Regisseurin Christine Repond «Wer einen ‹Tatort› dreht, exponiert sich»

Von Bruno Bötschi

10.9.2022

Am Sonntag zeigt das Schweizer Fernsehen SRF den nächsten Zürcher «Tatort». Regisseurin Christine Repond über rappende TV-Kommissarinnen und weshalb Kritik an den Vorgänger-Krimis sie nicht beeindruckt.

Von Bruno Bötschi

10.9.2022

Christine Repond, haben Sie eine TV-Lieblingskommissarin oder Kommissar?

Ich fand fast alle Folgen von «Polizeiruf München» herausragend und mochte sehr, wie Matthias Brandt den Kriminalhauptkommissar Hanns von Meuffels darstellte. Mittlerweile wurde er jedoch durch ein jüngeres Team ersetzt.

Wirklich wahr, dass Sie, bevor Sie anfingen, «Tatort» zu drehen, kaum Fernsehkrimis geschaut haben?

Das stimmt. Das änderte sich allerdings, als ich den «Tatort»-Auftrag bekam. Zur Vorbereitung schaute ich mir sicher 50 Folgen an, um das Genre zu studieren.

Gibt es ein «Tatort»-Ermittlerteam, das sie besonders mögen?

Ich mag die Stuttgarter Fälle um Kommissar Thorsten Lannert, gespielt von Richy Müller, sehr. Viel Mut beweisen die Macher*innen der Freiburger Tatorte, die oft an Arthouse-Kino erinnern. Und natürlich sind mir Isabel Grandjean und Tessa Ott aus Zürich ans Herz gewachsen.

So grundsätzlich: Warum wollten Sie einen «Tatort» drehen?

«Tatort» ist natürlich Kult. Je länger ich mich damit auseinandergesetzt habe, desto faszinierter fand ich als Filmemacherin die Herausforderung, mit einem Krimi am Sonntagabend zwischen sechs und 13 Millionen Menschen zu erreichen. Spannend finde ich zudem, an diesem Sendeplatz einen Film inszenieren zu dürfen, der sich mit einem gesellschaftlich relevanten Thema auseinandersetzt.

Am Sonntag, 11. September, 20.05 Uhr, zeigt das Schweizer Fernsehen SRF Ihren «Tatort: Risiken mit Nebenwirkungen». So kurz vor dem Sendetermin: Wie ist die Gefühlslage?

Ich bin freudig-gespannt und gleichzeitig froh darüber, dass der Film, er ist schon fast ein Jahr im Kasten, endlich dem TV-Publikum gezeigt werden kann.

In Ihrem zweiten «Tatort»-Krimi geht es, der Titel «Risiken mit Nebenwirkungen» lässt es erahnen, um die Pharmaindustrie. Was reizte Sie an dem Drehbuch?

Während die Autorinnen Stefanie Veith und Nina Vukovic das Drehbuch schrieben, war Corona noch kein Thema – beim Drehen jedoch schon. Insbesondere die Diskussion um das Thema «Impfen» wurde grösser und intensiver. In «Risiken mit Nebenwirkungen» geht es zwar nicht ums Impfen, sondern um ein neu entwickeltes Medikament für eine seltene Krankheit, das in der Schweiz kurz vor der Zulassung steht, doch die Abläufe sind ähnlich. Für den Film fand ich es wichtig, dass fast alle Akteure*innen eine andere Sicht auf das Thema haben. Während die Mutter der kranken Klara für die Gesundheit ihrer Tochter bis ans Ende der Welt gehen möchte und sie in einem Testprogramm für das Medikament angemeldet hat, glaubt ihre Tochter, dass sie das neuartige Medikament noch kränker macht. Dazu kommen die Sichtweisen der Anwält*innen und der Kommissarinnen. Ein Umstand, der es mir erlaubt hat, die Geschichte thrillerähnlich erzählen zu können.

Unter uns gesagt: Ich bin ebenfalls ein Fan vom Zürcher Ermittlerinnenduo Isabelle Grandjean (gespielt von Anna Pieri Zuercher) und Tessa Ott (Carol Schuler) und mag auch Staatsanwältin Anita Wegenast (Rachel Braunschweig) sehr.

Ich finde es sehr toll, dass die Verantwortlichen vom Schweizer Fernsehen ein Frauenteam gewählt haben für den Zürcher «Tatort». Diese Konstellation gibt es nicht oft. Zudem gefällt mir, dass die Frauen höchst unterschiedliche Charaktere haben, eine aus der Westschweiz kommt – das erzeugt Spannung und bietet Potenzial für die weitere Entwicklung der Figuren.

Was macht für Sie als Regisseurin den Schweizer «Tatort» besonders?

Es ist der einzige «Tatort», der in Mundart gedreht wird, alle anderen – selbst jene aus Österreich – werden in Hochdeutsch produziert. Schon oft wurde darüber diskutiert, ob auch der Schweizer «Tatort» in Hochdeutsch gedreht werden soll.

Ihre Meinung dazu?

Ich fände das schade. Da gehen Farben und Nuancen verloren, die eigentlich einzigartig sind.

Ein Problem ist, dass die Schweizer Folgen in Deutschland in der synchronisierten Fassung gesendet werden.

