Corona-Krise «Nur Weltkriege konnten sie stoppen» – wird die Tour durchgeboxt?

lbe

31.3.2020

Egan Bernal (links) feiert seinen Toursieg 2019 mit Teamkollege Geraint Thomas.
Egan Bernal (links) feiert seinen Toursieg 2019 mit Teamkollege Geraint Thomas.
Bild: Keystone

Bis anhin stemmen sich die Organisatoren der Tour de France vehement gegen eine Absage oder Verschiebung des wichtigsten Radrennens der Welt – aus verständlichen Gründen.

Mit Fussball-EM, den Olympischen Spielen und den üblichen Grossanlässen wie Roland Garros, Wimbledon oder der Tour de France wäre den Sportfans ein vollbepackter Sportsommer bevorgestanden. Statt zahlreichen Highlights gibt es aufgrund der Corona-Pandemie aber Absagen oder Verschiebungen am laufenden Band – der Sportkalender ist beinahe leergefegt.

Nebst dem traditionsreichen Tennisturnier in Wimbledon, das am Mittwoch ebenfalls abgesagt werden soll, stemmt sich nur noch ein Grossanlass gegen Anpassungen: Die Tour de France soll wie geplant zwischen dem 27. Juni und dem 19. Juli über die Bühne gehen.

Das wichtigstes Rennen im Radsport gilt hinter der Fussball-WM und den Olympischen Sommerspielen als drittgrösstes Sportereignis, was Interesse, Sponsoren und TV-Quoten betrifft. Teams, Agenten und Sponsoren richten alles auf die dreiwöchige Rundfahrt aus. Die Marktwerte der Fahrer verändern sich in dieser Zeit ständig, gleichzeitig werden Verträge für die Austragung im kommenden Jahr verhandelt. Kurz gesagt: Bei einer Absage der Tour droht dem Radsport der Kollaps.

Einschneidende Konsequenzen im Fall einer Absage

Patrick Lefevere, der Eigentümer des belgischen Quick-Step-Teams, erklärt: «Wenn es keine Tour gibt, kann das ganze Modell des Radsports zusammenbrechen. Da mehrere Teams bereits unter dem Druck stehen, Sponsorengelder für 2021 zu finden, wird die Aufgabe im Falle einer Absage nur noch schwieriger.» Dem Veranstalter ASO droht gemäss Informationen von «Bild» ein Verlust von 200 Millionen Euro.

Zudem geniesst die 1903 erstmals gefahrene Tour in Frankreich beinahe Heiligenstatus. Direktor Christian Prudhomme verkündet Mitte März stolz: «Nur zwei Weltkriege konnten die Tour de France bislang stoppen.» Drei Tage später hebt die WHO das Coronavirus als Pandemie ein. Ein Umdenken bei den Organisatoren scheint das allerdings (noch) nicht zu bewirken. «Er (Prudhomme, Anm. d. Red.) zieht im Moment keine Absage oder ein Rennen hinter geschlossenen Türen in Betracht», erzählen verschiedene Bürgermeister von Etappenzielorten dem belgischen TV-Sender «RTBF».

Auch Sportministerin Roxana Maracineanu lässt mit ihrer Idee zuletzt von der Durchführung des Rennens, einem «Monument des Sports» träumen. Demnach könne die Tour unter Umständen auch ohne Publikum ausgetragen werde, da die Veranstaltung ohnehin keine Zuschauereinnahmen generiere. Tatsächlich kommt der Grossteil der Einnahmen der Tour nicht von Werbesponsoren oder Zuschauern, sondern von TV-Geldern.

«Gibt derzeit viel wichtigere Dinge»

Nachdem Maracineanu bereits das Rennen Paris – Nizza (8. Bis 14. März) mit Einschränkungen zuliess, als sich ganz Europa mit möglichen Ausgangssperren befasste, scheint also auch die planmässige Abhaltung der Tour de France eine Option zu sein – ob mit oder ohne Zuschauerbann. Fakt ist allerdings, dass der Entscheid hinausgezögert wird.

Für Thibaut Pinot, der vergangenen Sommer bis zuletzt um den Gesamtsieg kämpfte, ist das unverständlich: «Der Radsport ist in der jetzigen Situation komplett lächerlich. Es gibt derzeit viel wichtigere Dinge als die Frage, ob die Tour abgesagt würde oder nicht.» Nichtsdestotrotz muss die Organisation darauf eine Antwort finden – letzter Termin dazu ist der 15. Mai.

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