Spielekritik «Yakuza: Like A Dragon»: Ein fast perfekter Ausflug in Japans Unterwelt

Von Domagoj Belancic

10.11.2020

Volltreffer! In der Spielwelt von “Yakuza” lässt man am besten seine Fäuste (oder Baseballschläger) sprechen.
Volltreffer! In der Spielwelt von “Yakuza” lässt man am besten seine Fäuste (oder Baseballschläger) sprechen.
Sega

Der neueste Ableger der langjährigen Mafia-Spieleserie bleibt sich trotz zahlreicher Gameplay-Neuerungen treu. Das Game nimmt den Spieler mit auf eine irrwitzige Reise durch Japans Unterwelt, die man so schnell nicht vergessen wird.

Es ist dunkel. Ich laufe durch die belebten Strassen einer japanischen Grossstadt. Grelle Neon-Reklamen und dubiose Strassenverkäufer buhlen um meine Aufmerksamkeit. Mein Blick schweift aber zu einer Gruppe muskulöser Männer mit bunten Tätowierungen. Definitiv Yakuza.Sie laufen langsam, aber zielgerichtet und bedrohlich auf mich zu. Plötzlich gestikulieren sie wild und fordern mich zu einem Kampf heraus. Das wird ihnen noch leid tun.



Solche Szenen sind Fans der alten «Yakuza»-Spiele gut bekannt. In insgesamt acht Games haben Spieler in der Rolle des grimmigen Muskelprotzes Kiryu Kazuma zahllose zwielichtige Gestalten verprügelt und um die Vorherrschaft in der japanischen Mafia-Unterwelt gekämpft.

Auch in «Yakuza: Like A Dragon» müssen wieder unzählige Gegner mit Fäusten zur Vernunft gebracht werden - jedoch mit ein paar entscheidenden Neuerungen.

Neue Helden braucht das Land

Der Hauptprotagonist der alten Games ist im Ruhestand und überlässt einem neuen charismatischen Helden die Bühne: Ichiban Kasuga. Und dessen Geschichte hat es in sich.

Um seine Loyalität gegenüber dem Patriarchen und seinem Clan zu beweisen, tritt der niedrig rangierte Yakuza-Neuling zu Beginn des Spiels freiwillig eine Haftstrafe von über 15 Jahren an. Für einen Mord, den er nicht begangen hat. Alles zum Wohle des Clans.



Als wäre das nicht schon schlimm genug, wird Kasuga nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis von seinem Patriarchen hintergangen und beinahe ermordet.

Auf der Suche nach der Wahrheit hinter dem Verrat durchstreift Kasuga im Verlauf des Spiels die Strassen von Yokohama. Im Vergleich zu den Spielwelten aus den Vorgängern (Tokyo und Osaka), wirkt die Hafenstadt deutlich grösser, detaillierter und belebter.

Doch die vielleicht bedeutendste Neuerung in «Yakuza: Like A Dragon» offenbart sich, sobald der Kampf gegen die bunt tätowierten Yakuza-Schergen beginnt…

Strategische Prügeleien

Im Gegensatz zu den Echtzeit-Kämpfen der alten Games, prügelt sich der Spieler in «Yakuza: Like A Dragon» in rundenbasierten Kämpfen. Wo man sich früher noch mit schnellen Tastenkombinationen und Ausweichmanövern durch Dutzende von Gegnern kämpfen konnte, muss neu jeder Spielzug mit Bedacht geplant werden.

Wer schon mal klassische japanische Rollenspiele wie «Persona», «Dragon Quest» oder auch «Pokémon» gespielt hat, wird sich im neuen Kampfsystem pudelwohl fühlen.

Der Spieler kann pro Spielzug entweder mit unspektakulären Standardangriffen oder mit besonders abgedrehten «Skills» in den Angriff gehen. Erstere können zwar beliebig oft eingesetzt werden, richten aber nur mässig Schaden an. Zweitere sind nur begrenzt einsetzbar, richten aber mehr Schaden an und können für strategisch wertvolle Statuseffekte sorgen (Verbrennungen, Schlaf, Paralyse, etc.).

Zusätzlich unterstützt wird Kasuga im Kampf von bis zu drei Teammitgliedern, die er im Verlauf der Story kennenlernt. Jeder Charakter hat seine eigenen Angriffe, Stärken und Schwächen und kann im Kampf eine wichtige strategische Rolle einnehmen.

