«Tatort»-Check Ist Psycholyse in der Schweiz verbreitet?

tsch

16.10.2022

Im Frankfurter «Tatort» experimentierte ein Psychoanalytiker (Martin Wuttke) mit Gruppensitzungen unter Drogen. Dabei kamen sechs seiner Patienten ums Leben. Da stellte sich die Frage: Gibt es solche Trips auch in der Schweiz?

tsch

16.10.2022

Im 16. «Tatort» mit Paul Brix (Wolfram Koch) und Anna Janneke (Margarita Broich) schienen alle Klischees versammelt, die man der Seelenklempner-Profession vorwirft. Vor allem jenes, dass dort viel Hokuspokus passiert und Therapeuten eigentlich verrückte Möchtegern-Gurus sind, die Kontrolle über Menschen haben wollen.

Die im Film thematisierte Psycholyse, also therapeutische Sitzungen unter Drogeneinfluss, gibt es aber tatsächlich. Wir erklären, warum Drogen in der Psychotherapie wieder im Trend liegen und verraten, auf welches tragische deutsche Vorbild der «Tatort: Leben Tod Ekstase» wohl anspielt.

Worum ging es?

Eine Psycholyse-Gruppensitzung mit Dr. Goser (Martin Wuttke) endete im Desaster: Alle sechs Patienten starben nach Einnahme der Droge, nur der Therapeut überlebte. Goser hatte aber keine Erinnerung daran, was passiert war. Zunächst befragten Janneke und Brix den seltsamen Psycho-Onkel im Gefängnis, wo er zur Untersuchungshaft einsass. Weil sie jedoch wenig erfuhren, brachten sie ihn zu seiner Villa, wo auch die Therapiesitzungen stattgefunden hatten.

Zunächst lernten die Zuschauenden in Rückblenden jene Patienten kennen, die bei Goser verkehrten. Darunter die traumatisierte Künstlerin Ellen Jensen (Aenne Schwarz) sowie der ehemalige Task Force-Soldat Syd (Frederik von Lüttichau). Dann überschlugen sich die Ereignisse: Ein Unbekannter griff die Villa an, und Gosers ganz und gar durchgeknallter «Mitbewohner» John (Pit Bukowski) schlich auch noch dort herum.

Worum ging es wirklich?

Das spannende Thema Psycholyse verwandelte Regisseur Nikias Chryssos, der mit Michael Comtesse («Tatort: Das perfekte Verbrechen») auch das Drehbuch schrieb, in eine Groteske, bei der man nicht so recht wusste, ob auch die Macher des «Tatorts» psychotrope Substanzen bei der Arbeit eingenommen hatten. Erzählerisch wirkte der Film, als hätte David Lynch ein Drehbuch von Helge Schneider verfilmt. Nur eben leider «in schlecht».

Der Krimi machte sich sowohl über Psychotherapie und Psychotherapeuten als auch über bewusstseinserweiternde Drogen lustig. Das ist zwar erlaubt, man hat beides aber schon sehr viel besser gesehen. 2021 gewann das dänische Drama «Der Rausch» über vier Lehrer, die als pädagogisches Konzept Unterricht unter Alkohol-Dauerpegel abhalten, einen Oscar und vier europäische Filmpreise. Von diesem Niveau ist der «Tatort: Leben Tod Ekstase» trotz seines vielversprechenden, sehr schönen Titels leider extrem weit entfernt.

Was ist Psycholyse?

Psycholyse ist ein Sammelbegriff für Substanz-unterstützte Psychotherapie, worunter in der Regel bewusstseinsverändernde «Drogen» gemeint sind. Die Idee fusst auf Schamanentum und stammesreligiösen Riten, bei denen Gruppen Mescalin (ein Kaktus-Extrakt) oder psychotropen Pilze einnahmen. Der Schweizer Chemiker Albert Hofmann entwickelte 1938 Lysergsäurediethylamid (LSD) als Kreislaufstimulans und fand im kontrollierten Selbstversuch eine halluzinogene Wirkung.

