Interview Campino: «Ich würde mir sogar einen Film über Helene Fischer anschauen»

Lukas Rüttimann

28.3.2019

Seit 37 Jahren fokussiert und mit Vollgas voraus: Campino und die Toten Hosen denken noch lange nicht ans aufhören.
Seit 37 Jahren fokussiert und mit Vollgas voraus: Campino und die Toten Hosen denken noch lange nicht ans aufhören.
Filmcoopi

Tote-Hosen-Frontmann Campino und Regisseurin Cordula Kablitz-Post stellten in Zürich den Konzertfilm «Weil du nur einmal lebst» vor. «Bluewin» hat die beiden getroffen.

Der Sänger sprach über Bösewichte im Hosen-Universum, Fussballersprüche und seine Ferien im Indianerlager «Winnetou». Im Film «Weil du nur einmal lebst» dreht es sich um das Phänomen «Tote Hosen». Ob Wohnzimmer, heruntergekommener Club oder pompöses Stadion – Campino und seine Mannen findet man überall. Die Regisseurin hat die Band während sieben Monaten begleitet, weil man nur einmal lebt.

Campino, die Toten Hosen sind wohl die mit am besten dokumentierte Band im deutschen Sprachraum. Warum braucht es nun noch einen Konzertfilm?

Campino: Solche Filme sind immer eine Momentaufnahme. Die kann man nicht vergleichen mit Dokumenten, die vor 20 Jahren angefertigt wurden. Für uns als Band ist das ein bisschen wie ein Album mit Ferienfotos – wenn sie geschossen werden, ist man oft genervt. Aber wenn die Ferien vorbei sind, schaut man sich das gern nochmals an. Ich denke, es war eine sehr gute Phase, die wir als Band noch einmal in einem solchen Film festhalten wollten.

Cordula Kablitz-Post: Es ist ja kein Konzertfilm, sondern ein Dokumentarfilm mit hohem Konzertanteil, das stimmt. Es ist ein Film über eine Tour, in dem gezeigt wird, wie die Band funktioniert. Jeder Stadt wird ein Song zugeordnet, gleichzeitig wollte ich ergründen, warum die Band nach 37 Jahren immer noch so gut funktioniert.

Und, haben Sie es herausgefunden?

Cordula Kablitz-Post: Ich denke, die Toten Hosen würden nicht mehr existieren, wenn die Jungs nicht so gut untereinander klarkommen würden. Die Freundschaft ist ungebrochen, und das zeigt dieser Film.

Die Kameras liefen immer: Ob in guten oder halt weniger guten Momenten.
Die Kameras liefen immer: Ob in guten oder halt weniger guten Momenten.
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Campino, haben Sie dabei etwas Neues über sich selbst gelernt?

Campino: Über mich selbst eher weniger. Ich muss mich ja 24 Stunden am Tag aushalten, da ist es schwierig, etwas Neues zu erfahren. Aber über die Bandkollegen gab es definitiv Erkenntnisse. Wir haben ein klares Rollenverhalten innerhalb der Band: Kuddel zum Beispiel würde sich nie vordrängeln bei Interviews; das überlässt er gerne Andi oder mir. Dabei ist es sehr interessant, was er zu sagen hat, wenn er allein in einem Raum befragt wird. Wenn ich das so sehe, bereue ich manchmal, dass wir alle so in unseren Rollen feststecken.

Der Film zeigt die Band durchaus in intimen Momenten. Wie habt ihr die Grenzen gesetzt, was privat ist und was nicht?

Campino: Klar war, dass Familien und Kinder tabu sind. Es wurde auch respektiert, wenn jemand nicht gefilmt werden wollte. Das hätte nur unnötig Ärger verursacht. Ich hoffe, dass sich nicht nur Leute den Film anschauen, die eh schon Fans der Toten Hosen sind. Ich als Liebhaber der Popkultur schaue mir alle möglichen Dokumentationen an – einfach, weil es mich interessiert, wie es bei anderen so läuft. Ich würde mir auch einen Film über DJ Bobo on tour ansehen. Wie regelt der das zum Beispiel mit der Küche? So etwas will ich sehen! Auch eine Dokumentation über Helene Fischer würde ich sehen wollen, weil mich ihre Herangehensweise interessiert. So kann man auch Vorurteile abbauen. Plötzlich merkt man vielleicht, dass da jemand doppelt so hart arbeitet wie du selbst.

Eine Szene zeigt euch beim gegenseitigen Schulterklopfen in der Garderobe vor dem Konzert. Wie wichtig sind solche rituellen Momente für die Band?

Campino: Dieses Ritual ist bei uns so verinnerlicht, dass es merkwürdig wäre, wenn wir es nicht machten. Es ist eine Gelegenheit, sich gegenseitig zu pushen, locker zu machen und sich zu sammeln. Gleichzeitig ist es auch das Zeichen, dass es jetzt richtig losgeht.

Das Konzert als Spiel sehen: Für die Hosen ist eine Tour wie eine Fussballsaison. Man muss jeden Abend sein Bestes geben.
Das Konzert als Spiel sehen: Für die Hosen ist eine Tour wie eine Fussballsaison. Man muss jeden Abend sein Bestes geben.
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Stammt das Ritual aus der Kabine Ihres Lieblingsvereins Fortuna Düsseldorf? Es fallen ja auch Fussballer-Sprüche wie: «Jetzt gibt’s keine kleinen Gegner mehr ...» 

