«Adieu Heimat» Kinder, werdet Influencer!

Von Gion Mathias Cavelty

16.4.2021

Südungarische Hängebauchschweine und St. Galler Influencerbrüste: TV-Experte Gion Mathias Cavelty ist begeistert von «Adieu Heimat».

Von Gion Mathias Cavelty

16.4.2021

Meine Tochter Angie ist zwölf Jahre alt. Mein Traum ist es, dass sie so schnell wie möglich viel Geld verdient und mir davon ordentlich etwas abgibt, damit ich mich frühpensionieren lassen kann.

Ein lukrativer Job für Angie muss also her. Etwas Kühnes, Visionäres, aber trotzdem mit Hand und Fuss. Und hier kommt die Reality-Doku-Serie «Adieu Heimat» ins Spiel. Man kann nur staunen, was für verblüffende Businessideen einem dort immer präsentiert werden.

In der letzten Staffel zum Beispiel: Ein Auswandererpaar aus Bern, das im paraguayischen Nirgendwo mit dem Verkauf von selbstgezüchteten Macadamia-Nüsschen durchstarten wollte – einfach genial! Der Erlös am ersten Markttag betrug mindestens fünf Franken! Respekt!

Wer taugt als Vorbild?

Ich nötige mein Töchterchen dazu, mit mir zusammen am Donnerstagabend die erste Folge der neuen Staffel von «Adieu Heimat» auf 3+ anzuschauen. Die Protagonisten sind:

1. Monika (56) und ihre Tochter Habiba (13) aus dem Berner Oberland, die in Ägypten einen Pferdestall für Touristen eröffnen wollen. Leider sind sie gar kein gutes Vorbild. Wie diese Habiba immer herummault: «Ich weiss nicht, was ich dir angetan habe, dass ich jetzt hier landen muss! Mir gefällt es hier gar nicht, unser Haus hat nicht einmal ein richtiges Dach, es hat gar kein Internet, wir sind mitten in der Wüste, ich will hier wirklich nicht bleiben!»

2. Das Paar Esther (50) und Fabienne (35) aus Dottikon, das in Südungarn einen Gnadenhof für Tiere betreiben will. In der ersten Folge versuchen sie, drei Hängebauchschweine namens Hanni, Nanni und Wilma vor dem Metzger zu retten. Im Prinzip keine schlechte Idee. Aber nach der Rettung müsste man doch etwas mit den Viechern machen! Ihnen irgendetwas beibringen, das Singen oder Tanzen oder Hellsehen beispielsweise und dann mit ihnen als lebende Weltwunder durch die ungarischen Käffer ziehen. Derartiges scheinen Esther und Fabienne aber nicht zu planen. Sie wollen die Schweine bis zum Ende ihres Lebens einfach so vor sich hin blöterlen lassen. Auch kein gutes Vorbild.

3. Silvio (25) aus St. Gallen, der angeblich bereits 178'000 Follower auf Instagram hat und diese «täglich mit Einblicken in sein perfektes Jetset-Leben rund um den Globus» erfreut (Zitat 3+). Jetzt will er die «Party-Insel» Ibiza erobern. In Folge 1 kann man ihn auf der Suche nach dem perfekten Selfie auf der Baleareninsel bewundern. Seine Arbeitskleidung besteht lediglich aus einer engen Hose und Turnschuhen. Seine gestählten Männerbrüste blitzen nur so im Sonnenlicht. «Beachclub, Strand, Sonne» lautet sein Motto.

Angie ist nicht beeindruckt

Beim Wort «Influencer» zucke ich zusammen. Das wäre doch genau das Richtige für Angie! Es kommt zu folgendem Dialog:

Ich: Influencer! Das ist es! Ich will, dass du Influencerin wirst! Das ist die Zukunft! Lass sofort alles stehen und liegen und flieg nach Ibiza!
Angie: Ich muss aber in die Schule.
Ich: F**k da school! Schau dir diesen braun gebrannten Typ an! Der hat 178'000 Follower!
Angie: Das ist megawenig. Die Youtuber, die ich schaue, haben 5 Millionen Abonnenten.
Ich: Und warum hast DU nicht 5 Millionen Abonnenten?
Angie: Du nervst wirklich.

Auf dem Bildschirm trifft Silvio gerade ein «Instagram-Sternchen» (Zitat Off-Sprecher) namens Veronica, die schon seit zehn Jahren auf Ibiza influenct. Sie soll ihm beim Aufstieg in der internationalen Social-Media-Society helfen. Mir gefällt diese Veronica ausgezeichnet.

Ich: Schau, das ist auch eine Influencerin! Watch and learn! Jetzt machen sie gerade ein Videöchen von sich in Silvios Mietwagen. Solches Zeug machen sie den ganzen Tag. Das könntest du weiss Gott auch!
Angie: Aber die ist grauenhaft geschnippelt im Gesicht. Die kriegt ihre Lippen gar nicht zu. 
Ich: Ja, vielleicht, aber sie hat viele Top-Connections! Wie viele Top-Connections hast du, hä? 
Angie: Ich weiss nicht, was das ist. 
Ich: Ja, eben, leider. Ich sage dir, wie viele Top-Connections du hast: Null.

Silvio und Veronica beschliessen, am Abend eine Riesenparty für alle ihre Friends in Silvios Mietvilla steigen zu lassen (Silvio: «Sie lebt hier ja schon länger, von dem her denke ich, dass sie schon dementsprechend viele Kontakte am Start hat. Wäre natürlich cool, wenn ich mein Netzwerk vergrössern könnte. Netzwerk – whoo!»).

Ich: Hast du gehört, Angie? Netzwerk – whoo! Schreib dir das hinter die Ohren!

Zur Party (in Silvios Aussprache: «Poady»/«Puady») erscheinen dann leider nur fünf schlappe Gestalten. Verzweifelt versucht Silvio, gute Laune zu simulieren. Es ist ein sehr trauriges Schauspiel.

Angie: Verkackt!
Ich: Die kommen immerhin im Fernsehen! DU kommst nicht im Fernsehen! Ab ins Bett!

Tja. So ist unsere heutige Jugend. Niemand will mehr Influencer werden. Sad!


Die siebte Staffel von «Adieu Heimat» läuft ab 15. April, jeweils donnerstags um 20:15 Uhr auf 3+.