Das hat tatsächlich etwas Seltsames, weil das TV-Publikum spürt, dass bei der Übersetzung irgendetwas verloren gegangen ist. Gerade die schweizerdeutsche Mundart ist schwierig ins Hochdeutsche zu übersetzen, da sie oft eine Vergangenheitsform nutzt, die im gesprochenen Hochdeutschen wenig verwendet wird. «Wo sit Dir geschter Abig gsi?» würde man mit «Wo waren Sie gestern Abend?» übersetzen. Das ist aber nicht lippensynchron. Deswegen muss es in der hochdeutschen Übersetzung dann «Wo sind Sie gestern Abend gewesen?» heissen, was sich für deutsche Ohren künstlich und gestelzt anhört.

Würde es vielleicht nützen, wenn die Schweizer «Tatorte» in Deutschland in Originalversion, jedoch mit Untertiteln ausgestrahlt würden?

Das fände ich grossartig. Ich habe dazu auch einen Vorstoss bei den Verantwortlichen lanciert. Bisher bin ich damit nicht durchgedrungen. Ich wohne schon seit mehreren Jahren in München und höre immer wieder von Freund*innen, sie würden den «Tatort» gern in Schweizer Dialekt hören. Ich schlug deshalb vor, die Originalversion mit Untertiteln wenigstens in der Mediathek der ARD verfügbar zu machen. Die Zuschauer*innen könnten dann wählen, welche Version sie sich ansehen möchten. Zugleich wäre das ein guter Test, wie viele Menschen das wahrnehmen würden.

Sie haben auch bereits den letzten Schweizer «Tatort» gedreht, der im März ausgestrahlt wurde. Die Kritik in den Medien dazu war geteilt – von «dauerhafter Abtörn» bis «auf gutem Weg».

Ich habe die Kritiken zu «Schattenkinder» natürlich gelesen. So grundsätzlich gesagt: Kontrovers diskutierte Filme sind für mich erst mal nichts Schlechtes. Mit Filmen, die alle gut finden, kann ich selten etwas anfangen. Es gibt zudem einen wichtigen Unterschied zu beachten: Während ich die Drehbücher für meine Kinofilme gemeinsam mit einer Co-Autorin schreibe, wurde ich für die beiden «Tatort»-Krimis nur als Regisseurin gebucht. Es ist also eine Auftragsproduktion. Meine Pflicht ist dann, das Drehbuch bestmöglich umzusetzen. Bekommt ein solcher Film später negative Kritiken, finde ich das zwar schade, verantworte aber letztlich die Regie, und nicht etwa das Drehbuch oder das Konzept. Die Arbeit an einem «Tatort» ist Teamarbeit, die Entscheidungen dahinter sind öfter komplex. Klar ist aber auch, wer einen «Tatort» dreht, exponiert sich und weiss im Voraus, dass es Kritik geben wird. Eine Tatsache also, mit der man umgehen können muss, sonst lässt man lieber die Finger davon.

Wie viele Freiheiten haben Sie als Regisseurin bei der Interpretation der beiden Kommissarinnen?

Es gibt die sogenannte Serienbibel. Sie ist rund 50 Seiten dick. Darin sind die Figuren und ihre Tonalität beschrieben. Aber das ist natürlich Papier und sollte mit Leben erfüllt werden. Weil es erst der dritte respektive vierte Fall der beiden Zürcher TV-Kommissarinnen ist, hatte ich das Glück, dass ich da und dort auch eigene Ideen einbringen durfte.

Zum Beispiel?

Mir war es ein Anliegen, dass ich in «Risiken mit Nebenwirkungen» auch einmal die weicheren Seiten von Isabel Grandjean aufzeigen konnte. Die Geschichte um das kranke Mädchen bot an, das Thema um Grandjeans Sohn, der nicht bei ihr aufwächst, aufzugreifen. Und auch bei Tessa Ott konnte ich andere Seiten zeigen.

Entstehen solche Charakterbeschreibungen auch in Zusammenarbeit mit den Schauspieler*innen?

Ja durchaus. Etwa die Szene in der Küche, in welcher Isabel Grandjean anfängt, zu weinen …

Stopp, wir verraten besser noch nicht alles. Ich nehme an, solche Schlüsselszenen müssen vorab mit den Verantwortlichen vom Schweizer Fernsehen SRF abgesprochen werden.

So ist es.

Ich persönlich mag die Schlussszene in «Risiken mit Nebenwirkungen» sehr, also wenn Isabel Grandjean vor der Klinik rappt – wessen Idee war das?

Es gibt im Film zwei Szenen, in denen die Kommissarin rappt – beide haben wir in einem gemeinsamen Brainstorming erarbeitet. Und weil die Wurzeln von Isabel Grandjean in der Westschweiz sind, fanden wir es passend, wenn sie beim ersten Mal etwas von «Sens Unik» rappt.

Und wer schrieb den Text zum Rap am Ende des Filmes?

Schauspielerin Anna Pieri Zuercher höchstselbst. Diese Initiative fand ich wunderbar. Auch deshalb, weil sich die beiden Kommissarinnen in dieser Szene richtig nah kommen, sich sozusagen verschwestern.

«Tatort» gibt es seit 52 Jahren und gilt als erfolgreichste Krimireihe im deutschsprachigen Europa. Gibt es irgendwelche Vorgaben, ausser dem Vorspann, die in jedem «Tatort», egal, ob er in Deutschland, Österreich oder der Schweiz gedreht wird, zu sehen sein müssen?

Da kommt mir nur das Thema «Rauchen» in den Sinn, was aktuell vor allem in Deutschland nicht gern gesehen wird. Aber ich bin der Meinung, ein Film sollte die Gesellschaft abbilden – und es ist nun halt eine Tatsache, dass es nach wie vor Menschen gibt, die rauchen.

Sie auch?

Nein.


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