Doku zeigt brutales Reality-TV-Experiment Japaner lebte 15 Monate nackt vor laufender Kamera

jke

30.11.2024

Nasubi, Teilnehmer einer japanischen TV-Show Ende der 1990er, war 15 Monate lang nackt in einen Raum eingesperrt.
Nasubi, Teilnehmer einer japanischen TV-Show Ende der 1990er, war 15 Monate lang nackt in einen Raum eingesperrt.
Hulu/Disney (Screenshot)

Ein Mann allein, 15 Monate nackt in einem kleinen Raum eingesperrt, mit dem Ziel, durch Gewinnspiele zu überleben – so lautet die Geschichte eines der umstrittensten TV-Experimente Japans. 

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Nasubi, ein Mann aus Japan, wurde 1998 für 15 Monate nackt in eine kleine Wohnung gesperrt und musste versuchen, nur durch das Gewinnen von Preisausschreiben zu überleben.
  • Das brutale TV-Experiment setzte Nasubi psychisch extrem zu.
  • Die Show erlangte grosse Popularität, Millionen Menschen verfolgten live Nasubis Leiden, ohne zu wissen, wie viel er wirklich durchmachte.
  • Der Dokumentarfilm «The Contestant» zeigt, wie die Sehnsucht nach authentischem Drama und Unterhaltung in eine ethische Grauzone führen kann.

Reality-TV ist bekannt für seine oft fragwürdigen Formate, aber selten hat eine Show die Grenzen der menschlichen Würde so gnadenlos überschritten wie «Susunu! Denpa Shōnen» in Japan vor bald 27 Jahren.

Die Dokumentation «The Contestant» (zu Deutsch: „Der Kandidat“), die kürzlich auf Hulu veröffentlicht wurde, nimmt diese Geschichte wieder auf und stellt die harte Realität des Formats in den Vordergrund.

Im Januar 1998 meldete sich der 22-jährige Tomoaki Hamatsu, damals ein unbekannter Komiker, der von einer Karriere im Showbusiness träumte, für eine Herausforderung an, die er für eine eher ungewöhnliche, aber routinemässige TV-Aufgabe hielt – ohne zu wissen, wie extrem seine Isolation sein würde.

Monatelang ohne Kleider

Hamatsus Übername «Nasubi» (übersetzt «Aubergine») wurde ihm bald aufgrund des Emojis gegeben, das benutzt wurde, um seine Genitalien auf Sendung zu zensieren.

Das Konzept der Show war simpel, aber brutal: Nasubi wurde in eine kleine Wohnung gesperrt, völlig nackt und isoliert. Sein einziger Weg, um zu überleben, bestand darin, an Gewinnspielen in Zeitschriften teilzunehmen und die Dinge zu gewinnen, die er brauchte – sei es Essen, Kleidung oder andere lebensnotwendige Gegenstände.

Gleich nach Betreten des Raums musste sich Nasubi ausziehen – und falls er Glück hätte, würde einer der gewonnenen Preise vielleicht ein Kleidungsstück sein. Spoiler: Nasubi hatte kein Glück und war monatelang nackt.

17 Millionen schauten zu

Er startete mit nichts ausser Wasser und einem kleinen Kocher. Die restlichen überlebenswichtigen Dinge sollte er sich durch das Gewinnen von Wettbewerben verdienen. Alles, was er gewann, durfte er behalten. Zur Verfügung standen ihm ausserdem ein Stift, eine leere Postkarte, ein Telefon und Zeitschriften mit Gewinnspielen. 

Ausschnitte aus «Susunu! Denpa Shōnen»

Im Gegensatz zu typischen Gameshows, bei denen die Kandidat*innen bewusst vor der Kamera stehen, wusste Nasubi nicht, dass sein Überlebenskampf live an Millionen Zuschauer*innen auf Nippon TV übertragen und schliesslich rund um die Uhr online gestreamt wurde.

Nasubi dachte, seine Erlebnisse würden nur für eine spätere Bearbeitung und Ausstrahlung als TV-Special aufgezeichnet; die Produzent*innen verheimlichten ihm bewusst, dass seine Erfahrungen von bis zu 17 Millionen Menschen wöchentlich verfolgt wurden.

Kein Glück bei Gewinnspielen

Das ursprüngliche Ziel war, dass Nasubi Gewinne im Wert von einer Million Yen erreicht – damals etwa 11'000 Franken – eine Summe, die ihm laut Produzent*innen seine Freilassung sichern würde. Doch die Aufgabe erwies sich als viel schwieriger als erwartet.

Nasubi bewarb sich um tausende Gewinne über Monate hinweg, nur um meist absurde oder in seiner Situation unbrauchbare Gegenstände zu gewinnen, wie ein Zelt, das zu gross für seinen kleinen Raum war, ein Fahrrad, für das es keinen Platz zum Fahren gab, Autoreifen, Kinokarten oder sogar einen lebenden Hummer.

