Frei erfundene Artikel Frau schreibt russische Geschichte auf Wikipedia neu

Von Dirk Jacquemien

15.7.2022

Bei näherem Hingucken erwiesen sich 200 Wikipedia-Artikel als gefälscht.
Bei näherem Hingucken erwiesen sich 200 Wikipedia-Artikel als gefälscht.
Keystone

Eine chinesische Wikipedia-Autorin hat mehr als 200 Artikel über fiktive mittelalterliche Geschichte geschrieben, die drei Jahre lang unentdeckt blieben.

Von Dirk Jacquemien

15.7.2022

Expert*innen für mittelalterliche russische Geschichte gibt es nicht viele in China. Das hat sich eine Wikipedia-Autorin zunutze gemacht. Über drei Jahre lang verfasste sie für die chinesische Ausgabe des Online-Lexikons knapp 200 detaillierte Artikel zu Schlachten, Aufständen und Militärführern des mittelalterlichen Russlands. Einziges Problem: Die Inhalte waren frei erfunden.

Die Artikel waren auf den ersten Blick hochprofessionell, mit ausführlichen Quellenangaben. Auf ihrem Profil beschrieb sich die Autorin mit dem Nutzernamen Zhemao als Tochter eines in Moskau stationierten chinesischen Diplomaten, die einen Doktortitel in Geschichte der Staatlichen Universität Moskau habe.

Riesiges Bergwerk gab es nicht

Zum Verhängnis wurde der falschen Historikerin ein Artikel über das Kischin-Silberbergwerk, wie «Vice» berichtet. Dort schufteten im 14. und 15. Jahrhundert knapp 40'000 Sklaven und brachten dem Grossfürstentum Twer grossen Reichtum, hiess es in dem Wikipedia-Artikel. Doch dieses Bergwerk hat es nie gegeben.

Ein Romanautor, der auf Wikipedia auf der Suche nach Inspiration für sein nächstes Werk war, fand das vermeintliche Bergwerk faszinierend und fragte bei russischen Freund*innen nach weiteren Informationen. Diese bemerkten dann, dass die von Zhemao zitierten Quellen nicht existierten.

Und so wurden dann nach und nach Zhemaos andere Artikel untersucht und als Fakes enthüllt. Sie waren dabei Wikipedia-typisch querverlinkt und bezogen sich aufeinander. Zhemao erschuf quasi ein ganzes fiktives Universum, wie man es etwa von Fantasy- oder Science-Fiction-Reihen kennt.

Mittel gegen Langeweile

Inzwischen sind alle von ihr verfassten Einträge gelöscht. Einige der Artikel wurden auch in andere Sprachen übersetzt, wodurch die falsche Geschichte auch ihren Weg in andere Wikipedien fand.

Zhemao tut die Angelegenheit heute leid. In einem Entschuldigungsschreiben schreibt sie, dass ihr als Hausfrau einfach langweilig wurde. Ihr Ehemann sei meistens ausser Haus, ausserdem habe sie keine Freund*innen. Sie verspricht, künftig keine solchen «sinnlosen Dinge» mehr zu tun.