80. Geburtstag Markus Imhoof: «Meine Neugier und Empathie sind mir geblieben»

sda

19.9.2021 - 13:19

Markus Imhoof im Zürcher Kino Kosmos.
Markus Imhoof im Zürcher Kino Kosmos.
KEYSTONE

Heute feiert Markus Imhoof, eine der wichtigsten Stimmen im Schweizer Film, seinen 80. Geburtstag. Ein Gespräch mit dem Regisseur über Betroffenheit, Altersmilde und die Macht des Kinos.

19.9.2021 - 13:19

Markus Imhoof, woran arbeiten Sie so kurz vor Ihrem 80. Geburtstag?

Wir sind in Paris und Berlin daran, einige meiner Filme zu restaurieren. Zurzeit geht es um die Farbkorrekturen. Das ist wie Photoshop am laufenden Bild auf der Leinwand.

Wie anstrengend sind solche Arbeiten?

Anstrengend, aber existentiell wichtig und somit Lust und Verpflichtung zugleich. Es geht darum, die Seele eines Films zu erhalten – trotz Zeit und Kostendruck. Aber den Marathon gewinnt man auf den letzten Metern.

Markus Imhoof
Portrait of Markus Imhoof, film director and screenwriter, taken in a cinema hall of Kosmos cinema in Zurich, Switzerland, on March 8, 2018. (KEYSTONE/Christian Beutler)

Markus Imhoof, Regisseur und Drehbuchautor, portraitiert am 8. Maerz 2018 in einem Kinosaal des Kinos Kosmos in Zuerich. (KEYSTONE/Christian Beutler)
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Markus Imhoof wurde am 19. September 1941 in Winterthur geboren. Er ist Film- und Theaterregisseur und Drehbuchautor. Zu seinen wichtigsten Werken zählen «Das Boot ist voll» von 1981 und der Dokumentarfilm «More than Honey» von 2012.

 Im neuen Dokumentarfilm «Markus Imhoof – rebellischer Poet» sprechen Wegbegleiterinnen und Freunde von Ihrem Hang zum Perfektionismus. Woher kommt dieser Charakterzug?

Meine Vision, wie ein Film aussehen soll, möchte ich auf dem Set umsetzen. Man könnte es statt Perfektionismus auch Sorgfalt nennen. Wie ein Dirigent muss ich an alle Instrumente denken. Der Einklang ist entscheidend. Immer mal wieder wird gesagt: «La doch ds Füfi la grad si.» Einem Banker würde man eine solche Buchhaltung nie verzeihen. Warum sollte ein Regisseur schlampig arbeiten?

Sind Sie mit zunehmendem Alter milder geworden?

Ich kann meine Wünsche besser formulieren und sehe Angebote von andern nicht mehr als Einmischung, sondern als Geschenk. Ich kann heute besser gemeinsam musizieren.

Bei Ihren Filmen steht am Anfang immer der persönliche Bezug. Ist ein solcher zwingend?

Einen einzigen Film habe ich ohne persönliches Motiv gemacht: Eine Dokumentation über Krampfadern-Operationen in Europa. Es gibt Regisseure, die gerne und gekonnt fremde Drehbücher umsetzen. Auch ich erhielt viele solche Angebote, habe aber nie eines angenommen, sondern immer meine eigenen Ideen umgesetzt.

Der Trailer zu «Das Boot ist voll».

Youtube/Filmo

Es gibt da die Geschichte mit «Schindlers Liste» ...

Genau. Ein deutscher Produzent wollte schneller sein als Steven Spielberg und hat mich als Regisseur angefragt. Innerhalb von wenigen Wochen sollte mit einem zu rasch geschriebenen Buch der Dreh beginnen. Selbst wenn es ein grosses Projekt mit viel Aussenwirkung verspricht: Möglichst schnell hat mich nie interessiert. Es muss von innen stimmen.

Haben Sie Ihre Absage nie bereut?

