Der Profi-Radsport versucht in den nächsten drei Monaten, eine fast komplette Saison nachzuholen. Am Samstag folgt mit Mailand – Sanremo der erste grosse Klassiker.
Auf Stefan Küng und Co. wartet eine neuerliche Hitzeschlacht. Heiss und staubig war es, als die Radprofis am vergangenen Samstag mit dem italienischen Halbklassiker Strade Bianche die World-Tour-Saison neu lancierten. Von lockerem Einrollen nach viereinhalb Monaten Corona-Pause war nichts zu sehen. Das Peloton quälte sich in der Toskana bei 40 Grad über die weissen Schotterstrassen, die dem Rennen rund um Siena seinen Namen geben.
Hitze nur schwer auszuhalten
Als «krass» bezeichnete Stefan Küng den Wiedereinstieg auf höchster Stufe. Es habe sich angefühlt, «wie in einem Backofen». Sein Velocomputer zeigte ihm eine Maximaltemperatur von 46 Grad an, bedingt durch die zusätzliche Wärme des Asphalt. «Das Rennen gehört ohnehin zu den härtesten im Kalender, durch die Hitze war es eine zusätzliche Herausforderung», so der Ostschweizer. Das Eintagesrennen beendete der letztjährige WM-Dritte im Strassenrennen letztlich im 14. Rang.
Seine Ambitionen auf ein bessere Klassierung musste Küng nach einem Sturz rund 70 km vor dem Ziel begraben. Just als das Finale eingeläutet wurde, fuhr ihn ein Gegner über den Haufen. «Ich wurde regelrecht abgeschossen. Als ein anderer Fahrer einen Spurwechsel vornahm, ist er mir voll über das Vorderrad gefahren.»
Küng landete in einer Böschung und verlor Zeit, kam aber mit «Schürfungen und ein paar Kratzern» glimpflich davon. Mit einer starken Aufholjagd schaffte er den Anschluss zur Spitzengruppe zwar nochmals, doch die Hitze erschwerte es ihm zusätzlich, sich von diesem Sondereffort zu erholen. «Ich hatte das Gefühl, nahe an einem Hitzeschlag zu sein.» Schliesslich erreichte er das Ziel über zehn Minuten nach dem belgischen Sieger Wout van Aert – als einer von nur 42 Fahrern.
Zurück in die Team-Blase
Die Hitze dürfte auch am Samstag bei Mailand – Sanremo wieder ein Faktor sein. Im Norden Italiens werden erneut Temperaturen von über 30 Grad erwartet. Für Küng, der in der Vergangenheit eher bei garstigen Bedingungen geglänzt hatte, gilt es deshalb, kühlen Kopf zu bewahren.
Nach einem Abstecher zurück in die Schweiz reiste er am Donnerstag nach Mailand, «zurück in die Team-Blase», wie er sagt. An den Corona-Alltag habe er sich bereits gewöhnt. Das Tragen einer Maske abseits der Velostrecken gehöre dabei ebenso dazu, wie die Corona-Tests drei und sechs Tage vor den Rennen. Etwas gewöhnungsbedürftig sei, dass am Start und am Ziel keine Zuschauer zugelassen sind. «Ich bin aber primär froh, dass wir wieder Rennen bestreiten können», beteuert der in Frauenfeld wohnhafte Thurgauer.
Zusammen mit Arnaud Démare teilt sich Küng in der französischen Equipe Groupama-FDJ bei den Klassiker-Rennen jeweils die Leaderrolle. Am Samstag dürfte die Teamtaktik angesichts des erwarteten Sprintfinales eher auf den endschnellen Franzosen ausgelegt sein. Démare gewann das längste der fünf Radsport-Monumente 2016 bereits einmal. Am Mittwoch entschied er zudem den Halbklassiker Mailand – Turin im Massenspurt für sich. Küng zu seinen persönlichen Aussichten: «Für mich gilt: Je früher das Rennen eröffnet wird, desto besser. Läuft es auf einen Sprint heraus, fahren wir für Démare.»
Nicht in die Karten spielen dürfte Groupama-FDJ dabei, dass der Weltverband UCI für dieses Rennen die Grösse der Teams von sieben auf sechs Fahrer reduziert hat. Dies, damit der Veranstalter zwei weitere Mannschaften mit einer Wildcard ausstatten konnte. Die Reduktion wird die Arbeit der Sprinter-Teams zusätzlich erschweren – und damit auch jene von Küng.
«La Primavera» im August
Die 111. Ausgabe von Mailand – Sanremo wird in vielerlei Hinsicht speziell. «La Primavera» oder «Fahrt in den Frühling», wie die Italiener das oftmals von garstigen Bedingungen begleitete Eintagesrennen nennen, wird diesmal frei von Schneefällen und ohne kühlen Dauerregen bei hochsommerlichen Temperaturen stattfinden.
Dass das mit 299 km längste Radsport-Monument in die touristische Hochsaison verlegt wurde, stellte die Organisatoren vor grosse Probleme. Weil alle Ortsdurchfahrten aufgrund der italienischen Corona-Restriktionen frei von Zuschauern gehalten werden müssen, musste die Streckenführung stark überarbeitet werden. So bleiben lediglich die letzten 36 km der «Classicissima» unverändert. Es fehlen zahlreiche bekannte Anstiege sowie die rund 130 km lange malerische Passage entlang der Ligurischen Küste. Zumindest das traditionelle Finale mit den Anstiegen «Cipressa» und «Poggio» sowie der Ankunft auf der Via Roma in San Remo bleibt erhalten.
Trotz der vielen Änderungen ist das Rennen auch in diesem Jahr auf Puncher und Sprinter zugeschnitten. Angeführt wird das Feld von Vorjahressieger Julian Alaphilippe. Die Zahl der Sieganwärter ist traditionell gross. Ein Topfavorit ist gerade nach der langen Corona-Pause schwierig auszumachen.