Campino: Die Fussballervergleiche kriegen wir aus der Band eh nicht mehr raus, das wäre zwecklos. Für mich war es eine Erleichterung, eine grosse Tournee wie eine Saison einer Mannschaft zu sehen. Jeder Abend, jedes Konzert ist ein Spiel. Da sind solche Sprüche natürlich super. Die Toten Hosen sind ohnehin mehr Sportler als Künstler. Wir sind vielleicht eher etwas simpler gestrickt, aber beim Körperlichen können wir mithalten. Bei unseren ersten Konzerten war uns auch nicht so wichtig, wie die Anlage klang – sondern gegen wen wir zum Aufwärmen Fussball spielen konnten.

Was sagen Sie denn zum aktuellen Höhenflug der Fortuna aus Düsseldorf?

Campino: Danke, auf diese Frage habe ich mit Ungeduld gewartet. Es geht uns allen sehr gut, und wir sind sehr zuversichtlich, dass wir den Klassenerhalt schaffen. Deshalb können wir derzeit sehr entspannt Fussball gucken und müssen uns nicht mehr dauernd die Haare raufen wie zu Beginn der Saison. Als Fortunen sind wir derzeit sehr glücklich.

Jeder Film ist nur so gut wie sein Bösewicht. Wer übernimmt diese Rolle in «Weil du nur einmal lebst»?

Campino: Es ist ja kein Spielfilm. Was die Dramaturgie angeht, ist mein Hörsturz wohl das Element, das am meisten für Spannung sorgt. Aber ich kann versichern: Als das gedreht wurde, war mir der Film herzlich egal. Da hat mich bloss gekümmert, wie ich wieder auf die Beine respektive Bühne komme.



Cordula Kablitz-Post: Na ja, wir konnten die Dramaturgie ja nicht wirklich planen. (lacht) Campinos Hörsturz ist sicher das Element, das ein latentes Drama enthält. Aber wenn ich's mir recht überlege, ist der Film eigentlich eine echte Heldengeschichte – mit all den Merkmalen einer Heldengeschichte wie in einem Kinofilm. Auch Campino überwindet ja letztlich sein Schicksal und kann ein Happy End feiern.

Die Harmonie im Hosen-Universum ist aber schon auffällig. Gibt’s bei Ihnen nie Reibereien?

Campino: Doch, natürlich. Entscheidend ist aber, dass man erkennt, dass alle an einem Strang ziehen. Dafür muss man etwas tun, das gilt für unsere Beziehung wie bei jeder anderen auch. Mal gibt’s Phasen der Entfremdung, dann ist man wieder dicker zusammen. Tatsächlich aber war uns das immer bewusst. Wir haben früh begonnen, dieses gefährliche Fahrwasser zu umschiffen. So haben wir zum Beispiel die Instrumente zuhause gelassen und Dinge zusammen unternommen, um uns neu kennenzulernen oder zu vermeiden, dass man sich als Mensch gar nicht mehr gegenseitig wahrnimmt. Einmal sind wir sogar mal gemeinsam ins Indianerlager «Winnetou» gefahren, wo sonst nur Spiesser Ferien machen.

Im Indianerlager «Winnetou»?

Campino: Ja, dort hatten wir einen Wigwam gemietet, wo wir die ganze Zeit über Saufspiele veranstaltet haben. Von diesem Wigwam blieb dann allerdings nicht viel übrig, und wir wurden von den anderen Familien höflichst gebeten, das Lager doch bitte zu verlassen (lacht). Solche Geschichten gab es früher reihenweise. Uns ging es damals nicht primär um die Musik, sondern darum, Leute zu treffen, Freundschaften zu schliessen und verrückte Dinge zu erleben. Das war das Tolle daran, in einer Band zu spielen.

Die Vergangenheit der Band kann da oder dort schon mal verschwommen sein. Campino und die Hosen liessen die sprichwörtliche Sau raus – wie heute noch auf der Bühne.
Die Vergangenheit der Band kann da oder dort schon mal verschwommen sein. Campino und die Hosen liessen die sprichwörtliche Sau raus – wie heute noch auf der Bühne.
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Biopics über Bands sind nach dem Erfolg von «Bohemian Rhapsody» schwer in Mode. Wär das etwas für die Toten Hosen?

Campino: Ein bisschen lebendiger als Freddie Mercury fühle ich mich schon noch (lacht). Im Ernst: Ich habe den Film gesehen und fand ihn toll. Wohl auch deshalb, weil ich kein ausgewiesener Queen-Fan bin. Als Kenner würde ich mich über jeden Zentimeter, der nicht absolut korrekt dargestellt wird, grün und blau ärgern. Wenn es zum Beispiel einen Film über die Sex Pistols gibt, würde ich denen ganz genau auf die Finger schauen. Aber generell liebe ich Werke wie «Walk The Line» oder «The Doors». Deshalb freut es mich, dass dieses Genre derzeit nicht nur belächelt wird, sondern richtig Leute zieht.

Könnten Sie sich einen solchen Film über sich vorstellen?

Campino: Ich weiss nicht. Das Problem ist, dass einem die Erinnerung oft einen Streich spielt. In 20 Jahren könnten Sie wohl den bestaussehendsten Schauspieler holen, und ich würde sagen: «Hey Leute, aber so Scheisse sah ich damals wohl kaum aus!» Von daher habe ich etwas Mühe mit diesem Gedanken. Und solange das Hier und Jetzt weiterhin so spannend ist, sehe ich auch keinen Grund für eine Retro-Schau.

«Weil du nur einmal lebst» läuft ab sofort in unseren Kinos.

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