Hausgemachter Absturz Die Angst des Regimes lähmt Chinas Tech-Industrie

Von Dirk Jacquemien

3.10.2022

Der chinesische Staat schaut  Tech-Giganten besonders genau auf die Finger.
Der chinesische Staat schaut  Tech-Giganten besonders genau auf die Finger.
Getty Images

Ein Alkoholhersteller hat den Tech-Giganten Tencent als grösstes chinesisches Unternehmen überholt. Die Tech-Branche ist in Ungnade gefallen.

Von Dirk Jacquemien

3.10.2022

Baijiu ist die meistkonsumierte Spirituose der Welt – populär bei chinesischen Feierlichkeiten jeglicher Art – und das Kernprodukt des Unternehmens Kweichow Moutai. Am Freitag wurde es das wertvollste Privatunternehmen Chinas und stiess damit Tech-Gigant Tencent vom Thron.

Tech-Firmen wie Tencent, Alibaba oder JD.com waren bis vor kurzem ähnlich wie ihre Konkurrenten im Westen die grössten Privatunternehmen des Landes, mit stetig steigenden Aktienkursen.

Doch in den vergangenen Jahren ging es fast nur noch bergab mit chinesischen Tech-Unternehmen, lange bevor es in diesem Krisenjahr auch US-Konkurrenten an den Kragen ging. Doch hier stellen Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon und Tesla weiterhin die fünf grössten Unternehmen, ihre relative Dominanz bleibt intakt. Der Niedergang der chinesischen Tech-Branche ist dagegen hausgemacht.

623 Milliarden Dollar futsch

Tencent, das etwa hinter WeChat steht und zahlreiche Videospiel-Entwickler besitzt, hat seit Januar 2021 64 Prozent seines Werts verloren. Das entspricht 623 Milliarden Dollar, mehr als jedes andere Unternehmen der Welt, wie «Bloomberg» berichtet.

Die chinesischen Behörden haben es Tencent nicht leicht gemacht. Für die Veröffentlichung eines Videospiels braucht es eine Lizenz. Für viele neue Tencent-Spiele gab es diese nicht oder nur mit grosser Verzögerung. Das schränkte Tencents Geschäfte in der Heimat massiv ein, das Unternehmen will nun verstärkt westliche Videospiel-Entwickler übernehmen.

Partei will Macht sichern

Die regulatorischen Schwierigkeiten Tencents mögen zu einem gewissen Teil in echten Sorgen der Behörden etwa um den Jugendschutz begründet sein. Zu einem weit grösseren Teil dürften allerdings politische Motive dahinter stehen, da die Tech-Konzerne zu mächtig wurden und die Stellung von Partei und ihrem obersten Führer Xi Jinping gefährden könnten.

Xi will sich diesen Monat auf dem alle fünf Jahre abgehaltenen Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas eine dritte Amtszeit sichern, als erster chinesischer Führer seit Mao Zedong. Die Sicherung der eigenen Macht hat für Xi offensichtlich Priorität vor dem Wohlergehen der Wirtschaft.

Tech-Chefs leben in Angst

Noch stärker als Tencent mussten das Alibaba und dessen Chef Jack Ma spüren. Der Börsengang einer Alibaba-Tochter für Finanzdienstleistungen wurde Ende 2020 im letzten Moment von den Behörden gestoppt. Ma verschwand für mehrere Monate komplett von der Bildfläche, so dass Gerüchte aufkamen, er sei inhaftiert worden. Der einst für chinesische Verhältnisse sehr gesprächige Ma ist inzwischen handzahm geworden.

Die Furcht ist auch bei anderen chinesischen Tech-Chefs zu spüren. Zhang Yiming, der Gründer von TikTok-Betreiberin ByteDance, soll laut «The Information» nun schon seit längerer Zeit in Singapur leben. Seine formelle Stellung als CEO hat er aufgegeben, mutmasslich um sich weniger angreifbar für die Behörden zu machen. Im Hintergrund soll er aber weiterhin die Fäden ziehen.