Die rundenbasierten Kämpfe erfinden das Rollenspiel-Rad nicht neu, machen aber aufgrund der masslos übertriebenen Inszenierung und visuellen Effekte extrem viel Spass. Trotzdem wünscht man sich vor allem im späteren Verlauf des 40 bis 50 Stunden langen Games ein bisschen mehr Abwechslung und strategische Tiefe im Rollenspielsystem.

Angriff der Killer-Krabben: Das Heraufbeschwören giftiger Krustentiere gehört definitiv zu den absurderen Attacken.
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Sega

Jobsuche mal anders

Neben den zahlreichen freischaltbaren Waffen und Ausrüstungsgegenständen kann das neue Jobsystem für ein bisschen Abwechslung im Kampfalltag sorgen.

Je nachdem welchen Jobs die einzelnen Teammitglieder nachgehen, ergeben sich spannende strategische Kombinationen im Kampf. Beispielsweise kann ein Koch Feuerangriffe einsetzen und Gegner verbrennen, und ein «Idol» kann sich und seine Teammitglieder heilen.

Die Jobs können zwar jederzeit und beliebig oft beim Arbeitsamt gewechselt werden, aber das Game entmutigt den Spieler mit zeitaufwendigen Hürden, zu sehr mit der Jobkonstellation zu experimentieren.



Bei einem Jobwechsel fängt die jeweilige Spielfigur quasi wieder bei Null an und verliert wichtige defensive und offensive Attribute sowie den Zugang zu bereits freigespielten Waffen. Zudem müssen die wirklich mächtigen Angriffe und Skills eines neuen Jobs zunächst mühsam freigespielt werden.

Vor allem im späteren Verlauf des Spiels kann man sich aufgrund der unglaublich starken Gegner einen experimentellen Jobwechsel oft nicht mehr leisten - ausser man ist gewillt, unzählige Stunden in das Upgraden des neuen Jobs zu investieren.

So viele Ablenkungen, so wenig Zeit

Abseits der zahlreichen Kämpfe können sich Kasuga und seine Teammitglieder in diversen Nebenaktivitäten die Zeit vertreiben.

Notorische Sammler werden an jeder Strassenecke mit diversen sammelbaren Gegenständen bei Laune gehalten und Minispiel-Liebhaber werden mit einer unglaublichen Bandbreite an Freizeitaktivitäten bespasst. Von einem Go-Kart-Grand-Prix über Kinobesuche bis hin zu einer überraschend komplexen Wirtschaftssimulation (in der Kasuga einen kleinen Familienbetrieb managen muss) ist alles dabei.

Leider kann die grosse Anzahl an Nebenaktivitäten und sammelbaren Gegenständen bisweilen überwältigend und anstrengend wirken - vor allem weil viele Aktivitäten mit einem immensen Zeitaufwand und teilweise repetitiven Aufgaben verbunden sind. Als Spieler fühlt man sich in der Fülle an zeitraubenden Optionen deshalb oft verloren.

Ein grösserer Fokus auf die Qualität statt auf die Quantität der Aktivitäten hätte dem sonst schon sehr umfangreichen Spiel gut getan.

Mit Vollgas voraus! Nicht alle Nebenaktivitäten sind so kurzweilig wie der Go Kart Grand-Prix.
Mit Vollgas voraus! Nicht alle Nebenaktivitäten sind so kurzweilig wie der Go Kart Grand-Prix.
Sega

Eine fast perfekte Mischung

Egal ob man sich nun durch die Haupt-Story kämpft, Minispiele absolviert oder Nebenmissionen in Angriff nimmt, «Yakuza: Like A Dragon» versprüht in jeder Situation einen unvergleichlichen Charme, der nicht nur in der Videospielwelt seinesgleichen sucht.

Kein anderes Game schafft es eine eigentlich hochdramatische und ernste Story so erfolgreich mit unglaublich absurden und lächerlichen Elementen zu vermischen.

Wären da nicht die unnötig zeitraubenden und repetitiven Gameplay-Elemente, wäre «Yakuza: Like A Dragon» ein perfekter Ausflug in die japanische Unterwelt und ein durchaus ernstzunehmender Anwärter auf das Spiel des Jahres.

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