«Tatort»-Check Diese Verschwörungstheorie war Vorbild für den Dresdner «Tatort»

Julian Weinberger

20.11.2022

Im Dresdner «Tatort: Katz und Maus» verhandelte die Polizei mit einem Geiselnehmer, der an eine absurde Massenentführung von Kindern glaubte. Welche Verschwörungstheorie diente dem Fall als Vorbild? Und warum sind «alternative Realitäten» derzeit so erfolgreich?

Julian Weinberger

Im Dresdener «Tatort: Katz und Maus» mussten die Ermittler Karin Gorniak (Karin Hanczewski), Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) und Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) mit einem Mann in Mausmaske verhandeln, der an eine absurde Verschwörung glaubte. Seine Forderungen konnten quasi nicht erfüllt werden. Tatsächlich orientierte sich der Krimi an einer real existierenden Verschwörungstheorie aus den USA.

Worum ging es?

Ein Mann mit Mausmaske (Hans Löw) hat in Dresden eine Boulevardjournalistin entführt. Er verlangte per Videobotschaft von der Polizei, dass 150 in Sachsen entführte Kinder befreit werden müssen. Die sollen angeblich in einem Dresdner Keller gefangen gehalten werden – von einflussreichen Verschwörern. Chef Schnabel wendete sich in einem eindringlichen TV-Appell an den offenbar «werteorientierten» Täter, um das Leben der Geisel zu retten. Bald jedoch wurde er selbst zum Opfer des Entführers.

Tatsächlich gelang es den Polizistinnen Karin Gorniak und Leonie Winkler, die mittlerweile erwachsene Tochter des Verschwörungstheoretikers ausfindig zu machen. Doch was tun, wenn dem Täter kein Fakt mehr zugänglich scheint und er die Realität schlichtweg ignoriert?

Worum ging es wirklich?

Das Drehbuch-Team Stefanie Veith und Jan Cronauer schrieb seinen Sachsen-Thriller «Katz und Maus» während der Corona-Zeit, als bekanntlich Verschwörungstheorien – im sächsischen Raum, aber auch anderswo – durch die Decke schossen.

«Wir haben selbst die Erfahrung gemacht», sagt Stefanie Veith, «dass mit bestimmten Menschen über bestimmte Themen nicht mehr geredet werden konnte, ohne dass die Debatte zu einem ideologischen Streit auswuchs. Und wir sind im Bekanntenkreis immer wieder auf Menschen gestossen, die in einigen Bereichen ihres Lebens die Realität zugunsten einer alternativen Wahrheit verlassen hatten.»

Die spannende und durchaus ethisch komplexe Frage im und zum Krimi lautete ausserdem: Wie sehr darf sich die Polizei auf die (verrückte) Welt des Täters einlassen, um Leben zu retten?

Warum funktionieren Verschwörungstheorien?

Einer der besten Dialoge des «Tatorts» findet während der Ermittlungen bei der «Grinsekatze» statt – einem blutjungen Influencer, der Verschwörungstheorien verbreitet, aber offenbar selbst nicht an seine Enthüllungen und Theorien glaubt. Er sieht seine «Informationen» lediglich als biegsame Handelsware. Dazu sagt er den Ermittlern: «Das Beste an Verschwörungstheorien ist ihre Unwiderlegbarkeit. Wenn keine Beweise existieren, ist das gleichzeitig der Beleg für die Existenz der Konspiration.»

Woraufhin die Kommissare entsetzt fragen: «Das heisst, der beste Beweis ist gar keiner?» Daraufhin die «Grinsekatze»: «Das klingt absurd, aber es stimmt. Und es ist gleichzeitig der beste Weg, Traffic zu generieren.» Klar, Menschen lieben einfach gute Geschichten – wie auch das Bild, selbst zu einer Informationselite zu gehören und die Dinge quasi «zu durchschauen». Egal, wie absurd eine Theorie ist: Etwas, das einem selbst vielleicht gut ins Weltbild passt, wird im Zeitalter «alternativer Fakten» gern aufgegriffen.

Warum sind Verschwörungstheorien erfolgreicher als früher?

Als grosser Erfolgsfaktor von Verschwörungstheorien gelten Social-Media-Blasen. Mit dem Web 2.0, wo sich die User austauschen und dabei allzu oft unter sich bleiben, nahm der Einfluss klassischer Medien ab und über die Social Networks jener von Informations-«Echokammern» zu. Nach dem Algorithmus-Prinzip, wonach einem das Netz mehr von dem gibt, nach dem man (öfter) suchte, bewegen sich viele User nur noch in virtuellen Gruppen, die der gleichen Meinung sind.

In einer Ende August 2022 veröffentlichten Studie der Universität Bielefeld kam heraus, dass bei Jugendlichen, die ihre Informationen bevorzugt aus den sozialen Medien beziehen, sich bei 37,6 Prozent eine «starke Verschwörungsneigung» zeigt. Immerhin: Unter jenen Jugendlichen, die sich überdurchschnittlich viel über die öffentlich-rechtlichen Medien informieren, zeigen nur 5,4 Prozent eine starke Neigung zu Verschwörungsmythen.

Welcher reale Fall diente «Katz und Maus» zum Vorbild?

«Pizzagate» heisst das reale Vorbild des neuen Dresdener «Tatorts»: 2016 wurden im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf Fake-News im Internet gestreut, wonach in einer Pizzeria in Washington D.C. ein Kinderporno-Ring agieren würde, in den auch die Kandidatin Hillary Clinton involviert sei. Die vermeintliche, vielfach widerlegte Verschwörung wurde in den sozialen Medien immer weiterverbreitet, bis im Dezember 2016 ein mit einem Gewehr bewaffneter Mann in die Pizzeria eingedrungen ist, um die angeblich dort festgehaltenen Kinder zu befreien.

«Das hat bei uns den entscheidenden Gedanken für die Geschichte ins Rollen gebracht», sagt Drehbuchautor Jan Cronauer. «Was, wenn ein Täter etwas verlangt, was man ihm schlichtweg nicht erfüllen kann, weil es einfach nicht existiert? Wir haben uns gedacht, dass es wahnsinnig schwierig sein müsste, sich mit so einem Menschen auseinanderzusetzen.»

Wie geht es beim Dresdener «Tatort» weiter?

Der Fall «Der unsichtbare Tod» (Arbeitstitel), dessen Dreharbeiten im März 2022 abgeschlossen wurden, dürfte der nächste «Tatort» mit Gorniak, Winkler und Schnabel werden. Erzählt wird ein Familiendrama, das sich in einem Gärtnereibetrieb abspielt. Der voraussichtliche Sendetermin ist schon am 8. Januar 2023. Das Drehbuch stammt von Kristin Derfler («Es ist nicht vorbei»), Regie führte Andreas Herzog («Die Toten von Marnow»).

Allerdings wurde im Anschluss noch ein weiterer Dresdener Fall mit dem Arbeitstitel «Ausgeliefert» abgedreht: Darin wacht eine Frau orientierungslos mit einem Messer in einer Hand neben ihrem erstochenen Freund auf. Unklar ist, ob sie Täterin oder Opfer ist. Kommissarin Winkler will Sarah Monet (Deniz Orta) helfen, denn die beiden sind alte Schulfreundinnen. Chef Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) zieht die Ermittlerin wegen möglicher Befangenheit vom Fall ab, doch die «arbeitet» privat weiter.