Per App zum Doktor Doktor per App: Wie das Smartphone in Tansania Kinderleben rettet

Swisscom

26.10.2018

«Afrikaner gehen nur zum Arzt, wenn sie wirklich krank sind», sagt der Kinderarzt Thomas Finkbeiner.
«Afrikaner gehen nur zum Arzt, wenn sie wirklich krank sind», sagt der Kinderarzt Thomas Finkbeiner.
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In Tansania leben 50 Millionen Menschen, die Hälfte von ihnen ist jünger als 15 Jahre. Für sie stehen weniger als 100 Ärzte zur Verfügung. Jeder zweite aber besitzt ein Handy. Was liegt also näher als eine Sprechstunde per Video? Das hat sich der Kinderarzt Thomas Finkbeiner gefragt – und baut nun Telemedizin im ostafrikanischen Land auf.

Serengeti, Kilimandscharo und Sansibar – das alles klingt nach Tiersafari und Aktivferien in einer der beliebtesten Touristendestinationen Afrikas: Tansania. Das ostafrikanische Land punktet mit attraktiven Highlights für Besucher und offenbart zugleich bedrückende Schattenseiten für die einheimische Bevölkerung. Hier leben rund 50 Millionen Menschen, von denen die Hälfte jünger als 15 Jahre alt ist. Für sie stehen bei Bedarf weniger als 100 Ärztinnen und Ärzte zur Verfügung. Mit anderen Worten: Die meisten Kinder in Tansania haben keinerlei Chance auf medizinische Betreuung. Das will Thomas Finkbeiner ändern, zumindest ein Stück weit.

Der 53-Jährige ist selbst Kinderarzt und sein Thema heisst «Telemedizin». Vereinfacht gesagt geht es dem gebürtigen Schwaben darum, Eltern in Afrika, deren Kind erkrankt ist, übers Handy rasch medizinisch weiterzuhelfen. Nicht nur wenigen, sondern möglichst vielen. Ein ambitioniertes Projekt. Es geht vor allem um präklinische Triage, damit Eltern eine informierte Entscheidung treffen können. In der Schweiz wird Digitalmedizin schon seit den 1990er-Jahren betrieben. Die Krankenkassen unterstützen Videoberatungen, E-Rezepte oder Austausch elektronischer Bildbefunde. In Deutschland hemmen der Datenschutz und das Fernbehandlungsverbot bislang noch die E-Health-Entwicklung.

Thomas Finkbeiner, Kinderarzt aus Tübingen
Thomas Finkbeiner, Kinderarzt aus Tübingen
Sebastian Berger


Eigentlich könnte es sich Finkbeiner gut gehen lassen in seiner Praxis im beschaulichen Tübingen, wo er auch studiert und seinen Facharzt gemacht hat. Hier treffen wir ihn bei einem Italiener am Neckarufer. In seiner Freizeit zieht es den Familienvater mit Fitnesstracker am Armgelenk am liebsten nach Graubünden zum Tourenski. Bücher gehören ebenfalls zu seinem Leben, derzeit liest er «Die Hauptstadt» von Robert Menasse. Ein provozierender Roman über die Zukunft der EU. Warum also Telemedizin in Tansania?

«Ich bin neugierig. Und wenn man im humanitären Bereich etwas bewirken kann, dann ist das sehr befriedigend», erklärt er und wippt ein bisschen ungeduldig mit dem Stuhl. Thomas Finkbeiner trägt Drei-Tage-Bart und einen Ring im linken Ohr, er spricht schnell und konzentriert. Sein Lebenslauf im Netz ist ziemlich lang. Ein Mann, der viel zu bieten hat: Facharzt, Notfallmediziner, Epidemiologe und Gesundheitsökonom mit US-Masterabschluss in Public Health. Praxiseinsätze in diversen afrikanischen Ländern, ein bewährter Krisenmanager, auf jeden Fall ein Unternehmergeist und mittlerweile ein Familienmensch.

Berater für Regierungen

Beginnen wir mit dem Unternehmer. Finkbeiners Projekt ist auch aus einem Business erwachsen, genauer aus der Beratungstätigkeit der Firma Capsele, die er 2011 in Dar es Salaam gegründet hat, und die heute in Tübingen registriert ist. Der Geschäftsmann Finkbeiner, der sich in seiner Arztpraxis mit Jeans und Polohemd wohlfühlt, berät Regierungen und internationale Organisationen im Gesundheitsbereich. Auf seiner Referenzliste findet man so renommierte Kunden wie die Weltbank, die Gates-Stiftung, die Henry-Jackson-Stiftung oder die Abbott Foundation.

Oft geht es bei seinen Aufträgen darum, durch online-basierte Lösungen den Zugang zu medizinischer Versorgung für Patienten zu verbessern. «Ja, ich bin ein Technikfreak», antwortet er auf Nachfrage. Es reizt ihn, neue Ideen weiterzuentwickeln, «out of the box», wie es auf seiner Website heisst. Ohne Kommunikationstechnologie geht da wenig.

Per Handy einen Arzttermin buchen, gehört in Tansania zum Alltag.
Per Handy einen Arzttermin buchen, gehört in Tansania zum Alltag.
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Tansania ist ein guter Ort dafür. Hier hat jeder zweite ein Handy oder Smartphone, die Abdeckung des Mobilfunknetzes wird ständig verbessert und erreicht heute schon 4G-Standard. Was liegt näher als eine Arztsprechstunde per Video? Finkbeiner hat dafür mit seiner Firma die «Online-Plattform DOC-2-GO.com» entwickelt, die er nun nach guten Testerfahrungen massiv ausweiten will. Ein Schweizer Investor ist interessiert, auch die Regierungsbehörden in Tansania haben endlich grünes Licht gegeben. Finkbeiner ist über Jahre drangeblieben.

