.com, gestanden habe.

Rensch schrieb Niemann einen Brief, in dem er erklärte, warum er von der Chess.com Global Championship – einem mit einer Million Dollar dotierten Turnier – ausgeschlossen wurde. Dort steht: «Es gab immer ernsthafte Bedenken darüber, wie weit verbreitet ihre Betrügereien bei Preiswettbewerben waren.»