Nein. Ich hatte nie das Gefühl, im Dienste anderer zu sein. Manche Projekte konnten zwar nicht finanziert werden, aber die meisten konnte ich über all die Jahre in meinem Tempo und mit meinen Vorstellungen realisieren. Das ist Glück und Geschenk zugleich.

Ist für Sie der Film die einzig mögliche Kunst- und Ausdrucksform?

Seit meinen Jugendjahren hätte ich mir vorstellen können, Schriftsteller oder Maler zu werden. Filmemacher empfinde ich als die bestmögliche Kombination beider Kunstformen.

Ihre Filme haben eine gesellschaftliche Relevanz und Dringlichkeit. Was vermag Kino?

Natürlich will ich etwas erreichen und beim Publikum eine Lust auf Veränderungen auslösen. Etwas zurückhaltender formuliert: Ich weiss nicht, ob man mit einem Film die Welt verändern kann, aber wenn man es nicht versucht, wäre es noch schlimmer.

Das klingt pessimistisch.

Im Kern ist es Hoffnung. Ich stelle mir die Frage, ob ich die «Richtigen» erreiche oder vor allem jene, die bereits auf der gleichen Linie sind wie ich. Das ist aber nicht schlimm: Schliesslich brauchen auch sie Argumente und eine Stärkung. Immer wieder habe ich erleben dürfen, dass meine Geschichten über das Viereck der Leinwand hinaus etwas bewirkt haben.

Der Trailer zum Dokumentarfilm «More Than Honey».

Youtube/KinoCheck

Können Sie Beispiele nennen?

Nach «More Than Honey» waren in der Schweiz und Deutschland die Imkerkurse für längere Zeit ausgebucht und der Film läuft auch nach fast zehn Jahren weiterhin regelmässig, nicht nur in der Schweiz, und beeinflusst Umweltdiskussionen. Von den 1800 Menschen, deren Rettung wir auf dem Meer bei 'Eldorado' gefilmt haben, konnten wir nach einem eineinhalbjährigen Kampf einer Frau, die Schreckliches erlebt hat, zu einer Aufenthaltsbewilligung und einer Ausbildung als Krankenschwester und einem Leben in Sicherheit verhelfen. Objektiv scheint das wenig, aber es ist eine ganz konkrete Veränderung zum Besseren.

Wie sieht Ihr Blick auf die Gegenwart aus?

Ich lese drei bis fünf Zeitungen pro Tag und es scheint mir: Die Erde dreht sich in die falsche Richtung – ökologisch, sozial, gesellschaftlich. Umso wichtiger ist es, mit der eigenen Arbeit Menschen zu motivieren, Gegensteuer zu geben. Meine Neugier und Empathie sind mir bis heute geblieben. Ich bin trotz des Elends, das ich gesehen habe, nicht abgestumpft oder zynisch. Dafür bin ich dankbar.

Wohin steuern wir?

Das hängt mit unserer Definition des freien Willens zusammen. Bedeutet es, dass jeder tut, was ihm gerade passt oder, und das ist meine Überzeugung, bedeutet im Kern der freie Wille eine Verantwortung.

Wie ist es, bald mit so vielen Anlässen gefeiert zu werden?

Meinen letzten Geburtstag habe ich mit 50 gefeiert. Seither war ich an dem Tag immer unterwegs. Es freut mich, dass meine alten Filme in neuer Frische sichtbar werden und ich bin gespannt auf den Austausch mit dem Publikum. Gleichzeitig freue ich mich aber auch, wenn ich wieder Zeit habe für die Arbeit an meinem neuen Projekt über die Globalisierung in meiner eigenen Familie – eine Globalisierung seit 250 Jahren.

Was vermissen Sie?

Es gab in meinem Leben bereits früh eine Diskrepanz, ein Ungleichgewicht zwischen Privatem und Beruflichem. Mehr Zeit zu haben für das Private, das wäre schön.

Und, schaffen Sie es?

Ich versuche es. Immer wieder. Und immer wieder neu.

sda