Noè Ponti steigt am Sonntag in Rom trotz nicht idealer Vorbereitung mit Silber aus dem EM-Pool. «An Titelkämpfen ist der Kopf oftmals wichtiger als der Körper», sagt der Tessiner.
Ohne zuvor an einem Grossanlass der Elite eine Medaille gewonnen zu haben, schwamm Noè Ponti vor Jahresfrist an den Olympischen Spielen in Tokio sensationell zu Bronze. Es hatte etwas Unbekümmertes und zugleich Erfrischendes an sich, wie der damals 20-Jährige aus Gambarogno seine Leistungen auf der grösstmöglichen Bühne des Weltsports punktgenau abzuliefern vermochte – und wie er über die zwei Bahnlängen im Delfin-Stil die Topstars der Szene maximal forderte.
In den gut zwölf Monaten seit Japan lief beim Tessiner Talent aber keineswegs alles wunschgemäss. Ponti liess sich auf seinem Weg jedoch nicht beirren, im Wasser konnte er die von ihm erwarteten Leistungen fast durchwegs erbringen. Auf das im Herbst nach wenigen Wochen wieder abgebrochene Studium in den USA reagierte der Olympia-Dritte mit der Silbermedaille über 200 m Delfin an der Kurzbahn-WM in Abu Dhabi.
Wochenlang kein normales Training
Und nach der Corona-Infektion bei der WM im Juni in Ungarn – «Ich wusste, dass es mich früher oder später auch erwischen wird», so Ponti gelassen – schaffte er nun im Freiluftbecken im Foro Italico sogleich wieder den Sprung zurück aufs Podest. Besonders bemerkenswert: Ponti absolvierte in den Wochen zwischen Budapest und Rom nie sein normales Training.
Erst in der letzten Woche vor den Europameisterschaften habe er «wieder unter Vollbelastung, aber noch nicht in gewohntem Umfang» trainieren können, sagt er. Der 21-Jährige litt an einer Entzündung der Bronchien, was aber ein Arzt erst drei Wochen vor EM-Beginn herausfand. Ponti: «Ich bin deshalb in Rom körperlich sicher nicht bei hundert Prozent.» Dennoch blieb er in der Heimat seines Trainers Massimo Meloni über 100 m Delfin erstmals in diesem Jahr unter der 51-Sekunden-Grenze. Zuvor war ihm das erst bei seinem Medaillen-Coup in Tokio zweimal gelungen.
Mentale Stärke
Trotz körperlichen Defiziten ganz nahe an der persönlichen Bestzeit und nur von einem Schwimmer, dem Weltmeister und Olympia-Zweiten Kristof Milak aus Ungarn, bezwungen: Noè Ponti, wie geht das? «Ich wusste schon zuvor, dass ich mental sehr stark bin. Aber auch ich konnte natürlich meine körperliche Situation nicht gänzlich ausblenden.» Er habe sich deshalb für Rom keine grossen Ziele gesetzt, «sondern ich wollte einfach schwimmen und sehen, was passiert. Mit der Silbermedaille bin ich extrem zufrieden.»
Bevor er nach Rom für fast einen Monat wohlverdiente Ferien einlegt, steht für Ponti noch der EM-Einsatz über die längste Delfin-Distanz an. «Über die 200 Meter könnte es schwieriger werden, weil ich eben nur reduzierte Umfänge trainieren konnte», befürchtet der Tessiner zwar. Doch grundsätzlich handle es sich um ein Rennen, «in welchem wiederum alles geschehen kann». Triumphiert der Kopf nochmals über den angeschlagenen Körper, so liegt für Ponti, den Halbfinal-Dritten vom Montagabend, hinter dem grossen Favoriten Milak durchaus noch einmal Silber drin.