Vor allem in den 60er- und 70er-Jahren wurde mit Therapien unter psychotropen Substanzen experimentiert, doch wegen Anfeindungen und Nähe zum «klassischen» Drogenkonsum verlor dieser Forschungszweig an Bedeutung. In den letzten zehn bis 15 Jahren ändert sich das jedoch: Vor allem in Europa und den USA erzielten psychotrope Substanzen bei der Therapie von Traumapatienten und schwer Depressiven Erfolge und werden wieder in Erwägung gezogen.

Ist die Schweiz ein Psycholyse-Paradies?

Bei der Therapie mit psychotropen Substanzen ist die Schweiz traditionell liberaler aufgestellt als Deutschland und die meisten umliegenden Staaten. Gerade an den Universitäten Zürich und Basel sehen Neuroforschende in psychedelischen Stoffen grosses Potenzial bei der Therapie psychischer Krankheiten.

Für die Forschung mit illegalen Substanzen brauchen die Wissenschaftler jedoch die Zustimmung vom BAG (Bundesamt für Gesundheit), von Swissmedic, der Heilmittelbehörde der Schweiz, der kantonalen Ethikkommission sowie eine Einfuhrerlaubnis beim Zoll. Kurzum: Die Hürde, um an verbotenen Stoffen zu forschen, ist auch in der Schweiz hoch.

Welche Drogen setzt man heute in der Therapie ein?

Die meisten bekannten «Psychotrip»-Präparate wie LSD, die Pilzdroge Psilocybin oder der Ecstasy-Inhaltsstoff MDMA sind in Deutschland verboten und dürfen auch nicht benutzt werden, um Menschen damit zu behandeln. Ausser mit Sondergenehmigung im Rahmen kontrollierter klinischer Studien – die selten erteilt werden. Anders sieht es mit Ketamin aus, einem Schmerz- und Narkosemittel, das ebenso eine psychotrope Wirkung hat.

Experten rechnen damit, dass in fünf bis zehn Jahren auch in Deutschland psychotrope Medikamente zur Behandlung von einigen psychischen Erkrankungen zugelassen werden. Allein deshalb, weil in Nordamerika und Europa sehr viel dazu geforscht wird – und bereits Erfolge bei der Behandlung von Depressionen, Angststörungen und Traumata erzielt wurden.

Weitere Medikamente, die experimentell im Einsatz sind, enthalten (auch wieder) die Ecstasy-Komponente MDMA. Auch Psilocybin, ein Wirkstoff aus Pilzen der Gattung Kahlköpfe, befindet sich im Einsatz. In seiner Wirkung ähnelt Psilocybin dem LSD, wird aber als «sanfter» oder «wärmer» beschrieben.

Bei welcher Psycholyse kamen Patienten ums Leben?

Der «Tatort» könnte auf einen wahren Berliner Fall und Prozess aus den Jahren 2009 und 2010 anspielen, bei dem übrigens Ferdinand von Schirach den Psychotherapeuten verteidigte. Bei einer sogenannten psycholytischen Intensivsitzung mit zwölf Männern und Frauen am 19. September 2009 starben zwei Männer an einer Überdosis der Droge Ecstasy. Mehrere Patienten mussten mit Vergiftungen ins Krankenhaus.

Offenbar war ein falsches Abwiegen der Drogenmenge der Grund für eine Überdosierung. Die Drogen, so kam im Laufe des Prozesses heraus, seien auch bei früheren Sitzungen geschluckt worden, alle Mitglieder der Gruppe hätten Bescheid gewusst. Das Berliner Landgericht verurteilte den damals 51-jährigen Arzt zu einer Haftstrafe von vier Jahren und neun Monaten und belegte ihn mit einem lebenslangen Berufsverbot.