Lebensbeichte Hunter Biden, der Präsidentensohn und seine Sucht

dpa

11.4.2021 - 18:30

Joe Biden (l.), damals Vizepräsident der USA, und sein Sohn Hunter sehen sich im Januar 2010 ein Basketballspiel an.
Joe Biden (l.), damals Vizepräsident der USA, und sein Sohn Hunter sehen sich im Januar 2010 ein Basketballspiel an.
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Hunter Biden wurde zum Alkoholiker und Crack-Junkie. In seinen Memoiren beschreibt der Sohn von Joe Biden unverblümt seinen Abstieg in eine düstere Parallelwelt – und den schwierigen Weg zurück.

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Hunter Biden war ganz unten. Wochenlang verbarrikadierte sich der Sohn von Joe Biden in einer Wohnung in Washington und trank eine Flasche Wodka nach der anderen.

Er verliess das Apartment nur, um sich zum Kiosk auf der anderen Strassenseite zu schleppen und wieder zurück. Manchmal konnte er nicht warten, bis er die paar Meter zurück war in seiner Wohnung, sondern nahm unterwegs einen Schluck. «In diesem Stil trank ich täglich zwölf bis sechzehn Stunden lang», erzählt Hunter Biden. «Irgendwann schaffte ich es nicht mehr, mir überhaupt noch etwas ins Glas zu giessen.»

Er nahm in jenen Wochen über den Jahreswechsel 2015/2016 fast zehn Kilo ab. «Ich ass eigentlich nur, was es in dem Spirituosengeschäft zu kaufen gab.» Irgendwann habe sein Magen nicht mal mehr die Instant-Nudeln vertragen, die es dort gegeben habe, erzählt Hunter Biden. «Ich ertränkte mich in Alkohol.» Sein Vater Joe Biden war zu jener Zeit US-Vizepräsident. Mit kleinem Sicherheitsaufgebot kam er in die Wohnung seines Sohnes, sah dessen Zustand und weigerte sich, zu gehen, bis Hunter einwilligte, professionelle Hilfe zu suchen. Es war nicht der einzige Absturz in Hunter Bidens Leben, und längst nicht der tiefste.

Joe Biden zog seine Söhne zeitweise allein gross

In seinen Memoiren mit dem Titel «Beautiful Things» (auf Deutsch: «Schöne Dinge»), die diese Woche in den USA erschienen ist, berichtet Hunter Biden offen von seinem jahrzehntelangen Kampf mit Alkohol, von Drogen, vom Teufelskreis aus Drogenexzessen, Therapien und immer neuen Rückfällen, von den schweren Schicksalsschlägen in seiner Familie und dem Verhältnis zu seinem Vater. Die deutsche Ausgabe erscheint am 13. April beim Verlag Hoffmann und Campe.

Inzwischen ist Hunter Biden clean, und sein Vater ist Präsident der Vereinigten Staaten. Einen derart unverblümten Einblick in das Leben, die Schwierigkeiten und die Gedankenwelt des Präsidentensohnes zu bekommen, ist ungewohnt. Dass Hunter Biden in immer tiefere Abgründe stürzte, während sein Vater bis in die höchsten politischen Ämter des Landes aufstieg, ist es ebenso.

Das Leben der Bidens ist geprägt von immensem privatem Kummer. Hunter ist ein Sohn aus Joe Bidens erster Ehe. Bidens Ehefrau Neilia und die gemeinsame Tochter Naomi kamen 1972 bei einem Autounfall ums Leben. Hunter und sein Bruder Beau wurden bei dem Unfall verletzt – Hunter war damals drei Jahre alt, Beau vier. Joe Biden erzog die beiden allein, bis er seine heutige Frau Jill kennenlernte.

Hunter Biden beschreibt in seinem Buch, wie er nach dem Unfall im Spital aufwachte – sein Bruder Beau im Bett neben ihm. «Er flüstert immer wieder dieselben drei Wörter in meine Richtung: ‹Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich›», schreibt Biden. «Beau wurde mit diesen ersten bewussten Momenten meines Lebens mein bester Freund, mein Seelenverwandter, der Stern, der mich führt.»

Idylle trotz tragischen Unfalls

Trotz des Verlusts der Mutter und der Schwester spricht Hunter Biden von einer fast idyllischen Kindheit – im Dreier-Gespann mit seinem Vater und seinem Bruder, umgeben von einem grossen Familien-Clan, der die Brüder nach dem Unfall erst recht mit Liebe überschüttete.

Dennoch begann Hunter Biden schon in der Highschool, «ernsthaft zu trinken», wie er sagt. «Es löste meine Hemmungen und Unsicherheiten.» Später im Leben – mit Familie, Kindern und Job, inmitten von Arbeitsstress und finanziellen Zwängen – wurde er zu einem echten Alkoholiker. Erst ein funktionierender, später ein nicht mehr funktionierender. Er machte mehrere Therapien, hatte mehrere Rückfälle, verhedderte sich im Gestrick aus Scham, Schuldgefühlen, Versteckspielen. Die Sucht zertrümmerte auch seine erste Ehe.

