Vermischtes «König des Klezmer» Giora Feidman verbindet Menschen mit Musik

fa, sda

6.10.2022 - 11:01

Giora Feidman sagt von sich selbst, er singe durch seine Klarinette. Mit diesem Gesang jüdischer Lieder, den er mit argentinischem Tango verbindet, kommt der 86-Jährige zu seinem 75. Bühnenjubiläum in die Schweiz. (Archivbild)
Giora Feidman sagt von sich selbst, er singe durch seine Klarinette. Mit diesem Gesang jüdischer Lieder, den er mit argentinischem Tango verbindet, kommt der 86-Jährige zu seinem 75. Bühnenjubiläum in die Schweiz. (Archivbild)
Keystone

Giora Feidman spielt Klarinette. Der 86-Jährige spielt Klezmer und fusst damit auf einer Musik, wie sie einst in den jüdischen Städten Osteuropas erklang. Und: Er vermittelt eine Botschaft von berührender Menschlichkeit, die er mit fünf Konzerten in die Schweiz trägt.

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Abgrundtiefe Verzweiflung, herzzerreissende Melancholie, überschäumende Freude – das war der Klezmer der Jüdinnen und Juden Osteuropas vor dem Holocaust. Das war auch die Musik der Vorfahren von Giora Feidman, als sie aus Bessarabien (heute Teil der Republik Moldau und angrenzende Gebiete in der Ukraine) nach Argentinien kamen. «Diese Musik drückte die Situation der Juden im osteuropäischen Stetl aus», sagt Feidman im Gespräch mit Keystone-SDA.

Klezmer, Schubert, Tango

Feidman wurde 1936 in Argentinien als Sohn jüdischer Einwanderer geboren. Auch wenn ihn diese Musik seit seiner Geburt begleite – seine Mutter habe ihm die jüdischen Lieder vorgesungen und sein Vater sei Klezmorim (jüdischer Volksmusiker) gewesen – so macht er einen entscheidenden Unterschied zu seiner eigenen Musik: «Ich selbst bin das Resultat musikalischer Erziehung in Argentinien.» Feidman ist nicht nur mit der jüdischen Musik, sondern auch mit den Liedern eines Franz Schubert aufgewachsen oder mit dem Tango seines Geburtslands.

Wenn Feidman nun in der Schweiz auftritt, dann verbindet er Klezmer mit Tango. In St. Gallen, Luzern, Bern, Genf und Basel stehen «Giora Feidman & Friends» auf den Bühnen: Klarinette, Klavier, Geige, Cello und Kontrabass. «Ein spannender Klang» schwärmt er.

Und doch hat sich Feidman eine Eigentümlichkeit des Klezmer bewahrt. Im Gespräch wird er eindringlich, wenn er sagt: «Ich bin Jude. Wenn ich Klezmer spiele, dann spiele ich nicht einfach Noten. Jeder Ton kommt aus tiefster Seele. Klezmer ist meine Seele – nur die Seele.»

Da jeder Mensch eine Seele habe, bestehe in der Musik kein Unterschied zwischen Juden, Muslime oder Christen. Es sei falsch, ein «Ave Maria» nur für Christen oder Klezmer nur für Juden spielen zu wollen. «Ich spiele für jeden Menschen, weil Musik Ausdruck menschlichen Seins ist.»

Musik als universelle Sprache

Feidman versteht Musik als universelle Sprache, die alle Menschen verbindet. Sie drücke aus, «dass wir eine Familie sind – nämlich Menschen.» Jedes menschliche Wesen habe eine Seele und von Kindesbeinen an das Bedürfnis zu singen und zu tanzen. «Insofern ist Musik das Glied, das alle Menschen über Religionen und unterschiedliche Kulturen hinweg verbindet.»

Mit dieser Botschaft wird Feidman seit Jahrzehnten gehört. Im August 2005 beispielsweise lud ihn Papst Benedikt XVI zum Weltjugendtag nach Köln ein, wo er vor mehr als 800'000 Zuhörerinnen und Zuhörern spielte. Überhaupt tritt er häufig in Kirchen auf, so auch in der Schweiz. Zuvor, 2001, wurde er in Berlin für seine besonderen Verdienste um die Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden mit dem Grossen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Mit Blick auf gesellschaftliche Spaltung, zunehmenden Antisemitismus und religiösen Fundamentalismus auch nach dem Untergang des Nationalsozialistischen Regimes sagt Feidman, das sei eine «tiefsitzende Krankheit». Heilen könne er diese nicht, auch das Problem als solches nicht lösen. Seine Kraft für seine Botscchaft schöpft er aus dem Bewusstsein, eine Heimat gefunden zu haben. «Nachdem das jüdische Volk 2000 Jahre in der Fremde verbracht hat und mit dem Trauma, das der Holocaust für das jüdische Volk ist, bin ich nach Hause gegangen – nach Israel.»

Nachdem er als junger Klarinettist eine Anstellung am Teatro Colón in Buenos Aires hatte, zog es ihn 1956 in den Staat Israel, der acht Jahre zuvor gegründet worden war. Er bekam einen Vertrag beim Israel Philharmonic Orchestra, wo er 18 Jahre unter Dirigenten wie Leonard Bernstein, John Barbirolli oder Zubin Mehta arbeitete.

Bühne und Film

Erst «als ich in Israel war, wurde mir bewusst, wie wichtig jüdische Musik für mich sein würde», sagt er. Zu Beginn der 1970er Jahre hat er das Orchester verlassen und begonnen, weltweit Solo-Konzerte vor allem mit Klezmer-Musik zu geben.

Darüber hinaus lockte ihn die Welt des Films: Zusammen mit dem Geiger Itzhak Perlman spielte er die Musik zu «Schindler's List» (1993) ein. Er trat in «Jenseits der Stille» (1996) auf und in «Comedian Harmonists» (1997).

Längst hat er sich mit seiner Klarinette den Titel «König des Klezmer» erspielt, wobei er von sich selbst sagt, er spiele nicht Klarinette, er sei ein Sänger. «Ich singe durch mein Instrument.» Nun feiert er sein 75. Bühnenjubiläum und kommt im Rahmen seiner «Friendship Tour 2022» in die Schweiz.