Staatlicher Blackout Wie der Internet-Zugang gekappt wird, um Protest zu ersticken

AP

16.2.2021 - 00:00

Menschen demonstrieren in Yangon, der grössten myanmarischen Stadt, gegen den Putsch: Solche Bilder sind dem mächtigen Militär ein Dorn im Auge.
Menschen demonstrieren in Yangon, der grössten myanmarischen Stadt, gegen den Putsch: Solche Bilder sind dem mächtigen Militär ein Dorn im Auge.
Bild: Keystone/EPA

Um Kritik zu unterdrücken oder Demonstrationen zu verhindern, kappen autoritäre Regime weltweit immer häufiger den Zugang zum Internet. Experten sind besorgt, dass das Beispiel Schule machen könnte.

Als sich das Militär in Myanmar an die Macht putschte, sperrte es kurzzeitig den Zugang zum Internet – offenbar im Bemühen, Proteste auszubremsen. In Uganda konnten die Menschen nach der Präsidentenwahl wochenlang weder Facebook, Twitter noch andere soziale Medien nutzen. Und die äthiopische Konfliktregion Tigray ist bis heute offline.

Drei aktuelle Beispiele, ein und dasselbe Muster: Weltweit greifen autoritäre Regime sowie einige nicht-liberale Demokratien zunehmend zum Mittel der Internetsperre. Was sie damit bezwecken, liegt für Netzaktivisten auf der Hand: Widerstand unterdrücken, kritische Stimmen zum Schweigen bringen oder Menschenrechtsverletzungen vertuschen. Die Experten warnen vor einer Beschränkung der Meinungsfreiheit.

Früher das TV-Programm übernommen, heute das Netz

Häufig seien die Massnahmen eine Reaktion auf Proteste oder Unruhen, vor allem im Umfeld von Wahlen, sagen Forscher. Die Regime versuchten, über eine Begrenzung des Informationsflusses ihre Macht zu erhalten. Der Eingriff sei das digitale Äquivalent zur Übernahme von Fernseh- und Radiosendern, wie sie in der Zeit vor dem Internet von Despoten und Rebellen praktiziert wurde.

In den vergangenen Jahren seien Internetsperren häufig nicht gemeldet worden, sagt Alp Toker, Gründer der Überwachungsorganisation Netblocks. Doch inzwischen würden solche Massnahmen unter anderen von seiner Organisation verstärkt dokumentiert, sodass das ganze Ausmass deutlich werde.



Die in Grossbritannien ansässigen Forschungsgruppe Top10VPN, die sich mit Datenschutz und Sicherheit im Internet beschäftigt, zählte im vergangenen Jahr 93 grössere Abschaltungen in 21 Ländern. Dazu gehörten umfassende Blackouts, Sperren sozialer Netzwerke und starke Drosselungen der Internetgeschwindigkeit. Länder wie China und Nordkorea, wo die Regierung das Netz streng kontrolliert oder beschränkt, sind nicht aufgeführt.

Wer hat die Kontrolle über das Web?

Internetbeschränkungen ziehen nach Warnung von Experten negative politische, wirtschaftliche und humanitäre Konsequenzen nach sich. Diese Effekte werden verstärkt durch Lockdowns wegen der Corona-Pandemie, in denen etwa Schulunterricht online stattfindet.

Die repressiven Massnahmen der Regime lenken die Aufmerksamkeit auf ein breiteres Ringen um die Kontrolle des Netzes. Im Westen wecken Bemühungen, soziale Medien im Zaum zu halten, einerseits Sorgen vor einer Beschränkung der Meinungsfreiheit. Andererseits wachsen auch Bedenken über die zunehmenden schädlichen Informationen im Netz, die autoritären Regimen manchmal als Rechtfertigung für ein hartes Vorgehen dienen.

In Myanmar wurde der Zugang zum Internet am vergangenen Wochenende für 24 Stunden gekappt – offenbar, um Proteste gegen den Militärputsch und die Festsetzung von De-facto-Staatschefin Aung San Suu Kyi zu verhindern. Am Sonntagnachmittag standen Handynutzern plötzlich wieder mobile Daten zur Verfügung.

Nach Angaben der norwegischen Telefongesellschaft Telenor ASA, die einen der wichtigsten Mobilfunkanbieter in Myanmar betreibt, gab das Kommunikationsministerium als Grund für die vorübergehende Abschaltung an, dass Falschnachrichten im Umlauf seien. Telenor sah sich nach eigenen Angaben gezwungen, dortige Gesetze einzuhalten.

Belarus: Erste Internet-Zensur in Europa

Das Vorgehen der Regierung in Myanmar ist altbekannt. Sie hatte in den myanmarischen Staaten Rakhine und Chin einen der weltweit längsten Internet-Shutdowns verhängt, um die Aktivitäten einer bewaffneten ethnischen Gruppen zu stoppen. Die Massnahme begann im Juni 2019 und wurde erst am 3. Februar aufgehoben.



Auch in der äthiopischen Konfliktregion Tigray gilt schon länger eine Online-Sperre, ein Ende ist nicht absehbar. Daher ist es schwierig, die Zahl der getöteten Zivilisten, das genaue Ausmass der Gefechte und die Not der Menschen zu erfassen.

In Uganda wurden Plattformen wie Twitter, Facebook und Youtube vor der Präsidentenwahl am 14. Januar beschränkt. Am Vorabend wurde das Internet vollständig abgeschaltet. Damit sollten Anhänger der Opposition davon abgehalten werden, potenziell gefährliche Proteste zu organisieren, wie die Behörden zur Begründung erklärten. Die Sperren wurden am Mittwoch mit Ausnahme von Facebook aufgehoben.

In Belarus waren die Menschen nach der umstrittenen Präsidentenwahl vom 9. August 2020 für 61 Stunden zwangsweise offline. Es war der erste Internet-Blackout in Europa. Die Sperre erfolgte nach der Bekanntgabe des Wahlsiegs des autoritären Präsidenten Alexander Lukaschenko, die Massenproteste nach sich zog. Der Zugriff auf Online-Dienste blieb monatelang instabil, vor allem während Demonstrationen an den Wochenenden, als das mobile Internet wiederholt zusammenbrach.

Häufen sich die Fälle bald?

Experte Toker warnt davor, dass regelmässige Shutdowns zur Normalität werden könnten. Er sehe die Gefahr, dass sich sowohl die Öffentlichkeit im jeweiligen Land als auch die internationale Gemeinschaft an solche staatlichen Massnahmen gewöhnen könnten. Er sprach vom «grössten Risiko für unsere kollektive Freiheit im digitalen Zeitalter».

Darrell West von der Denkfabrik Brookings Institution beklagt, dass Internetsperren inzwischen zunehmend in demokratischen Ländern wie Indien zu beobachten seien. «Das Risiko besteht darin, dass andere versucht sein werden, es genauso zu machen, sobald eine Demokratie es getan hat», erklärt er. «Es könnte auf lokaler Ebene anfangen, um Unruhen in den Griff zu bekommen, dann aber weiter um sich greifen.»

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