Stefan Küng hat seit 2017 keine Tour de France verpasst. Mit 29 Jahren gehört der Ostschweizer zu den Erfahrensten im Peloton. Vor seinem siebten Tour-Start sagt er: «Diesmal ist alles anders.»
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
- Am kommenden Samstag steht die Tour de France auf dem Programm. Mit dabei ist auch Stefan Küng.
- Die Vorbereitung auf die Tour gestaltete sich für den 29-jährigen Thurgauer schwieriger als sonst. Der Tod von Gino Mäder hat ihn «emotional überlastet» und während der letzten Tage habe das «Velofahren auch schon mehr Spass gemacht».
- Küng fährt an der Tour allem voran für Team-Kollege David Gaudu. Der Franzose fuhr im Vorjahr als Gesamtvierter ins Ziel, heuer soll es ein Podestplatz werden.
Stefan Küng gehört zu jener Sorte Sportler, die in der Regel gerne und ausführlich Auskunft geben. Der Radprofi mit Matura-Abschluss erklärt, ordnet ein und ist volksnah. Aktuell tut sich Küng aber schwer damit, sich unter die Leute zu mischen. Mehr als zehn Tage nach dem Tod von Gino Mäder, der den Verletzungen nach seinem Sturz am Albulapass erlegen ist, sitzt der Schmerz beim Zeitfahr- und Klassiker-Spezialisten noch immer tief.
Küng gehörte zu jenen Fahrern, die sich nach dem tödlichen Drama von der Tour de Suisse zurückgezogen haben. Der Thurgauer sass am Tag nach der Tragödie zwar im Teambus von Groupama-FDJ und fuhr zum Start der vorletzten Etappe nach Tübach, dort angekommen merkte er aber schnell, dass es nicht geht. Die Etappe durch die engere Heimat, wo Familie und Freunde am Streckenrand stehen; im Kopf der Unfall von Gino Mäder. «Das hat mich emotional überlastet», sagt Küng rückblickend im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. «Ich brauchte Abstand, Zeit für mich.»
Küng ging nach Hause zu seiner Frau und dem bald einjährigen Sohn, wo er versuchte, den «riesen Schock» zu verarbeiten. Immer im Wissen, dass für ihn bald die Tour de France ansteht. Doch die Lust aufs Training hielt sich in diesen Tagen in Grenzen. «Das Velofahren hat auch schon mehr Spass gemacht.»
Achterbahnfahrt der Gefühle
Wenige Tage zuvor befand sich Küng noch am anderen Ende der Gefühlsskala. Mit dem Sieg im Auftaktzeitfahren und der Eroberung des Leadertrikots hatte für ihn in Einsiedeln die Tour de Suisse höchst erfreulich begonnen. «Ich war physisch auf einem guten Level», so Küng. «Der Sieg hat mir Selbstvertrauen gegeben. Und in Gelb durch die Heimat zu fahren, ist immer sehr speziell. Ich war mental im Hoch.» Bis am sechsten Tag die Nachricht von Mäders Tod beim Start in Chur das Fahrerlager erreichte.
Küng ist sich bewusst: «Es hätte jeden von uns treffen können». Er würde jedoch sofort wieder Veloprofi werden, weil es «meine Leidenschaft, mein Beruf und mein Leben ist». Auch Küng weiss: Zum Radsport gehört das Risiko dazu. «Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nie. Es zeigt, dass du vor nichts gefeit bist.»
Für ihn war der Unfall ein Schicksalsschlag. Die Kritik an der Streckenführung fand er unpassend. Und er stört sich an jenen Leuten, die «ständig nach Erklärungen suchen.» Er fragt rhetorisch: «Muss man denn immer alles wissen?» Es sind Dinge, die ihm persönlich im Trauerprozess nicht weiterhelfen.
Das Emotionale hallt nach
Am vergangenen Samstag versammelte sich Küng zusammen mit seinen Rennfahrerkollegen, Hobby-Gümmelern und zahlreichen anderen am Start der Schweizer Meisterschaften in Wetzikon für eine Gedenkfahrt mit anschliessender Trauerfeier auf der offenen Rennbahn Oerlikon. Dies sei nochmals «sehr bewegend» gewesen, so Küng. Tags darauf belegte er an den Schweizer Meisterschaften den 5. Rang. Es war für ihn ein erster Schritt zurück in den Rennalltag, auch wenn es sich für ihn noch nicht so anfühlte, wie zuvor. «Das Emotionale hallt nach», so Küng.
Nun wartet mit der Tour de France das grösste und bedeutendste Radrennen auf ihn. Vor einem Jahr war er nach der Geburt von Sohn Noé und nach einer Covid-Erkrankung schon unter speziellen Umständen nach Kopenhagen gereist, wo er sich im Auftaktzeitfahren mit dem 14. Rang begnügen musste. Doch diesmal sei nochmals alles anders, wenn es am Samstag in Bilbao mit der 110. Frankreich-Rundfahrt losgeht.
Zeitfahren nicht nach Küngs Geschmack
«Ich habe mich noch nicht so intensiv mit der Tour de France befasst wie in anderen Jahren», gesteht Küng. Er hätte sich für die Rundfahrt ein «ultimatives Ziel gewünscht, auf das ich mich fokussieren kann.» Doch das einzige Zeitfahren mit den vielen Höhenmetern sei nicht auf seine Stärken zugeschnitten.
Als Road Captain, eine Art verlängerter Arm des sportlichen Leisters, steht für Küng bei Groupama-FDJ primär das Team im Zentrum. «Wir werden unseren Leader David Gaudu so gut als möglich unterstützen.» Der schmächtige Franzose wurde im Vorjahr Gesamtvierter. Nun soll es für den 26-Jährigen, der in seiner Heimat als grosser Hoffnungsträger gilt, aufs Podium gehen.
Vielleicht bietet sich Küng während der drei Wochen die Chance, als Ausreisser auf einer Etappe mit Klassikerprofil sein eigenes Glück zu suchen. «Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten», so Küng, der an der Tour schon zwei Mal Etappen-Zweiter und drei Mal Etappen-Vierter geworden ist.
Zum ganz grossen Coup hat es ihm bislang noch nicht gereicht. Vielleicht klappt es in diesem Jahr. Es wäre ein Sieg für ihn, aber auch für Gino Mäder, der heuer zum ersten Mal an der Tour de France hätte teilnehmen sollen.