Soziologin zum Facebook-Ausfall «Ohne Whatsapp ist man nicht mehr handlungsfähig»

Von Andreas Fischer

5.10.2021

Millionen Menschen mussten am Montag eine Zwangspause von Facebook und Whatsapp einlegen.
Millionen Menschen mussten am Montag eine Zwangspause von Facebook und Whatsapp einlegen.
Bild: Keystone

Die ganze Welt dreht sich um Facebook. Erst recht, wenn das soziale Netzwerk nicht funktioniert. An dem ganzen Rummel sind wir nicht ganz unschuldig, sagt die Zürcher Soziologin Katja Rost.

Von Andreas Fischer

Die Corona-Krise, Kriege und der Klimawandel waren plötzlich Nebensache: Als sich Facebook gestern Abend selbst den Stecker zog, gab es kein wichtigeres Thema in den Nachrichten. Nach sechs Stunden war die Störung zwar behoben, aber auch heute bestimmt der Facebook-Ausfall die Schlagzeilen.

Klar, es waren mit Facebook und den Schwesterfirmen Instagram und Whatsapp grosse soziale Netzwerke offline. Aber muss deswegen gleich die Welt stillstehen? Wir haben bei Katja Rost, Professorin für Soziologie an der Universität Zürich, nachgefragt.

Zur Person
zVg / John Flury, obsoquasi.ch

Katja Rost ist seit 2012 Professorin an der Universität Zürich. Die Soziologin beschäftigt sich schwerpunktmässig unter anderem mit digitaler Soziologie und sozialen Netzwerken.

Frau Rost, waren Sie gestern betroffen vom Facebook-Ausfall?

Nein, ich bin nicht auf Facebook. Und dass Whatsapp ausgefallen war, habe ich nicht bemerkt. Das bekommt man ja nur mit, wenn man eine Whatsapp-Nachricht schreibt.

Dabei schien das Leben gestern stillzustehen: Es gab am Abend und heute Vormittag kein wichtigeres Thema in den Nachrichten. Wie erklären Sie sich, dass die Welt durchdreht, wenn ein soziales Netzwerk ausfällt?

Das liegt im Grösseneffekt und im Netzwerkeffekt begründet. Durch die Digitalisierung sind riesige Konglomerate von Unternehmen möglich geworden: Facebook ist als Organisation fast mächtiger als ein Nationalstaat. Insofern ist es auf jeden Fall eine Meldung wert, wenn das Unternehmen vom Netz ist. Von der wirtschaftlichen Grösse her ist der Ausfall damit vergleichbar, dass ein Land wie Deutschland komplett flach liegt.

Und der andere Grund?

Der steckt schon in der Bezeichnung: «soziales Netzwerk». Wir sind total abhängig geworden davon, gestalten quasi unser soziales Leben mit Facebook und Co. Damit ist nicht nur Spass und Unterhaltung gemeint. Es wird auch viel Organisatorisches über Facebook und Whatsapp geregelt. Wenn diese Netzwerke ausfallen, merken wir erst, wie abhängig wir von ihnen sind. Und das ist ein Problem. Wir kennen keine Alternativen mehr für diese Art von Kommunikation.

Könnte man sagen, dass wir uns der Macht von Facebook ergeben?

Ja und nein. Es gibt durchaus Alternativen. Aber: Netzwerkprodukte wie Facebook leben davon, wie viele Menschen in dem Netzwerk aktiv sind. Als Nutzer ist es nur folgerichtig zu dem Produkt zu gehen, das auch die meisten Freunde nutzen. Alternativen nützen also nichts, wenn sie niemand aus meinem Umfeld benutzt. So wie mir ein Telefon nichts nützt, wenn niemand sonst einen Anschluss hat.



Insofern ist der Ausfall natürlich dramatisch: Viele Menschen kann man über andere Medien gar nicht mehr erreichen. Weil man schlichtweg ihre Telefonnummer oder E-Mail-Adressen nicht hat, weil die Kommunikation bisher nur über ein soziales Medium lief.

Geraten die Lebenswelten wirklich ins Wanken? Sind wir nichts mehr ohne soziale Netzwerke?

Wir sind schon noch viel ohne diese Netzwerke. Aber die Menschen organisieren online das Offline-Leben. Sportvereine oder Eltern sind ganz einfache Beispiele: Da laufen Absprachen, An- und Abmeldungen, Termine über Whatsapp und Facebook. Auch familienintern wird mittlerweile viel über soziale Netzwerke geregelt. Wenn Facebook und Whatsapp nicht funktionieren, dann fällt das alles flach und man ist nicht mehr handlungsfähig.

Welche Möglichkeiten gibt es, sich die Handlungsfähigkeit unabhängig von sozialen Netzwerken zu bewahren?

Wir müssen wieder mehr auf traditionelle Kommunikationsformen zurückgreifen, sprich Telefonnummern und Adressen austauschen. Dann verabredet man sich, so wie man es früher gemacht hat, vielleicht auch mal unabhängig vom Wetter. Was man mittlerweile aber erlebt: Vielen ist das zu umständlich, weil die «Transaktionskosten» höher sind. Es ist eben einfacher, eine kurze Nachricht in den Gruppenchat zu schreiben. Im Endeffekt macht uns unsere eigene Bequemlichkeit abhängig von sozialen Netzwerken.

Wenn viele Individuen denselben Fehler machen, wird dann die ganze Gesellschaft abhängig?

Das ist so. Firmen wie Facebook haben dadurch mittlerweile eine Monopolstellung. Aus gesellschaftlicher und aus wirtschaftlicher Sicht ist das für eine Gesellschaft kontraproduktiv. Monopole sind nie gut. Nicht für die Demokratie, nicht für die Konsumenten. Das Problem ist: Die Technologie von Konzernen wie Facebook, Google oder Amazon baut auf Netzwerkeffekten auf: Wenn viele Leute dasselbe Produkt nutzen, entstehen «Winner Takes It All»-Märkte, und ein einzelner Konzern setzt sich durch.

Also gibt es neben den sozialen auch wirtschaftliche Auswirkungen?

Richtig. Es ist auch längst nicht mehr alles umsonst bei sozialen Netzwerken: Daran hängen viele Folgeprodukte. Man denke nur an die ganzen Backups, die man machen muss oder an die technischen Endgeräte, die man benötigt. Dafür müssen die Konsumenten zahlen. Ausserdem werden immer mehr kleine Anbieter vom Markt verdrängt. Unter anderem, weil die Leute sagen: Es lohnt sich nicht, auf eine lokale Zürcher Plattform zu gehen, wenn ich mit einem globalen Netzwerk meine Sachen auch in Bern oder Berlin loswerden kann.



Dadurch kommt es zu Konzentrationseffekten, die den Unternehmen sehr viel Macht verleihen – auch gegenüber Arbeitnehmenden und dem Staat. Es entsteht eine gewisse Asymmetrie zwischen Unternehmen auf der einen Seite und Nationalstaaten und Gesellschaften auf der anderen Seite.

Das hört sich so an, als wären wir Facebook quasi ausgeliefert …

Das kann man durchaus so sagen. Alle Versuche, Konzerne wie Facebook zu regulieren oder zu aufzusplitten, waren bisher erfolglos.