Mit einem 3. Rang bei Paris – Roubaix hat Stefan Küng die diesjährige Klassiker-Saison abgeschlossen. Der Thurgauer beweist endlich, dass er doch mehr als «nur» ein erfolgreicher Zeitfahrer ist.
Er hat stets alle Qualitäten mitgebracht, um nicht nur in Prüfungen gegen die Uhr, sondern auch in Eintagesrennen zu brillieren. Doch nur selten, etwa an der WM 2019 (3. Rang), hatte es Küng bisher geschafft, sein Potenzial auch in ein zählbares Resultat umzuwandeln. Insbesondere im Frühjahr hatte es nie geklappt. Erst in diesem Frühling zum Auftakt seiner achten Profisaison hat sich der 28-Jährige vom Anwärter zum ernsthaften Kandidaten auf Siege in den Klassikern verwandelt.
Fünf von sechs Rennen in den letzten Wochen hat Küng unter den besten zehn abgeschlossen. Zwar fehlt ein Sieg, aber die Ergebnisse lassen sich sehen: unter anderem ein 3. Rang an der E3 Classic in Harelbeke, ein 5. Rang an der Flandern-Rundfahrt und am Ostersonntag zum Abschluss ein ausgezeichneter 3. Platz bei Paris – Roubaix, der «Königin der Klassiker».
Die Ruhe nach der Pinkel-Panne behalten
«Ich habe einen richtig grossen Schritt gemacht dieses Jahr», bilanzierte Küng an der Medienkonferenz nach dem Rennen in Roubaix, wo er es erstmals auf das Podest eines der fünf Radsport-Monumente geschafft hat. «Mental bin ich aktuell so weit, dass ich den Besten folgen und bis ins Finale ein Teil der Rennen sein kann. Das war auch heute der Fall. Wenn du diese Zuversicht hast, bleibst du auch jederzeit ruhig.»
Die Ruhe musste Küng beim prestigeträchtigsten Klassiker mit den 30 pickelhart zu fahrenden Kopfsteinpflaster-Passagen in der Tat bewahren. Denn noch vor der 200-km-Marke sah sich der Profi des französischen Teams Groupama-FDJ plötzlich in der Defensive und zusammen mit anderen Favoriten mit einem Rückstand von weit über einer Minute konfrontiert. «Ich musste pinkeln. Und als ich zurückkam, waren plötzlich 60 Fahrer weg», so Küng.
Küng verlor den Fokus nicht. Zusammen mit seinen Teamkollegen und den ebenfalls zurückgeworfenen Topfahrern gelang ihm der Anschluss an die Spitze wieder. Am Ende waren nur der Niederländer Dylan van Baarle, der mit seinem Team Ineos Grenadiers die frühe Teilung des Feldes ausgelöst hatte und entsprechend lange Kräfte schonen konnte, sowie der sprintstarke Belgier Wout van Aert schneller als der Schweizer.
Neues Selbstvertrauen
Vorwerfen musste sich Küng nach dem Rennen ausser dem «dummen Fehler» zu Beginn nichts. Das sah auch er selbst so. «Ich habe noch das Maximum herausgeholt, mehr lag nicht drin», so der zufriedene Küng. «Ich hatte eine sehr gute Klassiker-Saison, aber das Podest in Roubaix ist wirklich speziell.» Küng ist der erste Schweizer seit Silvan Dillier 2018 (2. Rang), der in der «Hölle des Nordens» ein Spitzenergebnis herausfuhr.
Seine aktuelle Stärke führt Küng auch auf sein neues Selbstvertrauen zurück, ausgelöst durch den 3. Rang hinter Van Aert und dem Franzosen Christopher Laporte in Harelbeke. «In solchen Rennen gibt es immer Höhen und Tiefen. Aber in den Tiefs weiss ich: Den anderen geht es nicht anders», so der Ostschweizer nach der 119. und schnellsten Ausgabe des Klassikers aller Zeiten (durchschnittlich 45,8 km/h).
Tour-Auftakt im Fokus
Für Küng steht nun eine Rennpause an. Auf die Tour de Romandie, das erste von zwei Heimrennen im Kalender, verzichtet der Thurgauer. Auf die Tour de Suisse im Juni und dann insbesondere auf die Tour de France im Juli plant der Zeitfahr-Europameister seine Rückkehr.
Insbesondere der Grand Départ der Frankreich-Rundfahrt in Kopenhagen hat er sich dick angestrichen. Zu gerne würde Küng im Auftaktzeitfahren in der dänischen Hauptstadt erstmals das gelbe Leadertrikot erobern – mit einem Erfolg in seiner anderen Spezialdisziplin nebst den Klassikern.