Nasubi lebte von spärlichen Gewinnen, wie Säcken Reis oder Hundefutterdosen, die er mangels Werkzeug nicht einmal öffnen konnte. Tagelang überlebte er nur von Fasergelatine, was ihn an seine körperlichen und psychischen Grenzen brachte. Oft fehlte es ihm an Grundsätzlichem wie Toilettenpapier. Er fror, litt unter Heimweh und stand manchmal sogar kurz davor, zu verhungern.

«Ich dachte, ich würde sterben.»

Der Stress, unter diesen Bedingungen zu leben, war enorm. In einem Interview im Dokumentarfilm erinnerte sich Nasubi daran, dass er die Kamera nicht ausblenden konnte. «Es war, als ob mein Leben nicht mehr mein eigenes war.» Und: «Ich dachte, ich würde sterben.»

Das Perfide daran: Die Tür zur Wohnung war gar nicht abgeschlossen, doch Nasubis Nacktheit hielt ihn gefangen. «Ich stellte mir immer wieder meine Situation vor, wenn ich den Raum nackt verlassen würde. Ich würde von der Polizei festgenommen werden und meine Familie müsste mit den Konsequenzen leben», erzählt der heute 49-Jährige in der Dokumentation.

Das Experiment dauerte 15 Monate. Es gab Phasen, in denen Nasubi tagelang nichts zu essen hatte und sich körperlich am Ende fühlte. Jede kleine Errungenschaft – eine Packung Reis oder eine Dose Suppe – wurde zur grossen Sache, einem Triumph über die unmenschlichen Bedingungen.

Anfänge des Reality-TV

Die Show war so geschnitten, dass sie die verzweifelten Momente humorvoll darstellte und Nasubis Leiden als Unterhaltung verkauft wurde. Die Zuschauer*innen bekamen nur die «amüsanten» Momente zu Gesicht: Sie sahen den Komiker tanzen und Grimassen ziehen. Kaum jemand wusste, was hinter den Kulissen geschah.

Die unvermeidliche Frage stellt sich: Wie mitschuldig ist das Publikum? Die Show startete im selben Jahr wie «The Truman Show» und sprach ähnliche Bedürfnisse ihrer Zuschauer an. Mit der Zeit entwickelte sich die Serie von einem straff geschnittenen wöchentlichen Segment zu einem Webcam-Phänomen, das rund um die Uhr live gestreamt wurde.

Erst nach dem Ende der Sendung begannen Menschen zu hinterfragen, wie ethisch es war, jemanden in solch extremer Isolation und unter solchen Bedingungen zur Schau zu stellen.

Finalshow: Nasubi unter Schock

Allerdings waren 1998 die Erfahrungen mit Reality-TV noch recht begrenzt. Es war eine Zeit, bevor Formate wie «Expedition Robinson» in der Schweiz oder «Big Brother» in Deutschland im Jahr 2000 das Genre in Europa populär machten.

Manipulation für die Einschaltquote

Die Dokumentation, die auf Hulu läuft, ist auch eine Untersuchung darüber, was geschieht, wenn der Drang nach Authentizität und Unterhaltung die moralischen Grenzen sprengt. Es wird gezeigt, wie die Produzent*innen diese Grenzen bewusst überschritten und die psychische und physische Gesundheit des Teilnehmers riskierten.

Das «Nasubi-Experiment» gilt heute als kulturelle Fallstudie über die dunklen Seiten des Reality-TV, die aufzeigt, wie weit Medien gehen können (konnten?), um ihre Teilnehmenden und das Publikum für den Unterhaltungszweck zu manipulieren.

Nasubi sagt auf inews: «Bis heute sprechen mich Menschen an, wenn sie mich erkennen, und erzählen mir, wie lustig sie die Show fanden – und fragen, ob ich das nicht noch einmal machen würde.»

Fürsprecher für Resilienz

Nasubi hat versucht, seine Erfahrung in etwas Positives umzuwandeln. Nach der Nuklearkatastrophe in seiner Heimat Fukushima im Jahr 2011 fand Nasubi eine sinnvolle Verwendung für seinen Bekanntheitsgrad.

Als Tribut an die Opfer bestieg er den Mount Everest – eine Aktion, die wieder Isolation, Risiko und möglichen Nahrungsmangel mit sich brachte. Nasubi wurde damit aber endlich zu seinen eigenen Bedingungen wahrgenommen.

Während der COVID-19-Pandemie wurde er zudem zu einem Fürsprecher für psychische Gesundheit und Resilienz und nutzte seine Erlebnisse, um Menschen, die unter der durch Quarantäne bedingten Einsamkeit litten, Ratschläge zu geben.

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