Beziehungen «Die Liebe (...) ist Wegwerf-Ware»

Von Carlotta Henggeler

12.4.2020

Autor, Podcaster und Experte für unerfüllte Liebe: der Berliner Michael Nast.
Autor, Podcaster und Experte für unerfüllte Liebe: der Berliner Michael Nast.
Steffen Jänicke

«Generation Beziehungsunfähig»-Autor Michael Nast äussert sich bei «Bluewin» zur Frage, warum Tinder einen philosophischen Programmierfehler hat. Die männliche Version von Charlotte Roche sei er nicht – aber wer dann?

Herr Nast, RTL-‹Bachelor› Sebastian Preuss entschied sich für keine der Liebes-Anwärterinnen. Typisch für die Generation X, sich nicht für eine Person entscheiden zu können, das beschreiben Sie auch in Ihrem Buch ‹Generation Beziehungsunfähig›.

Ich habe das ‹Bachelor›-Finale nicht gesehen. Zu Sebastians Entscheidung kann ich sagen: Keine der Frauen war sein Typ, keine hat ihn richtig interessiert. Also hat er einfach gesagt, er sei ein Perfektionist, da müsse alles 100 Prozent passen. Vielleicht wollte er – uneingestanden – gar keine Beziehung haben.

22 unterschiedliche Frauen hatte der RTL-Bachelor zur Auswahl – und keine eroberte sein Herz. Keine habe voll seinen Wünschen entsprochen.

So macht man das heutzutage, man stellt sich so eine Kriterien-Liste zusammen, die mit den Jahren immer länger wird. Und wenn dann einer der Punkte nicht passt, hast du eine gute Ausrede, um keine Beziehung einzugehen. Das war auch beim ‹Bachelor› so, es hat auch mit Verletzlichkeit zu tun.

In «Generation Beziehungsunfähig» bringt Nast die Dinge auf den Punkt und beschreibt unvergleichlich charmant die Stimmung seiner Generation.
In «Generation Beziehungsunfähig» bringt Nast die Dinge auf den Punkt und beschreibt unvergleichlich charmant die Stimmung seiner Generation.
books.ch

Mit Ihrem Buch ‹Generation Beziehungsunfähig› (2016) trafen Sie den Nerv der Zeit. Das Buch wurde in zig Sprachen übersetzt.

Ich habe die Erlebniswelt dieser Leute beschrieben, weil es auch meine ist. Ich habe das nicht von oben herab als Analyse geschrieben, sondern bin mittendrin – und darin haben sich die Leute wiedergefunden. Der Begriff ‹Beziehungsunfähig› triggert – er ist fast schon zur Marke geworden. Das Buch erschien in Asien, also Südkorea, Japan, Taiwan, Spanien und Polen. In Japan erscheint das Buch in zwei Bänden, weil es dort so grosse Schriftzeichen gibt – momentan wird gerade der zweite Teil übersetzt. Das Buch wurde ein Erfolg, weil es genau zur richtigen Zeit erschien.

Der richtige Zeitpunkt?

Ja, zu diesem Zeitpunkt hiess es, wir müssen Beziehungen neu definieren. Dass alles ein Leben lang halten soll, die grosse Liebe, das ist alles ein bisschen religiös beeinflusst. Und Religionen werden immer unbedeutender in dieser westlichen Welt. Den Leuten ist nicht bewusst, warum die Beziehungen so lange halten. Dass sie nicht hält, ist ja nur ein Symptom. Man versucht die Symptome zu bekämpfen, anstatt nach den Ursachen zu forschen.

Sie sind ein Beziehungsexperte.

Nein, gar nicht. Ich bin Experte für unerfüllte Liebe. Die ‹Zeit› hat mal den schönen Satz über mich geschrieben: Er ist ein Suchender, der zu den Suchenden spricht.



Warum halten Beziehungen heutzutage oft weniger lang? Hat das Internet damit zu tun, in dieser immer schneller werdenden Welt?

