Schwarzwald-«Tatort» im Check Wie oft töten Frauen tatsächlich?

tsch

6.11.2022

Der «Tatort: Die Blicke der Anderen» war ein äusserst cleverer Beitrag zur ARD-Themenwoche «Wir gesucht! Was hält uns zusammen?». Subtil wurde in dem Krimi mit Ausgrenzungsmotiven und Vorurteilen gearbeitet. Doch wie oft werden Frauen tatsächlich zu Mörderinnen?

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6.11.2022

Vorurteile haben viele Gesichter. Nicht immer ist es der Fremde, ein gesellschaftlicher Aussenseiter oder einfach skrupelloser Verbrecher, der für den gewaltsamen Tod von Menschen verantwortlich ist.

Im Schwarzwälder «Tatort: Die Blicke der Anderen» stand der unglaubliche Verdacht im Raum, dass die unauffällige Vorstadt-Mutter einer schicken Neubau-Siedlung ihren Mann und ihren kleinen Sohn umgebracht hat.

Nun gut, es wäre irgendwie nicht passend gewesen, wenn ein Film der ARD-Themenwoche «Wir gesucht! Was hält uns zusammen?» das Vorurteil gegenüber der Verdächtigen am Ende bestätigt hätte. Doch wer spielte diese besondere Rolle der Frau und Mutter so herausragend? Und wie oft passiert es tatsächlich in Deutschland, dass tatsächlich Frauen ihre Kinder oder andere Menschen töten?

Worum ging es?

Das Haus der vierköpfigen Familie Vogt fand die entsetzte Zeugin menschenleer, aber mit reichlich Blut getränkt vor. Der grössere Sohn Lukas (Sean Douglas) hatte auswärts übernachtet. Mutter Sandra (Lisa Hagmeister), Vater Gerd (Daniel Lommatzsch) und der kleine Sohn Noah (Aureus Anker) wurden vermisst. Schliesslich fand die Polizei Sandra Vogt alleine am Tisch einer Autobahnraststätte in der Nähe ihres Wohnortes.

Die Frau wirkte nüchtern, fast stoisch. Stand sie unter Schock, ist sie die Mörderin ihres Mannes und Sohnes – oder einfach nur ein «besonderer» Charakter? Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) ermittelten, dass viele Nachbarn die vor längerer Zeit zugereiste Sandra Vogt schon immer ziemlich seltsam fanden.

Worum ging es wirklich?

«Die Sandra isch halt die Sandra», erzählen Nachbarn den Kommissaren über Sandra Vogt. Was in etwa heissen soll, dass im Schwarzwald niemand so recht schlau wurde aus einer Frau, die ihr Herz weder im Gesicht noch auf der Zunge trägt. Im Drehbuch Bernd Langes, der auch den grossartigen ersten Schwarzwald-«Tatort: Goldbach» schrieb, ist die subtile Zeichnung der Episoden-Hauptfigur ein ganz grosser Wurf.

Seine «Sandra» hat eigentlich nichts falsch gemacht. Ausser, dass sie zugezogen ist und spröder wirkt, als man es im eher lieblichen Südwesten Deutschlands erwartet. Insofern ist Langes neuer «Tatort» eine überaus spannende Studie über Vorurteile und ihre Wirkung in Form eines «schleichenden Gifts», das dann besonders gut wirkt, wenn unsere Erwartungen an Menschen dauerhaft nicht befriedigt werden.

Wer war die «besondere» Hauptdarstellerin?

Der «Tatort: Die Blicke der Anderen» wäre wohl nur halb so gut gewesen, wenn Hauptfigur Sandra Vogt nicht so aussergewöhnlich gut besetzt gewesen wäre. Gespielt wurde sie vom Hamburger Theaterstar Lisa Hagmeister. Die 43-Jährige macht sich in Film und Fernsehen eher rar. Doch immer dann, wenn sie etwas spielt, ist es etwas sehr Eindrückliches.

Zwei Rollen, in denen die gebürtige Berlinerin ebenfalls Mütter spielt, belegen dies: 2008 verkörperte Hagmeister im Frankfurter «Tatort: Der frühe Abschied» über plötzlichen Kindstod eine Mutter mit Verlusterfahrung. Der junge Vater damals übrigens: Tom Schilling.

Für diese Rolle wurde Lisa Hagmeister mit einem Deutschen Fernsehkrimipreis ausgezeichnet. Auch im gefeierten Drama «Systemsprenger», das Deutschland 2020 für den Wettbewerb um den Oscar als besten fremdsprachigen Film einreichte, war Lisa Hagmeister in einer Nebenrolle zu sehen: Sie war die komplett überforderte Mutter der neunjährigen Hauptfigur Bennie, gespielt von Helena Zengel.

Wie oft töten Frauen?

Die polizeiliche Kriminalstatistik sagt, dass Frauen mit ungefähr 30 Prozent bei Delikten wie Diebstahl, Betrug, Veruntreuung, Unterschlagung und Beleidigung vertreten sind. Bei den schweren Gewaltdelikten – Mord, Totschlag, schwerer Raub – ist der Frauenanteil deutlich niedriger und lag 2016 bei ungefähr zwölf Prozent. Eine Studie von Daly und Wilson, die 35 Untersuchungen zur Tötungskriminalität in unterschiedlichen Kultur- und Zeitepochen durchführte, kam sogar zum Ergebnis: 91 Prozent der Täter waren Männer.

Etwas anders sieht die Statistik aus, wenn man vorsätzliche und vollendete Tötungsdelikte an Kindern unter sechs Jahren im Zeitraum von 1997 bis 2006 betrachtet: Hier überwogen Frauen als Täterinnen mit 56,5 Prozent. Eine amerikanische Studie des FBI zu Serienkillern, die nur etwa ein Prozent aller Morddelikte ausmachten, fand hingegen heraus: Immerhin 17 Prozent der amerikanischen Serienkiller waren weiblichen Geschlechts.

Wie geht es beim Schwarzwälder «Tatort» weiter?

Ein weiterer Schwarzwald-«Tatort» für das Jahr 2023 wurde bereits im Frühjahr 2022 abgedreht. Auch im Film mit dem Arbeitstitel «Das geheime Leben unserer Kinder» (Regie: Kai Wessel, Drehbuch: Astrid Stöher) steht das Thema Familie im Mittelpunkt. Erzählt wird von einem beeindruckend liberal wirkenden Patchwork-Konstrukt, das mit seinen mittlerweile fast erwachsenen Kindern über Jahre hinweg gut zu funktionieren schien.

Wegen eines Todesfalles im persönlichen Umfeld des Sohnes wird auch die besagte Familie durchleuchtet. Was dazu führt, dass die Ermittelnden Risse in der «Fassade» entdecken. Ein Ausstrahlungstermin und der finale Titel der neunten «Tatort»-Folge mit Tobler und Berg stehen bislang noch nicht fest.