Urs Lehmann präsidiert seit 15 Jahren Swiss-Ski. Der Aargauer gehört zu den grossen Befürwortern und treibenden Kräften der Schweizer Kandidatur für die Winterspiele 2030.
Kurz bevor am Freitag in Ittigen das Sportparlament an seiner Jahresversammlung formal über die Schweizer Olympia-Kandidatur befinden wird, spricht Lehmann im Interview mit Keystone-SDA von der «einmaligen Chance» für die Schweiz, erstmals seit 1948 wieder Olympische Spiele auszutragen.
Gleichzeitig warnt der 54-Jährige vor unberechenbaren Komponenten und davor, dass der Weg bis zum Zuschlag durch das Internationale Olympische Komitee noch weit ist.
Urs Lehmann, am Freitag stimmt das Schweizer Sportparlament darüber ab, ob die Schweiz für die Olympischen Winterspiele 2030 kandidieren soll. Ein Ja ist reine Formalität, nicht wahr?
Ich kann das nicht abschliessend beurteilen. Natürlich hoffe ich, dass auch die Sommersportverbände diese Kandidatur unterstützen. Aber jeder demokratische Prozess hat eine nicht berechenbare Komponente.
Hoffen Sie auf ein Ergebnis mit möglichst wenigen oder gar keinen Gegenstimmen?
Meine Hoffnung ist, dass der Schweizer Sport zusammensteht, wenn man eine solch einmalige Chance erhält.
Der Freitag ist für die Olympia-Kandidatur...
... ein wichtiger Zwischenschritt. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir noch nicht durch sind. Klar gibt es eine Machbarkeitsstudie, die sagt: 'Jawohl, die Schweiz kann das.' Die Schweiz erfüllt auch die Voraussetzungen für das neue IOC-Konzept. Dieses setzt auf bestehende Infrastruktur, die dezentral in einem Land verteilt sein kann. Wir haben auch eine erste Umfrage bei der Bevölkerung durchgeführt, wie sie zu einer Kandidatur steht. Und die Antwort ist positiv. Aber eben: Wir haben noch nicht alle nötigen Antworten zusammen.
Welche zum Beispiel nicht?
Die Schweiz ist eine lebendige Demokratie, und wir müssen, basierend auf unserem Konzept, noch viele konkrete Antworten liefern, wenn wir weiterhin auf eine positive Unterstützung in der Bevölkerung zählen wollen. Bei der Sicherheits-Thematik ist zwischen Bund und Kantonen noch Klärungsbedarf vorhanden. Wir waren uns immer bewusst, dass das Projekt zeitlich äusserst ehrgeizig ist. Wir sind jedoch schneller vorangekommen, als wir es zu Beginn für möglich gehalten hätten. Das freut mich extrem, aber der Weg ist noch immer weit.
Was folgt noch auf diesem Weg?
Der gezielte Dialog mit dem IOC. Dieses führt neben uns noch Gespräche mit zwei weiteren Kandidaten. Ohne jetzt ins Detail gehen zu wollen: Es liegen generell noch viele Unwägbarkeiten vor uns. Das gilt es fair und transparent festzuhalten.
Die Gelegenheit, Winterspiele in der Schweiz durchzuführen, scheint vor allem für 2030 vorhanden zu sein. Ist das auch Ihre Meinung?
Ja. Die einmalige Chance besteht für 2030. So haben wir das verstanden, als man im Frühjahr von Seiten IOC an uns herangetreten ist. In einem solch einmaligen Fall ist es für mich gerechtfertigt, dass andere Events zurückstehen müssen.
Damit meinen Sie die von den Sommersportverbänden favorisierten Multisport-Europameisterschaften.
Diese sind ebenfalls für 2030 angedacht, allerdings gibt es meines Wissens noch kein konkretes Projekt. In dieser Sache sind am Freitag wohl Diskussionen zu erwarten. Dabei geht es für mich aber nicht darum, das eine gegen das andere auszuspielen. Wir möchten auch diese Multi-EM in der Schweiz. Die Frage stellt sich für mich deshalb, wie wir diese beiden Grossanlässe am besten aneinander vorbeibringen können.
Seit Ende März gab es mit dem IOC einen kontinuierlichen Dialog. Werden sich diese Kontakte intensivieren?
Hoffentlich bald. Noch vor dem Entscheid des Sportparlaments gab es eine weitere Anhörung (am Dienstag – Red.). Wir stellten uns der Future Host Commission des IOC vor. Nun ist es neben dem Sportparlament am IOC zu entscheiden, ob wir in die nächste Phase, nämlich derjenigen des gezielten Dialogs, eintreten können. Das ist der grösste Meilenstein, der nun ansteht.
Wann sollte der Bescheid vom IOC kommen?
Ende November. Danach beginnt es eigentlich erst richtig. Dann müssen wir alles, was wir bislang in Konzepten angedacht haben, konkretisieren und auf ein noch höheres Level bringen. Das gibt enorm viel zu tun. Auch hier sind die zur Verfügung stehenden sieben, acht Monate bis zur IOC-Vergabe zeitlich herausfordernd, aber auch eine Chance.
Was spricht für die Schweizer Kandidatur?
Es gibt kein nachhaltigeres Konzept als unseres, denn bei uns finden in den nächsten zehn Jahren so viele Wintersport-Weltmeisterschaften statt wie sonst in keinem anderen Land. Die Infrastruktur für 2030 steht schon überall, nachhaltiger geht es nicht.
Als wie gross beziffern Sie die Chance, dass die Schweiz den Zuschlag erhält – und nicht Frankreich oder Schweden?
«Auf 33 Prozent. Ich wähle den mathematischen und typisch schweizerisch bescheidenen Ansatz. Dass wir ein starkes, zuverlässiges und nachhaltiges Dossier haben, ist unbestritten. Auch, dass die Schweiz die Erwartungen an die Spiele der nächsten Generation, also zurück zur Natur, voll erfüllen kann. Aber es geht auch hier um einen politischen Prozess mit einem unberechenbaren Ausgang.»
Auch Swiss-Ski will das Risiko minimieren und am Ende nicht mit leeren Händen dastehen. Der Verband, dessen Präsident Sie seit langem sind, meldet Ambitionen an, 2028 die FIS Games auszutragen. Das beisst sich allerdings mit den Winterspielen 2030.
Wir von Swiss-Ski haben immer gesagt, dass das Interesse des Gesamtsports in der Schweiz für Winterspiele höher ist. Sollte das mit Olympia aber nicht klappen, dann würde Swiss-Ski die FIS Games weiterverfolgen. Dieses Projekt wäre für uns auch sehr wertvoll, es würde tolle Impulse bringen. Aber unser prioritäres Ziel ist es, ein Dossier zusammenzustellen, von dem das IOC überzeugt ist und dank dem wir den Zuschlag erhalten.
sda