Die olympischen Leichtathletik-Wettkämpfe 2008 in Peking gehen als Usain-Bolt-Spiele in die Geschichte ein. Mit seinen Gold- und Weltrekord-Läufen sorgt der Jamaikaner für grosse Begeisterungsstürme.
Wir schreiben den 20. August 2008. Usain Bolt hat soeben seine zweite olympische Goldmedaille gewonnen. Vier Tage nachdem er im 100-m-Final die Konkurrenz mit Weltrekord (9,69 Sekunden) deklassiert hatte, machte er auch das Rennen über die doppelte Distanz zu einer One-Man-Show. Bolt lief am Vorabend seines 22. Geburtstags in seiner Lieblingsdisziplin allen davon. Trotz Gegenwind senkte er in 19,30 Sekunden den zwölf Jahre alten Weltrekord von Michael Johnson um zwei Hundertstel. Die 91'000 Zuschauer im Pekinger Olympiastadion – auch bekannt als «Vogelnest» – waren total aus dem Häuschen.
«Das ist Superman II», lautete damals Johnsons Urteil über Bolt. Doch der erste Doppel-Olympiasieger seit Carl Lewis 1984 in Los Angeles wollte kein solcher sein: «Nennt mich Lightning Bolt (Blitzschlag), nichts anderes». Sein dritter Triumph in Peking, Gold in Weltrekordzeit mit der jamaikanischen 4x100-m-Staffel, annullierte das IOC später wegen eines Dopingbefunds bei Staffel-Kollege Nesta Carter.
Erfolgsgarant und Entertainer
Die Spiele in Peking standen am Anfang von Bolts Goldrausch. Bis auf wenige Ausnahmen war der 1,95-m-Hüne aus Jamaika immer dann bereit, wenn es zählte. So auch 2012 in London und vier Jahre später in Rio de Janeiro, als er das olympische Sprint-Double wiederholte und mit der Staffel erneut die Goldmedaille gewann. Nach acht Olympiasiegen, elf WM-Titeln und einer Ära der Überlegenheit ging an der WM 2017 in London seine erfolgreiche Karriere als Sprinter zu Ende; allerdings mit einem grossen Drama. Nachdem es ihm über 100 m nur zu Bronze gereicht hatte, verletzte sich Bolt in der Staffel – seinem allerletzten Rennen – als Schlussläufer am Oberschenkel und er musste den Lauf abbrechen. Unpassend für einen Superstar seiner Grösse verliess er die grosse Bühne durch die Hintertür.
Ein knappes Jahrzehnt lang hat Bolt zuvor die Leichtathletik geprägt wie kein anderer. Den Sprint führte er sportlich in neue Dimensionen und auch betreffend Selbstinszenierung setzte er neue Massstäbe. «Ich bin ein Sprinter, aber auch ein Entertainer», sagte er einst. Der Lebemann aus der Karibik verstand es ausgezeichnet, das Publikum nicht nur während, sondern auch vor und nach seinen Läufen zu unterhalten. Während andere vor dem Start in einen Tunnel eintauchten, spielte Bolt mit den Kameras und lieferte dem Publikum ein paar Show-Einlagen.
100 Chicken Nuggets pro Tag
Seine ausgefallenen Siegestänze waren ebenso legendär wie seine berühmte Bogenschützen-Pose, die zu seinem Markenzeichen wurde. So schnell seine Auftritte zwischen der Start- und Ziellinie zu Ende waren, so lange liess er sich danach bei seinen Ehrenrunden Zeit. Seine Auftritte waren ein Ereignis, eine Show, an der er die Leute teilhaben liess. Genau dafür liebten sie ihn rund um den Globus.
Der berühmteste Jamaikaner neben Bob Marley stand für Dominanz und Leichtigkeit im gleichen Moment. 2008 bei seinem ersten Olympiasieg über 100 m setzte er nach vier Fünftel der Strecke bereits zum Jubel an und lief – mit offenem Schuhbändel – und fast joggend trotzdem zu Weltrekord. Nach seinem Olympiasieg über 200 m 2012 in London machte nach dem Zieleinlauf auf der Bahn noch ein paar Liegestütze. Und 2016 im Olympia-Final über 100 m in Rio grinste Bolt noch vor der Ziellinie seitlich in die Kameras und sorgte damit für das Bild der Spiele. Auch typisch Bolt: Bei den Spielen 2008 in Peking berichtete er der Welt von den hundert Chicken Nuggets, die er täglich verdrückt haben soll. Vor, zwischen und nach seinen drei Weltrekorden.
Dopingzweifel und Vaterfreuden
Natürlich rannte bei all diesen Leistungen immer auch der Verdacht mit: Zweifel kamen auf, ob Bolt nicht doch mit verbotenen Substanzen nachgeholfen haben könnte. Der Jamaikaner selbst beteuerte immer wieder, er wäre sauber, seine Erfolge «eine Kombination aus Talent, harter Arbeit und tollem Trainerteam.» Auch konnte ihm – anders als beispielsweise einiger seiner damaligen Konkurrenten wie den Amerikanern Tyson Gay oder Justin Gatlin – nie Doping nachgewiesen werden.
Dank seinen Erfolgen wurde Bolt zum bestbezahlten Leichtathleten der Geschichte. Noch heute ist er eine gefragte Werbefigur, mit einer Strahlkraft weit über den Sport hinaus. Sein Vermögen wird auf umgerechnet 86 Millionen Franken geschätzt. Den Traum, eine Karriere als Profifussballer einzuschlagen, hat der bekennende Fan von Manchester United mittlerweile begraben. Sein neustes Projekt heisst «Olympia Lightning». Bolt und seine Lebensgefährtin Kasi Bennet wurden im Mai Eltern einer Tochter. Am Freitag wird der schnellste Sprinter der Welt 34 Jahre alt.
Rekorde für die Ewigkeit?
Aus den Stadien ist Bolt längst verschwunden. Seine an den Weltmeisterschaften 2009 in Berlin aufgestellten Weltrekorde von 9,58 (100 m) und 19,19 (200 m) sind jedoch omnipräsent. Auch wenn mit den Amerikanern Christian Coleman und Noah Lyles neue Ausnahmetalente in den Startblöcken stehen, werden Bolts Bestmarken den Angriffen wohl noch eine Weile standhalten. «Eines Tages wird da jemand sein, der meine Zeiten unterbieten kann», ist sich Bolt sicher. Einen wie Bolt, der sportliche Höchstleistungen und den Unterhaltungsfaktor auf so hohem Niveau vereinte, dürfte es in der Leichtathletik allerdings so schnell nicht mehr wieder geben.