Ja, schon. Es hat damit zu tun, wie unser Belohnungssystem mit schnellen Reizen verbunden ist. Nach dem Motto: Wir sollen konsumieren. So wie man Fernsehen guckt oder auf Partys geht, dann hat man gleich einen Effekt. Die Leute reden von Liebe und wünschen sich eine endlose Verliebtheit-Phase, und wenn diese nachlässt und daraus langsam Liebe werden kann, wird das oft so empfunden, als sei da die Luft raus –– ein neuer Partner wird gesucht. Es ist ein Konsumieren von Gefühlen, bei dem man immer wieder diese Verliebtheit-Phase erleben möchte. Es sind diese lauten Reize, die unsere Endorphin-Ausschüttung ankurbeln, auf die wir inzwischen konditioniert sind. Doch die Liebe ist ein Wert, der mit der Zeit entsteht. Und ausgerechnet dafür haben wir keine Zeit. Wir wollen immer alles schnell und effizient umsetzen. Das ist auch das Problem bei Dating-Apps.

Das Problem von Tinder und Co.?

Die haben einen philosophischen Programmierfehler. Diese Apps sind extrem auf Effizienz ausgerichtet. Das ist der falsche Weg. Effizienz und Liebe – das gehört nicht in einen Satz.

Wie meinen Sie das?

Wir nehmen diese Werkzeuge, diese Dating-Apps – und passen uns dieser Funktion an. Es müsste aber auf uns zugeschnitten sein. Ich sehe das auch bei mir. Wenn man bei Tinder angemeldet ist, wischst du die Leute weg – also sagst Nein zur Person – und nach drei Minuten merkst du, wie beliebig das Ganze wird. Dadurch wird die Liebe immer beliebiger. Es ist Wegwerf-Ware.

Und hat dann viele Dates.

Ja, heute haben die Leute so viele Dates wie noch nie – und dadurch verschwindet das Besondere daran.



Ist es nicht auch so, dass es für Männer beim Kennenlernen schwieriger geworden ist, weil Frauen heute selbstbewusster, stärker sind – und Forderungen haben?

Ist auch ein Aspekt, die Gleichberechtigung, das gehört auch in dieses Thema. Früher hat der Mann sich ums Finanzielle gekümmert, die Frau um den Haushalt, da war eine Abhängigkeit. Heute steht man sich gleichberechtigt gegenüber, soweit es geht – und so gut das auch ist, birgt das die grösste Herausforderung – auch für mich.

Aha.

Jetzt sind wir aus diesem wirtschaftlichen Prozess raus, jetzt gibt es noch eine Sache, die uns zusammenbringt: das Ideal der romantischen Liebe. Das ist das krasseste Ziel, das man haben kann. Die DDR war ein gutes Beispiel dafür.

Warum war die DDR ein gutes Beispiel?

Da waren Frauen wirtschaftlich gleichberechtigt. Und die waren Scheidungsweltmeister, rund 80 Prozent der Scheidungen wurden von Frauen eingereicht, weil sie finanziell unabhängig waren. Den Effekt gab es damals auch schon. Jetzt heiratet man nicht so schnell, man wechselt Partner, immer auf der Suche nach der perfekten Frau ist, die es ja nicht gibt.

«Ich bin ‹Sex and the City› aus männlicher Sicht»

Blogger, Autor – und neu sind Sie auch Podcaster. Darin besprechen Sie Beziehungsthemen, zum Beispiel die No-Go beim Kennenlernen oder warum man trotz Beziehung auf Tinder ist: Sind Sie die männliche Version von Charlotte Roche, die mit ihrem Beziehungspodcast Paardiologie gerade Rekorde aufstellt?

Nein, wenn schon, wurde ich wegen meines zweiten Buches die männliche Version von Sex-Kolumnistin Carrie Bradshaw genannt. Ich bin quasi ‹Sex & the City› aus männlicher Sicht.

Ihr Liebesleben ist derart spannend, dass nun Matthias Schweighöfer ihr Buch ‹Generation Beziehungsunfähig› verfilmen lässt. Der Film soll Anfang 2021 in die Kinos kommen. Schauspieler Frederick Lau (‹4 Blocks›) spielt sie.

Ja, lustigerweise ist Frederick Lau ein alter Kumpel von mir. In der Zeit, als ich das Buch geschrieben habe, haben wir uns oft gesehen. Da hat er spasseshalber gesagt: Falls ich dich mal spielen sollte, habe ich jetzt viel Zeit zum Recherchieren. Frederick ist ein cooler Charakterdarsteller.

Das sind die Erfinder der Kult-Serien.

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