Es braucht mehr Ärzte

Die Komponenten hat er anfangs selbst zusammengebaut. Eltern buchen per Handy einen Termin, die Beratung durch einen Arzt, der theoretisch irgendwo auf der Welt sitzen kann. Dann wird über ein Bezahlmodul abgerechnet, zu marktüblichen Preisen. «In Tansania erledigen wir 80 Prozent aller Patientenkontakte online, inklusive Zweitmeinung. Meist geht es ganz allgemein um die kindliche Entwicklung oder um typische Infektions-, Magen-Darm- und Hautkrankheiten.» Werden Laborwerte gebraucht oder der Fall liegt komplizierter, kann man die Familie an einen «Point of Care» mit Hilfspersonal überweisen. Immerhin. «Wir brauchen noch mehr erfahrene Mediziner, die die Sprache sprechen und die Kultur verstehen.» Thomas Finkbeiner hat die vielen tansanischen Ärzte im Kopf, die im Ausland leben oder bereits an einem Gesundheitsprojekt in der Heimat beteiligt waren.

Der Unternehmer Finkbeiner denkt weiter: Warum nicht den rund 50'000 Touristen, die jedes Jahr den Kilimandscharo besteigen wollen, eine Versorgung via App anbieten? Mit der Gebühr will er die Telemedizin ausbauen und Tansanier subventionieren, die sich gar keine Behandlung leisten können. 150'000 Patienten könnten so in einem ersten Schritt erreicht werden. Finkbeiner ist ein analytischer Typ.

«Afrikaner gehen nur zum Arzt, wenn sie wirklich krank sind. In Tübingen erlebe ich schon auch Eltern, die am liebsten die komplette Verantwortung an die Mediziner abgeben und teilweise nicht mal mehr selbst zuhause Fieber messen.» Er schüttelt den Kopf: «Patienten können und sollten mehr Eigenverantwortung übernehmen für ihre Gesundheit.» Jetzt spricht der Gesundheitsökonom und Krisenmanager. Seit 1994 hat er in Sierra Leone, Ruanda, Tansania oder im Kongo aus dem Nichts die medizinische Versorgung von Flüchtlingen organisiert, Kindersoldaten und Traumatisierte behandelt.

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Leben retten – «mach mal!»

Über zehn Jahre war er mehrfach für «Ärzte ohne Grenzen» im Einsatz. «Eine sehr intensive Zeit, ich habe Leben retten können, meine Arbeit hatte unmittelbar sichtbare Wirkung. Das habe ich später so direkt nie mehr erlebt.» Im Auftrag der US-Regierung ̶ nach harten Auswahltests für ein globales Anti-Aids-Programm ̶ übernahm Finkbeiner später Verantwortung für die Behandlung von bis zu 300 000 HIV-Patienten in Tansania. «Es hat mich fasziniert, Standards zu erarbeiten, um täglich 5000 Menschen in einer Ambulanz zu behandeln.» Der Auftrag «mach mal!» ist ihm sehr vertraut. «Ich würde Einsätze in Bürgerkriegsregionen nicht ein Leben lang machen, aber damals war ich allein und noch ohne Kinder.»

Heute ist er selbst ein Familienmensch. Hat er nie das Risiko gescheut? «Doch», sagt Thomas Finkbeiner, «ich mache mir ein Risiko immer bewusst.» Daher leben Sohn (5) und Tochter (3) auch seit kurzem in Tübingen und nicht mehr in Dar es Salaam, der Heimat seiner Frau Beatrice. Er hat die tansanische Unternehmerin 2006 im Flieger kennengelernt. Das Pendlerdasein zwischen Deutschland und Tansania ist für ihn nichts Besonderes. «Ich bin sehr flexibel, als Beamter könnte ich nicht arbeiten.»

Mit dem Lieblingsarzt im Video-Chat

Die Telemedizin ist heute ein etablierter Bestandteil des Gesundheitssystems. Weltweit soll sich die Zahl der Telemedizinpatienten 2018 gegenüber dem Vorjahr auf 7 Millionen verdoppeln. In der Schweiz sind 13 Prozent der Bevölkerung in einem Telmed-Modell krankenversichert und bezahlen dadurch tiefere Prämien. Pionierin für telemedizinische Dienstleistungen in der Schweiz ist Medgate – ein Unternehmen, an dem auch Swisscom als Anbieterin für eHealth-Gesamtlösungen beteiligt ist.

Medgate verzeichnet an Spitzentagen bis zu 5000 Patientenkontakte. Dabei helfen die 90 Telemediziner längst nicht mehr nur telefonisch weiter. Wer will, kann per App auch eine Videokonsultation vereinbaren und Bilder oder ein kurzes Video hochladen, die sich der behandelnde Arzt anschaut, bevor er den Patienten kontaktiert. Nach der erfolgten Arztkonsultation hat der Patient die Möglichkeit, die Qualität der Beratung und Behandlung zu bewerten. Möchte er zukünftig wieder vom gleichen Arzt behandelt werden, fügt er diesen ganz einfach als Lieblingsarzt hinzu.

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Hinweis: Dieser Artikel erschien als Teil der Serie «Innovationsweltreise» in einer Kooperation von Swisscom mit der NZZ-Gruppe. «Bluewin» ist ein Produkt der Swisscom (Schweiz) AG. Die Bluewin-Redaktion berichtet regelmässig über neue Produkte und Dienstleistungen von Swisscom.

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