Soziale Medien Neonazis nutzen Facebook – und verdienen damit Geld

AP/toko

30.9.2021 - 21:34

Teilnehmer einer Neonazi-Demonstration in Deutschland werden von der Polizei begleitet.
Teilnehmer einer Neonazi-Demonstration in Deutschland werden von der Polizei begleitet.
Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa

Immer wieder betont die Social-Media-Plattform, sie lösche extremistische Inhalte. Recherchen zeigen jedoch, dass viele Profile von rechten Gruppen bis heute aktiv sind. Aus Sicht von Experten wäre ein noch konsequenteres Vorgehen aber ebenfalls problematisch.

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Der «Kampf der Nibelungen» war ein wichtiger Treffpunkt für Rechtsextremisten aus ganz Europa. Zweimal wurde die Veranstaltung zuletzt von den deutschen Behörden verboten. Im Internet sind die Organisatoren aber weiter präsent – auch in grossen Netzwerken wie Facebook, Instagram und YouTube. Sie nutzen die Auftritte, um die Ideologie hinter dem Kampfsport-Event zu verbreiten, um neue Anhänger zu rekrutieren und um Fanartikel zu verkaufen.

Beispiele wie dieses gibt es viele. Trotz mancher Einschränkungen können Dutzende Gruppen der Neonazi-Szene die etablierten sozialen Medien noch immer für ihre Ziele einsetzen – und sich mit deren Hilfe zum Teil auch finanzieren. Laut einer Recherche der Organisation Counter Extremism Project (CEP), die der Nachrichtenagentur AP zur Verfügung gestellt wurde, gibt es auf Facebook mindestens 54 Profile von 39 Urhebern, die von der deutschen Bundesregierung oder zivilgesellschaftlichen Akteuren als extremistisch eingestuft werden.

Allein auf Facebook haben die von CEP identifizierten Gruppen fast 268'000 Abonnenten und «Freunde». Darüber hinaus betreiben sie den Recherchen zufolge 39 Instagram- und 16 Twitter-Accounts sowie 34 YouTube-Kanäle mit mehr als 9,5 Millionen Aufrufen. Fast 60 Prozent der öffentlichen Profile sind laut Einschätzung von CEP kommerziell, da jeweils mit Fotos oder mit Links an prominenten Positionen für Online-Shops geworben wird.



«Weiss ist meine Lieblingsfarbe»

Auf der Facebook-Seite von «Erik & Sons» führt ein Klick auf ein grosses blaues Feld zu einem zugehörigen Shop, in dem etwa T-Shirts mit der Aufschrift «My favorite color is white» («Weiss ist meine Lieblingsfarbe») angeboten werden. Das «Deutsche Warenhaus» verkauft Sticker, auf denen «Refugees not welcome» («Flüchtlinge nichtwillkommen») steht. Über die Social-Media-Profile des Labels OPOS Records werden CDs und Fanartikel von rechtsextremen Bands vermarktet.

Die von CEP aufgelisteten Gruppen und Personen zählen zu den bekannten Grössen der deutschen Neonazi-Szene. «Sie sind es, die die Infrastruktur bereitstellen, über die die Menschen sich treffen, Geld verdienen, sich amüsieren und rekrutieren», sagt Alexander Ritzmann, leitender Forscher des Projekts. «Die von mir ausgemachten Leute sind mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht diejenigen, die Gewaltverbrechen begehen. Sie bauen die Narrative auf und fördern die Aktivitäten der Szene, in der dann Gewalt eine Rolle spielt.»



Der Fokus der CEP-Recherche liegt auf solchen Gruppen, die sich ausdrücklich gegen freiheitlich-demokratische Institutionen und Normen aussprechen. Deren Präsenzen auf Facebook wirken auf den ersten Blick eher harmlos. Offensichtliche Verstösse gegen die Regeln der Plattform, wie etwa Hasstiraden oder die Abbildung von Hakenkreuzen, werden vermieden. Stattdessen wird versucht, die Reichweite der Mainstream-Netzwerke zu nutzen, um auf Events und Produkte hinzuweisen, mit denen viel Geld verdient werden kann und Gleichgesinnte aus aller Welt vernetzt werden.

Derartige Facebook-Seiten einfach komplett zu löschen, wäre dennoch heikel. «Wir möchten nicht einen Weg einschlagen, bei dem wir Websites vorgeben, Nutzer allein aufgrund ihrer Identitäten zu blockieren und nicht wegen der Dinge, die sie auf der Plattform tun», sagt der Bürgerrechtler David Greene von der Organisation Electronic Frontier Foundation. Dies gäbe repressiven Regierungen die Möglichkeit, Kritiker auszuschliessen. «Die Geschichte der Content-Moderation zeigt, dass so etwas fast immer zum Nachteil von marginalisierten und machtlosen Menschen ist.»

Zentrale Anlaufstelle für Rechtsextremisten

Der «Kampf der Nibelungen» wurde 2019 mit der Begründung verboten, es gehe bei der Veranstaltung nicht primär um Sport, sondern um die Ertüchtigung der Teilnehmer für einen politischen Kampf. Ein Jahr später, nach Ausbruch des Coronavirus, hatten die Organisatoren geplant, Kämpfe zu streamen. Wenige Wochen vor dem angekündigten Termin wurde der Ort der Aufzeichnungen auf dem Gelände eines Motorradklubs in Magdeburg aber von der Polizei gestürmt.

In Geheimdienstberichten wird der «Kampf der Nibelungen» als eine «zentrale Anlaufstelle» für Rechtsextremisten bezeichnet. Viele Teilnehmer waren in den vergangenen Jahren auch aus anderen Ländern angereist – unter ihnen einige amerikanische Extremisten, die später wegen Delikten wie Totschlag oder Angriffen auf Migranten im Gefängnis landeten.

Zu den prominentesten Einzelpersonen der Neonazi-Szene, die mit zum Teil gleich mehreren Profilen in den sozialen Medien aktiv sind, zählen Thorsten Heise und Frank Kraemer. Der Musiker Kraemer nutzt Facebook, um auf seinen Blog und einen eigenen Online-Shop zu verweisen. Beide liessen eine Anfrage der AP zum Thema unbeantwortet – ebenso wie die Kleidungsmarke Resistend, die den «Kampf der Nibelungen» als Sponsor unterstützt.

Facebook betonte gegenüber der AP, dass 350 Mitarbeiter des Unternehmens primär damit beschäftigt seien, Terrorismus und organisiertem Hass entgegenzutreten und dass die von CEP genannten Seiten und Profile überprüft würden. «Wir blockieren Organisationen und Personen, die eine gewaltsame Mission ausrufen oder an Gewalt beteiligt sind», sagte ein Sprecher.

Der Buchautor Robert Claus gibt zu bedenken, dass eine Verbannung von rechtsextremen Gruppen aus Netzwerken wie Facebook zwar deren Reichweite eingrenzen könne, diese dann aber wohl auf weniger bekannte Plattformen ausweichen würden, wo ihre Aktivitäten schwieriger zu überwachen wären.

Der Rechtsextremismus-Experte Thorsten Hindrichs warnt aber auch, dass die oft harmlos wirkenden Social-Media-Auftritte von Musikbands der Szene dazu beitragen könnten, Extremismus normal erscheinen zu lassen.