Als 2015 die nächste Katastrophe passierte, riss es Hunter Biden den Boden unter den Füssen weg. Sein Bruder Beau starb im Alter von 46 Jahren an einem Hirntumor. «Ich habe mich nie so einsam gefühlt wie nach Beaus Tod», schreibt Hunter Biden. «Ich verlor jede Hoffnung.» Mit Beaus Tod zerbrach auch das Dreier-Gespann von Vater und Söhnen.

Crack füllte die Lücke

Die Alkoholexzesse gingen weiter, Hunter driftete schliesslich auch noch in eine Crack-Sucht ab, strauchelte durch das Land auf der Suche nach Stoff, umgab sich mit zwielichtigen Gestalten aus dem Drogenuniversum. «Crack war mein neuer bester Freund.» Zeitweise zog eine obdachlose Kleinkriminelle bei ihm ein, als Drogen-Kompagnon. Hunter Biden war im freien Fall. «Die Mengen Alkohol und Crack, die ich zu mir nahm, waren verblüffend.» Später begann er, selbst Crack zu kochen, tingelte erst von schickem Hotel zu Hotel, dann von schäbigem Motel zu Motel. Noch während sich Joe Biden 2019 auf seine Präsidentschaftsbewerbung vorbereitete, war Hunter Biden in einem Crack-Nebel versunken.

«Es spielt keine Rolle, wie viel Geld man hat, mit wem man befreundet ist, aus welcher Familie man kommt», schreibt er. Der Schmerz, die Scham, die Hoffnungslosigkeit der Sucht seien für alle gleich.

Hunter Biden widmet seinem Bruder Beau in dem Buch viel Raum – jener Lichtgestalt in seinem Leben, die ihn auch beim Kampf gegen die Alkohol-Sucht unterstützte. Zeitweise suchte er nach Halt in einer Beziehung mit Beaus Witwe. Beide hätten die Hoffnung gehabt, «Beau am Leben zu halten, indem wir zusammenblieben, ihn durch unsere Liebe irgendwie zurück ins Leben liebten». Das sei zum Scheitern verurteilt gewesen. Die Beziehung brachte Hunter Biden in die Klatschspalten.

Wie Hunter zum Wahlkampfthema wurde

Von seinem Sohn Beau spricht Joe Biden häufig. Immer voller Stolz auf dessen Vorzeigekarriere als Generalstaatsanwalt, als Offizier der Nationalgarde. Hunter dagegen findet selten Erwähnung in den Reden seines Vaters. Als Joe Bidens Amtsvorgänger, Donald Trump, bei einer Debatte im Wahlkampf Hunter wegen der Drogensucht angriff, nahm Biden seinen Sohn aber ohne Umschweife in Schutz: «Mein Sohn hatte ein Drogenproblem, aber er hat es überwunden, und ich bin stolz auf ihn.»

Im Präsidentschaftswahlkampf brachten Hunters Ukraine-Geschäfte seinen Vater schwer in Erklärungsnot. Hunter hatte einen lukrativen Posten im Verwaltungsrat des ukrainischen Gaskonzerns Burisma – zu einer Zeit, als Joe Biden als Vizepräsident federführend für die Ukraine zuständig war. Hunter Biden geht in einem ganzen Kapitel auf Burisma ein und macht keinen Hehl daraus, dass sein Name eine entscheidende Rolle für die Berufung spielte und «die pro Monat ausbezahlte fünfstellige Entschädigung» attraktiv gewesen sei. Er sei aber qualifiziert gewesen. «Ich habe nichts Unmoralisches getan.» Hunter Biden räumt allerdings ein, er würde er es im Nachhinein nicht noch einmal machen – angesichts der Angriffsfläche für seinen Vater.

Sein Vater habe ihn nie im Stich gelassen. «Er gab mich nie auf, er wies mich nie ab, er urteilte nie über mich, ganz egal, wie schlimm es um mich stand.» Einmal nach einem Familientreffen, das in einem Eklat endete, sei sein Vater mit ihm aus dem Haus gestürmt. «Er lief mir auf die Auffahrt nach, packte mich, riss mich herum, nahm mich in die Arme, hielt mich im Dunkeln fest und weinte eine Ewigkeit.»

Erst etwa zu der Zeit, als Joe Biden 2019 im Frühling seine Präsidentschaftsbewerbung verkündete, verliebte sich Hunter Biden auf einen Schlag in eine Frau, die ihm half, die Drogen hinter sich zu lassen. Wenige Tage nach ihrer ersten Begegnung heirateten die beiden. Inzwischen haben sie ein Kind – sie gaben ihm den Namen Beau.