Im vergangenen Jahr endet nicht nur die Ära Giulia Steingruber, sondern beginnt ein Neustart bei den Schweizer Kunstturnerinnen. Ziel ist es, ein starkes Team aufzubauen.
Dank Steingruber und zuvor Ariella Käslin holte die Schweiz in den letzten Jahren zahlreiche Medaillen an Grossanlässen im Frauen-Kunstturnen. Nun müssen kleinere Brötchen gebacken werden, das unterstrich die EM in München deutlich. Die Schweizerinnen verpassten als 18. die Qualifikation für den Teamwettkampf an der kommenden WM deutlich – dafür wäre eine Klassierung in den Top 13 nötig gewesen. Im Mehrkampf belegte Anina Wildi als beste Schweizerin den 57. Rang, keine aus dem Quintett qualifizierte sich für einen Gerätefinal.
«Es wäre nicht korrekt, wenn wir enttäuscht wären», sagt David Huser, der Chef Spitzensport im STV. Das sei aktuell die Realität. Freude bereitete ihm, wie das Team auf den komplett missglückten Auftakt am Schwebebalken, an dem so ziemlich alles schiefging, was schiefgehen konnte, reagierte. «Das zeigt den Charakter der Mannschaft. Wäre das Resultat hervorragend gewesen, würden wir zurückgehen und auf unserem Weg weiterarbeiten, nun machen wir es genau gleich. Es gilt, daraus zu lernen und die Erfahrungen mitzunehmen.»
Huser ist erst seit Juli 2021 im Amt, als Nachfolger des suspendierten Felix Stingelin. Zwei Monate später wurde Frauen-Cheftrainer Fabien Martin freigestellt – Turnerinnen prangerten die Trainings- und Umgangsmethoden in Magglingen an. Dieses Amt hat seit vergangenem Dezember die Amerikanerin Wendy Bruce-Martin inne, die zuvor zusammen mit Anthony Retrosi ad interim das Frauen-Nationalkader trainiert hatte.
Der Neuanfang war aufgrund der Vorkommnisse zwingend, wobei Huser betont, dass in erster Linie sportliche Aspekte den Ausschlag für den Cut gegeben hätten. So soll im Rahmen des Projekts Los Angeles 2028 ein schlagkräftiges Team entwickelt werden, mit Betonung auf Team. Die Männer sind diesbezüglich ein gutes Beispiel, vor einem Jahr belegten sie an den Olympischen Spielen in Tokio im Teamwettkampf den 6. Rang.
Doch warum gibt es bei den Männern eine grössere Breite? «Das ist eine ganz gute Frage, mit der wir uns bei der Entwicklung des Förderkonzeptes beschäftigen», antwortet Huser. «Bei den Männern fand die Professionalisierung früher statt. Jedoch braucht es eine differenzierte Betrachtungsweise. Eigentlich sind das Männer- und das Frauen-Kunstturnen zwei verschiedene Sportarten, die verschiedene Komponenten beinhalten.» So müssen die Frauen früher Höchstleistungen erbringen, machen sie eine grössere Wandlung durch. «Das Ziel muss sein, jede Athletin an ihr Leistungspotenzial heranzubringen, egal wann das ist», sagt Huser. Dafür gelte es, die entscheidenden Faktoren zu identifizieren.
Mit der Verpflichtung von Bruce-Martin wurde schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung gemacht. Die 49-Jährige bringt vielseitige Erfahrungen mit, unter anderem als Mentaltrainerin. Stefanie Siegenthaler, bereits 24-jährig und die neue Teamleaderin, ist jedenfalls begeistert von der Herangehensweise von Bruce-Martin. «Es herrscht eine andere Atmosphäre. Sie arbeitet auch psychologisch viel mit uns. Es ist ein neues Erlebnis und mega spannend, das erfahren zu dürfen. Ebenfalls ist lässig, wie wir als Team zusammengeschweisst sind. Das gab es zuvor so nicht.»
Für Huser ist der Teamspirit das Fundament, auf dem aufgebaut werden soll. Zudem soll enger und näher mit den regionalen Leistungszentren zusammengearbeitet werden, damit die talentierten Juniorinnen auf dem eingeschlagenen Weg mitgenommen werden können. «Es ist eine spannende Herausforderung, eine Chance, die wir nutzen wollen. Das Potenzial ist gross.»