Vor 9 Jahren Oberson: «Ich gab einfach alles. Et voilà, es hat gereicht. Eine verrückte Sache»

SDA

22.7.2020 - 04:34

Die siegreiche Open-Water-Schwimmerin Swann Oberson auf dem WM-Podest über 5 km in Schanghai 2011.
Die siegreiche Open-Water-Schwimmerin Swann Oberson auf dem WM-Podest über 5 km in Schanghai 2011.
Source: Getty

Swann Oberson sorgt am 22. Juli 2011 in Schanghai völlig unerwartet für die Schweizer WM-Siegpremiere. Die Genferin holte vier Tage vor ihrem 25. Geburtstag als erste Schweizer Schwimmerin Gold.

Vor Swann Obersons Open-Water-Exploit waren mit Marie-Thérèse Armentero, Dano Halsall und dreimal Flavia Rigamonti die Schweizer Medaillengewinner an Weltmeisterschaften an einer Hand abzuzählen. Viermal Silber und einmal Bronze – alle im Becken – lautete die bis dato sehr bescheidene Bilanz der Schweizer Delegationen an den seit 1973 ausgetragenen Schwimm-Weltmeisterschaften. Oberson sorgte vor neun Jahren in China für die erste goldene Auszeichnung.

Der Wettkampf über zwei Runden à je 2,5 km im offenen Gewässer vor dem Strand von Jinshan, einem Stadtbezirk von Schanghai, fand bei sehr hoher Wassertemperatur von reglementarisch gerade noch erlaubten 31 Grad Celsius statt, was jedoch der 1,83 m grossen, feingliedrigen Oberson sehr behagte. Die schweizerisch-französische Doppelbürgerin hatte zudem ihren guten Formstand bereits drei Tage zuvor angedeutet. Über die olympische Distanz von 10 km sicherte sie sich als Neunte den angestrebten Quotenplatz für die Sommerspiele 2012. Mit dem Ticket für London sei ihre Mission in Schanghai eigentlich erfüllt gewesen, verriet Oberson nach ihrem historischen Triumph, der trotz eines Weltcupsiegs im Herbst 2010 als sensationell zu werten war.

Fotofinish nach einer Stunde Wettkampf

Das 5-km-Rennen in Schanghai betrachtete Oberson zunächst nur als Bonus. Bis zur Hälfte der Distanz hielt sie sich bewusst zurück, erst danach begann sie so richtig an ihre Chance zu glauben. Ab da «war mein Bestreben, in der Spitzengruppe zu bleiben. Vor dem letzten Kilometer fühlte ich mich immer noch gut. Ab da schwamm ich so schnell wie ich konnte.»

400 m vor dem Ziel übernahm Oberson die Führung, die sie nicht mehr abgab. Sie habe im Endspurt der Vierer-Spitze immer gewusst, wo sie sich befinde. Vierte zu werden sei für sie aber «keine Option» gewesen. Letztlich sahen sich die Französin Aurélie Muller um vier Zehntel und die Amerikanerin Ashley Twichell um eine halbe Sekunde distanziert – bei einer Wettkampfzeit von mehr als einer Stunde. «Ich gab einfach alles. Et voilà, es hat gereicht. Eine verrückte Sache», fasste die Siegerin ihren Wettkampf zusammen.

Schinderei in Würzburg

Die Basis für ihren Triumph hatte Oberson mit dem Wechsel im Jahr zuvor nach Würzburg gelegt. In der bayrischen Stadt trainierte sie in der gleichen Gruppe wie der mehrfache Welt- und Europameister Thomas Lurz. Um ihren sportlichen Traum zu leben, unterwarf sich Oberson einem harten Regime. Trainingsumfänge von 90 bis gar über 100 km pro Woche galten in Würzburg als normal. Fühlte sich die Schwimmerin einmal nicht so gut, so konnte sie jedoch nicht gross auf das Verständnis ihres Trainers hoffen. «In Deutschland heisst es 'Schweig und schwimm!'«, erzählte Oberson einmal. Umso schöner empfand sie es, an Weltmeisterschaften auf dem Podest zu stehen und erst noch die Schweizer Hymne zu hören. «Das war das Tollste, was man sich vorstellen kann. Als erste Schweizerin einen WM-Titel zu holen, ist unglaublich. Ich hätte mir das gar nicht zugetraut.»

Gut ein Jahr nach dem Exploit in China stand Oberson an Olympia in London über 10 km als Mitfavoritin am Start. Doch bei einer Wassertemperatur von nur 20 Grad konnte die Schweizerin mit ihrem sehr niedrigen Körperfettanteil ihre Leistung nicht bringen. «Ich fühlte mich am Anfang nicht so schlecht. Aber dann ging plötzlich gar nichts mehr. Meine Muskeln verkrampften sich, und ich verlor den Anschluss», so Obersons Analyse nach ihrem enttäuschenden 19. Platz im künstlich angelegten Serpentine-See im Hyde Park.

Gleichzeitig sprach sie davon, «eine Pause für Kopf und Körper» zu benötigen. Danach aber, so zeigte sich Oberson in London überzeugt, «liegen im Schwimmen noch einige schöne Dinge vor mir». Doch in den Folgejahren sollte die Genferin auf internationaler Ebene nie mehr reüssieren. Das WM-Gold von Schanghai blieb der einsame Höhepunkt. Anfang April 2016 trat Oberson noch vor den Sommerspielen in Rio de Janeiro zurück. Sie wolle nun den Schwerpunkt auf ihr Studium legen, so die nach wie vor einzige Schweizer Weltmeisterin in der Geschichte des Schwimmsports.

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