Heute vor 22 Jahren Andy Hug: Vom Akkord-Metzger zum Samurai

SDA

9.4.2020 - 04:20

Vor 22 Jahren besiegte Andy Hug Curtis Schuster in einem über fünf Runden angesetzten Fight nach Punkten. Die Geschichte des in armen Verhältnissen aufgewachsenen Kampfsportlers geht noch heute unter die Haut.

Der Fight in der mit 17'000 Zuschauern ausverkauften Yokohama-Arena in Tokio war für Hug ein Vorbereitungskampf für das darauffolgende K1-Meeting in Zürich von Anfang Juni 1998. Der Schweizer K1-Thaibox-Weltmeister war seinerzeit schon eine Legende. Er besiegte dann zwei Monate später vor heimischem Publikum mit dem Niederländer Peter Aerts eine andere Legende der damaligen Kampfsport-Szene ebenfalls nach Punkten.

Gut 26 Monate und 16 weitere Ring-Duelle danach verstarb Hug im Alter von nur 35 Jahren innert kürzester Zeit an akuter Leukämie. Es war ein Tod, der die Schweizer Sportwelt seinerzeit tief bewegte.

Klar ist, dass sich Hug physisch während Jahren am Limit und, was das Schmerzempfinden anbelangt, wiederholt darüber hinaus bewegte. Wer Trainings von Hug beiwohnte, erkannte rasch, dass das Wort «Schinderei» bei ihm in eine neue Dimension vorstiess. Eine, die weit über den herkömmlichen Alltag eines Spitzensportler-Alltags hinausging. Schon in jungen Jahren liess sich Hug beispielsweise Baseball-Schläger an seinen Schienbeinen zertrümmern.

Der in einfachsten Verhältnissen bei seinen Grosseltern aufgewachsene Hug begann als Elfjähriger in Wohlen mit dem Karate-Training. Von Lehrern und Mitschülern gehänselt oder verkannt, kämpfte er sich kraft seines nie nachlassenden Trainingseifers im Alleingang die Karriereleiter hoch.

Über seinen faszinierenden Lebensweg drehte das Schweizer Fernsehen noch zu Hugs Lebzeiten einen Dokumentarfilm. In Japan gibt es biographische Comic-Geschichten.

Ein Aufstieg wie Rocky Balboa

Hug liess sich durch den Hollywood-Streifen «Rocky» inspirieren, in welchem einem Nobody und Verlierer aus den Slums von Philadelphia ein WM-Titelkampf im Schwergewicht gegen den haushoch favorisierten Champion Apollo Creed angeboten wird: «Rocky» trainiert wie ein Besessener für die Chance seines Lebens, und schliesslich schafft er mit letztem Einsatz den Schlussgong nach 15 Runden und damit das unmöglich Scheinende.

Wie Rocky schuftete Hug als Akkord-Metzger. Und brachte es schliesslich zum Kampfkunst-König mit Hollywood-Potenzial. Aus seinen Anfängen im Kyokushinkai-Vollkontakt-Karate stammt auch eine legendäre Eigenkreation; der «Andy-Kick». Kein anderer brachte das Bein so hoch wie er. Und landete der ebenso akrobatische wie wuchtige Kick am Kinn des Gegners, war ein spektakulärer K. o. die logische Folge.

«Wo steht Andy Hug in zehn Jahren?» Dies wurde das Schweizer Kampfsport-Idol wenige Wochen vor seinem unerwarteten Tod von der damaligen Nachrichtenagentur Sportinformation gefragt. «Ich hoffe, weiter ganz oben. Vielleicht mit einem Oscar in der Hand. Das wäre sicherlich auch noch ein Ziel», sagte Hug. Er wollte seine Kampfsportkarriere seinerzeit noch ein Jahr in Japan fortsetzen, um danach «voller Elan meine neue Herausforderung in Angriff zu nehmen». Als Schauspieler.

Dazu ist es nicht mehr gekommen. Binnen weniger Tage wurde Andy Hug im August 2000 von der Krankheit dahingerafft. Der Schock war gewaltig, die Trauer in Japan über den Hinschied eines in den «Samurai»-Status erhobenen Kampfsport-Idols unbeschreiblich und die Anteilnahme in der Schweiz gross.

Kazuyoshi Ishii, der Gründer der Vollkontakt-Kampfsport-Vereinigung K1, betonte in Japan mehrmals, dass wohl kein anderer Ausländer in Japan derart respektiert worden sei wie Andy Hug. Mehrere EM- und WM-Titel zierten sein Palmarès. In Japan war Hug längst ein Star, ehe hierzulande ab circa 1995 die breite Anerkennung einsetzte. «Die weissen Flecken in den hiesigen Zeitungen hatten ihm mehr Schmerzen bereitet als die blauen aus den Kämpfen», urteilte der langjährige Sportreporter und TV-Moderater Bernard Thurnheer seinerzeit rückblickend bei der Abdankung.

Im Zürcher Grossmünster verabschiedeten sich Freunde, Anhänger und Angehörige von Andy Hug. Rund 2'000 Personen gedachten damals des am 24. August 2000 verstorbenen Idols gar ausserhalb der Kirche, wo ein Blumenmeer und grosse Fotos nach japanischer Art die Anteilnahme symbolisierten.

«Herzlich, bescheiden, einfühlsam»

«Er war herzlich, freundlich, bescheiden, offen und einfühlsam. Das war das Geheimnis seiner Ausstrahlung. Und er war Athlet, Artist und Perfektionist. Sein Wille in der Verfolgung eines Ziels war eisern. Er hat nicht nur geträumt, sondern seinen Traum realisiert. Nicht der Kampfsport hat Andy Hug geadelt, sondern Andy Hug den Kampfsport», sagte der Zürcher Stadtpräsident Josef Estermann in seiner Würdigung. Und Thurnheer ergänzte: «Am Ende hattest Du aber auch das schwierigste Publikum gewonnen. Auch wir Schweizer sind stolz auf Dich!»

Entsprechend fielen seinerzeit auch die Nachrufe aus. «Für viele war er ein Idol, für die meisten ein sympathischer Mensch ohne Star-Allüren», schrieb beispielsweise die «Luzerner Zeitung» über den Tod des gebürtigen Aargauers aus Wohlen. Oder «‹Wo ein Wille ist, ist ein Weg›, lautete seine simple, aber populäre Botschaft», bilanzierte die «Aargauer Zeitung».

Das «Tagblatt der Stadt Zürich» betonte: «Hug hat seine Gegner nie als Feinde gesehen, sondern als sportliche Konkurrenten. Er hat körperlich überlegene Gegner mit seiner Agilität und Technik besiegt, nicht mit roher Gewalt. Und nicht zuletzt hatte er eine in der Schweiz unbekannte Kampfsportart zum gesellschaftlichen Grossereignis gemacht.»

Zurück zur StartseiteZurück zum Sport