Während Fabian Recher und Benjamin Früh von einer paralympischen Medaille träumen, setzt sich Sandra Stöckli für die anstehenden Rennen der Handbiker ein Diplom zum Ziel.
Bereiten sich Handbikerinnen und Handbiker auf einen Wettkampf vor, gehen sie in der Regel in die Höhe. Das war auch bei Sandra Stöckli nicht anders. Vier Wochen verbrachte die St. Gallerin zuletzt im österreichischen Kühtai, richtete sich auf der Alp sogar einen Kraftraum ein und trainierte oft auf über 2000 m.
Durch das Höhentraining bilden sich mehr rote Blutkörperchen, wodurch die Ausdauer verbessert wird. Stöckli weiss, das zeigen die Tests im nationalen Sportzentrum in Magglingen, dass diese Art von Training ihre Leistungsfähigkeit erhöht. Entsprechend ist ihr Trainingsplan genau getimt, ausgerichtet darauf, dass sie den «Peak» dann erreicht, wenn in Paris das paralympische Strassenrennen stattfindet.
«Es ist eine sehr komplexe Sache», sagt Stöckli, die zum dritten Mal bei Paralympics teilnimmt. Früher war die 39-Jährige als Rollstuhl-Leichtathletin unterwegs, nahm auch an Weltmeisterschaften Teil, doch eine Rippenverletzung 2013 stand am Ursprung davon, dass sie heute eine der besten Handbikerinnen der Welt ist.
Denn weil ihr die Verletzung verunmöglichte, in den Rennrollstuhl zu sitzen, suchte sich Stöckli eine andere Möglichkeit, sich körperlich zu betätigen. Und fand im Handbiken nicht nur das, sondern eine Passion. Heute ist Stöckli zweifache Gesamtweltcupsiegerin und mehrfache WM-Medaillengewinnerin.
Stöcklis Training auf dem «Traktor»
Stöckli ist eine Perfektionistin, die jedes Detail genau plant und antizipiert. Jedes Teilchen, das an ihrem Handbike kaputtgehen kann, hat sie in doppelter Ausführung in ihrem Gepäck dabei, damit sie für den Fall gerüstet ist. Sowieso ist das Material ein zentrales Puzzleteil für den Erfolg. Stöckli bestreitet die Rennen von Paris, die nach dem Zeitfahren am Mittwoch und dem Strassenrennen am Donnerstag mit einem Team-Wettkampf am Samstag zu Ende gehen, mit einem neuen Handbike. Bisher kam dieses lediglich in zwei Weltcuprennen zum Einsatz. Für Stöckli ist aber offensichtlich, dass sie damit schneller über die Strassen flitzen kann als mit ihren bisherigen Handbikes.
Die Ostschweizerin sitzt am Montag im Maison Suisse in der Pariser Innenstadt, als sie dazu eine Episode erzählt. Ihr Material wurde nämlich schon am letzten Mittwoch nach Frankreich gebracht. Entsprechend musste sie bis zu ihrer Anreise am Sonntag auf ihre alten Handbikes umsteigen zum Trainieren.
Und als sie unterwegs war, ging ihr ein paar Mal durch den Kopf: «Also Frankie, du fühlst dich schon ein bisschen an wie ein Traktor.» Stöckli lacht. Sie mag es, ihren Handbikes Namen zu geben. Durch die unzähligen Stunden, die in die Entwicklung investiert werden, entsteht automatisch eine enge Verbindung.
Dass Stöckli trotz ihrer Akribie und ihrer Erfolge nicht mit dem Ziel nach Paris gereist ist, eine paralympische Medaille zu gewinnen, liegt daran, dass bei Paralympics anders als im Weltcup die Athletinnen und Athleten in zusammengelegten Kategorien antreten. Dass sich die Schweizerin also beispielsweise auch mit Konkurrentinnen messen muss, die kniend und nicht liegend in ihrem Bike sind. «Liegendbikerinnen haben ein zu grosses Defizit gegenüber den Knienden damit es realistisch wäre, vorne mitzufahren», sagt Stöckli, die sich erhofft, wie in Tokio zumindest im Strassenrennen um ein Diplom fahren zu können.
Rechers erfolgreicher Frühling
Auch Fabian Recher ist in Paris mit neuem Material am Start. Auch er ging zur Vorbereitung in die Höhe, ins Engadin. Der 25-Jährige hat wie Stöckli viel investiert, zeitlich, aber auch finanziell, damit er für seine zweiten Paralympics nach Tokio gerüstet ist. In Japan wurde der Spiezer jeweils Siebter im Strassenrennen und im Team-Wettkampf und holte sich damit ein paralympisches Diplom. Drei Jahre später würde den Berner, der als erster Rollstuhlfahrer die Spitzensport-RS absolviert hat, diese Ausbeute kaum mehr zufriedenstellen. «Aufgrund der Resultate im Frühling kann ich mit stolz sagen, dass ich hier zu den Medaillenanwärtern gehöre», sagt Recher.
Die Resultate, die er anspricht, sind sein erster Weltcupsieg im Mai im belgischen Ostende, und sein erster Vorstoss aufs Podest in einem Zeitfahren. Es sind Erfolge, die ihm gezeigt haben, dass die Entwicklung stimmt, dass es richtig war, das Arbeitspensum zu reduzieren, dass er, der mit Skifahren, Langlauf, Badminton, Basketball und Leichtathletik einen sehr polysportiven Hintergrund hat, auf die richtige Sportart gesetzt hat.
Im Strassenrennen ist die Hoffnung auf eine Medaille noch etwas grösser als im Zeitfahren. Die Strecke hat er schon befahren. Auf den 71 Kilometern gibt es nur zwei kleine Anstiege. Das komme ihm entgegen, sagt Recher. Aber er relativiert: «Es ist immer eine Kombination aus der eigenen Leistung und dem Material. Nur wenn alles zusammenpasst, kann man das Beste herausholen.»
Benjamin Früh, der dritte Handbiker im Schweizer Team, fokussiert sich derweil auf das Zeitfahren. Der Zürcher sagt: «Ich kämpfe um eine Medaille.»