Hip-Hop Wieso tragen viele Rapper ein «Lil» im Namen?

Von David Hutzler, dpa

9.8.2020

Insbesondere durch den Erfolg von Lil Wayne in den 2000er-Jahren hätten «die infantilen Namen» Hochkonjunktur.
Insbesondere durch den Erfolg von Lil Wayne in den 2000er-Jahren hätten «die infantilen Namen» Hochkonjunktur.
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Lil Baby, Lil Uzi Vert, DaBaby, Juice WRLD: Dass viele Hip-Hop-Stars auf solch infantile Pseudonyme setzen, kommt nicht von ungefähr. Eine Namenskunde.

Es liest sich wie ein Buchstabensalat: Lil Uzi Vert, Juice WRLD, SAINt JHN, DaBaby, Lil Baby. Doch auf der Tastatur ist hier niemand ausgerutscht – so heissen einige der derzeit erfolgreichsten Musiker in den USA.

Die Hip-Hop-Künstler dominieren seit Wochen die Billboardcharts in den USA. Acht der Top-Ten-Singles der letzten Juli-Woche entfielen auf das Genre, in den Albumcharts sieht es nicht viel anders aus. Und damit ist klar: Wer hinter die Fassade der komischen Namen blicken will, muss sich mit Hip-Hop beschäftigen.

Wenn der Name zum Stil passt

Dass sich Rapper Künstlernamen zulegen, hat eine lange Tradition, wie der Hip-Hop-Experte Jeffrey Ogbar von der University of Connecticut erklärt. Schon der Pionier Grandmaster Flash trat in den 1970er-Jahren schliesslich unter Pseudonym auf. Teilweise seien solche Namen mit Charakteristiken der Rapper verbunden gewesen. Bei Twista etwa, dessen Wirbelwind-Name zu seinem sehr schnellen Rap-Stil passte.

Bei den aktuellen Künstlern ist das teilweise ähnlich. Lil Uzi Vert etwa wurde zu Beginn seiner Karriere oft auf seine Geschwindigkeit angesprochen, wie er dem Magazin «Vibe» erzählte. «Du rappst wie ein Maschinengewehr», hätten die Leute zu ihm gesagt. So kam die «Uzi», eine Maschinenpistole, in den Namen des Mannes, der von der «New York Times» als «der prägende Rap-Star der letzten Jahre» bezeichnet wird.

Einer der vielen «Lils» auf Erfolgskurs: Lil Uzi Vert bei einem Auftritt in Brooklyn.
Einer der vielen «Lils» auf Erfolgskurs: Lil Uzi Vert bei einem Auftritt in Brooklyn.
Bild: Getty Images

Aber was hat es denn nun mit all den «Lils» auf sich? Immerhin über 8'000 «Lil»-Künstler zählte Spotify bereits 2018 auf seiner Plattform. Die Hip-Hop-Forscherin Sina Nitzsche erklärt weiter.

Zunächst die Basics: «Lil» sei die Kurzform für «klein» (little) und gehöre zum Slang der afroamerikanischen Szene. Im Hip-Hop werde viel mit Sprache, Hierarchie und Identität gespielt, sagt Nitzsche. Auf der einen Seite ist da der «OG», der «Original Gangster». Der Begriff kommt aus der Gangkultur. Er bezeichnet jemanden, der als Eminenz in der Szene gilt. Nitzsche zählt Künstler wie Dr. Dre, Snoop Dogg oder Ice-T dazu.

Es geht um Hierarchie – und das Alter

Und dann gibt es die aufstrebenden Künstler. Die werden teils von «ihrem OG» gefördert – oder sie verehren die Rapper der älteren Generation und stellen sich in deren Tradition. Das spiegelt sich auch in den Namen wider, wie Nitzsche anmerkt. Der Rapper Lil Nas X habe sich beispielsweise nach seinem Idol Nas benannt.

Eine Sicht, die US-Experte Ogbar teilt. Insbesondere durch den Erfolg von Lil Wayne in den 2000er-Jahren hätten «die infantilen Namen» Hochkonjunktur, meint er.

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Nitzsche führt noch einen weiteren Grund für all die «Lils» und «Babys» an: «Viele Künstler sind einfach sehr jung.» Die Hip-Hop-Kultur sei schon über 45 Jahre alt. Viele der heute angesagten Künstlerinnen und Künstler wollten sich durch ihre Namen von den Älteren abgrenzen und zeigen, dass sie ihr eigenes Ding machen.

Das zeigt sich auch in der Musik. Momentan wabert zum Beispiel die Trap-Welle durch die Szene. Der Sound wird dunkler, basslastiger. Die Texte sind reduzierter, die Stimmverzerrung durch Autotune wird zum elementaren Stilmittel.

Wo ist der politische Rap geblieben?

Nitzsche erklärt, dass Künstler und Fans der älteren Hip-Hop-Generation den Jüngeren oft vorwerfen, sie hätten keine politische Botschaft mehr. Auch Experte Ogbar sieht die neue Generation meilenweit von der Tradition des politischen Raps früherer Generationen entfernt. Das Vorgehen der Polizei gegenüber Schwarzen in den USA werde von den Künstlern kaum thematisiert, sagt er. Stattdessen gehe es oft um Drogen, Gewalt und Frauenfeindlichkeit.

Auch eine Verbindung zur aktuellen Anti-Rassismus-Bewegung kann er nicht erkennen – obwohl der Grossteil der Künstler, die die Charts dominieren, schwarz ist.

Das Gegenbeispiel bietet der Rapper Lil Baby: Erst Ende Juni veröffentlichte er einen Song samt Video, der «Black Lives Matter» in den Vordergrund stellte und bei YouTube bereits über 57 Millionen Mal aufgerufen wurde.

Und noch eine Entwicklung prägt den derzeitigen US-Hip-Hop: Er wird melancholischer. Im Emo-Rap zeigen Künstler wie Lil Peep, XXXTentacion oder Juice WRLD ihre zerbrechliche Seite. Sie alle eint ihre Jugend – und ihr tragisches Schicksal: Keiner von ihnen wurde älter als 21 Jahre. Ihre jeweiligen Songs und Alben gingen posthum in die Charts.

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