Im Engadin bestreiten die Slopestyle-Spezialisten an diesem Wochenende das Weltcup-Finale. Für Nicolas Huber ist es ein Heimspiel, für Mathilde Gremaud der Abschluss eines Traum-Winters.
Das Kribbeln, das der Wahl-Engadiner Nicolas Huber vor den Wettkämpfen auf dem Corvatsch verspürt, schwingt in seinen Worten jeweils mit, wenn es um das Thema geht. Aufgewachsen in Männedorf am Zürichsee, wurde der Corvatsch in den Familienferien in St. Moritz im Kindesalter bald zu seinem Hausberg. «Ich habe so viele schöne Erinnerungen ans Engadin, es fühlt sich jedes Mal wie ein Nachhausekommen an», sagt der 29-jährige Snowboarder, der 2017 als Nobody völlig überraschend WM-Silber im Slopestyle gewann und seither vom wilden Freestyler, der «hundert Sachen gleichzeitig» machen wollte, zum fokussierten Vollprofi gereift ist.
Zum Vollprofi, der den «Kamikaze-Style» – so nennt er seinen Fahrstil, der wie die Faust aufs Auge zu seinem Naturell passt – beibehalten und den Sensations-Erfolg von damals an der WM im Vorjahr mit Bronze im Big Air bestätigt hat. Der aber vieles auf die harte Tour hat lernen müssen und einige Male «böse auf die Schnauze gefallen» ist. Zum Vollprofi, der immer noch über sich hinauswachsen muss, um es gegen die Weltelite in die Top 3 zu schaffen. Und der immer noch mit aller Vehemenz dem «Run des Lebens» auf seinem Hausberg nachjagt.
2024 soll er gelingen, im Final am Samstag, für den sich Huber am Donnerstag als einer von drei Schweizern neben den Youngstern Jonas Hasler und Jeremy Denda qualifiziert hat. Der erste Podestplatz im Weltcup im letzten Wettkampf der Saison, das ist der Plan. «Ich weiss, ich habe das Repertoire dazu», sagt Huber. Und wenn es nicht klappt, bietet sich in einem Jahr die nächste Chance für einen grossen Wurf am Corvatsch – an der Heim-WM, die für ihn keinen geringeren Stellenwert hat als die nächsten Olympischen Spiele 2026 in Norditalien. «Silvaplana wird die Krönung meiner Karriere. Ich habe die Vision und das Ziel, nochmals eine Medaille zu gewinnen», so Huber.
Drei Kugeln auf einen Streich
So hartnäckig wie Huber das Weltcup-Finale angeht, so entspannt kann Mathilde Gremaud der Saison-Derniere entgegenblicken. Für die Freiburgerin ist es das Schaulaufen zum Abschluss eines geradezu märchenhaften Traum-Winters.
Olympiasiegerin ist sie seit 2022, den WM-Titel holte sie im Vorjahr, und an den X-Games hat sie ebenfalls schon (mehrfach) reüssiert. Kristallkugeln im Weltcup haben ihr noch gefehlt. Diese holte sich Gremaud in dieser Saison auf famose Art und Weise. Drei Kugeln auf einen Schlag heimste sie ein; die grosse für den Gewinn des Gesamtweltcups der Ski-Freestylerinnen und die kleinen für die Disziplinen-Siege im Big Air und im Slopestyle, den beiden Sparten, in denen sie antritt. Acht Wettkämpfe bestritt sie im Weltcup, sechs gewann sie, zweimal war sie Zweite.
«Es in jedem Wettkampf auf das Podest geschafft zu haben, ist eine grosse Genugtuung», sagt Gremaud. Im Gegensatz zu anderen Jahren habe sie mit den Kristallkugeln als Saisonziel vor Augen nie locker gelassen, in keinem Wettkampf und auch dann nicht, wenn sie sich nicht sonderlich gut fühlte.
Dank dieser Herangehensweise ist Gremaud mit 24 Jahren auch in Sachen Konstanz das Mass der Dinge in ihrem Metier. Selbst Eileen Gu, der chinesisch-amerikanische Star der Szene, der in der Halfpipe dominiert und an den Olympischen Spielen 2022 in Peking zweimal Gold und einmal Silber gewann, hat gegen Gremaud derzeit im Slopestyle das Nachsehen. Wie an den Olympischen Spielen in China ging im Januar am Laax Open auch das einzige Kräftemessen in dieser Saison an die Schweizerin.
«Ich habe den richtigen Approach gefunden», sagt Gremaud – die richtige Herangehensweise für anhaltenden Erfolg. War sie 2022 nach Olympia-Gold und -Bronze noch in ein mentales Loch gefallen, ist sie nun ausbalanciert. Sie habe früher schwer Nein sagen können, sei nach der Saison Sponsoren-Terminen und anderen Verpflichtungen nachgegangen und nicht in allen Wettkämpfen fokussiert gewesen. «Inzwischen weiss ich, wie gut mir im Sommer Abwechslung tut, wie wichtig andere Hobbys wie Mountainbiken, Surfen oder Wandern für mich sind. Ich liebe es und brauche diesen Luftwechsel. Zudem matchen diese Lifestyles gut.»
Kein Superstar wie Eileen Gu
In Sachen Aufmerksamkeit bewegt sich Gu indes nicht nur aufgrund ihrer Herkunft in anderen Sphären. Während sich die 20-Jährige weit über den Sport hinaus vermarktet und sich auch für Hochglanz-Magazine in Szene setzt, suchte Gremaud das Rampenlicht nie auf diese Weise: «Eileen ist ein Superstar auch ausserhalb des Sports. Das will ich nicht sein.»
Dass das Interesse an ihrer Person sich dank den Kristallkugeln und dem Traum-Winter aber nicht mehr auf die wenigen Grossanlässe konzentriert und sie als Werbeträgerin gefragter geworden ist, begrüsst sie gleichwohl. «Ich glaube, die konstanten Erfolge im Weltcup haben mehr Aufmerksamkeit generiert als jene an den Grossanlässen, für mich und den ganzen Sport», sagt sie.