Ihr Leben mit Long Covid «In mir hat sich die Apokalypse ausgebreitet»

Von Marlène von Arx, Los Angeles

14.8.2021

Genesen, aber noch nicht ganz gesund: Die Zürcher Schauspielerin Deborah Meister erzählt, wie sie ihr Leben wegen Long Covid umkrempeln musste.

Von Marlène von Arx, Los Angeles

14.8.2021

Es gab Momente, da fragte sich Deborah Meister, ob sie am nächsten Tag wieder aufwachen würde – damals im März 2020. «In mir breitete sich etwas sehr Fremdartiges, eine innere Apokalypse aus», beschreibt die Schauspielerin, wie es mit Corona für sie in Los Angeles begann. In der Notaufnahme raste ihr Herz, die Lungen zeigten Hyperaktivität und mit der Sauerstoffsättigung stimmte etwas nicht. Aber man schickte sie wieder nach Hause.

Sie soll wieder kommen, wenn es schlimmer wird.

Sie hatte keine Vorerkrankungen. «Das Körperliche machte mir zwar Angst, aber noch schlimmer war dieser Nebel im Hirn», erinnert sie sich. «Die mentale Schwäche raubte mir alles, was meine Identität ausmacht. Das Leben einer Schauspielerin ist ein Auf und Ab. Das Wichtigste, um damit umgehen und funktionieren zu können, ist meine innere Stabilität. Da gibt es nun einen Riss.»

Wochenlang krank und monatelang schwach

Deborah Meister hatte zehn Jahre davor eine Musicalausbildung an der renommierten Schule AMDA in New York absolviert und reiste seither für Projekte zwischen Zürich und Los Angeles hin und her. Zuletzt hatte sie acht Drehbücher für eine Fantasy-Serie, die sie in Neuseeland zu produzieren hofft, geschrieben und «I Wanna Be Single With You» unter der Regie ihrer Schweizer Kollegin Rahel Grunder in Los Angeles gedreht.

Dann kam alles zum Stillstand.

Die 31-jährige Zürcherin war wochenlang krank und monatelang schwach: «Ich hatte kognitive Schwierigkeiten und Gedächtnisverlust. Einfachste Sachen konnte ich nicht mehr oder hatte ich vergessen – beispielsweise wie man ein PDF an eine E-Mail anhängt.»

Im März 2021, also ein Jahr später gestand man ihr endlich zu: Sie hat Long Covid. Jetzt geht es ihr besser, kann sich wieder ein paar Stunden am Stück konzentrieren. Aber sie werde nicht mehr sein wie früher. «Für andere mag es einfach ein Punkt in der Biografie sein, für mich ist es eine neue Realität, ein neues Leben. Ich lerne jetzt Deborah 2.0 kennen, die ihr Leben anders aufbauen und mit ihrer Energie nachhaltiger umgehen muss.»

Arbeiten im Schlaf

Vor Kurzem hat Meister ein paar Drehtage für einen Schweizer Spielfilm hinter sich gebracht. Das ging gut. Aber Schwierigkeiten mit dem Atmen hat sie immer noch, sie wird medizinisch deswegen betreut. Asthma-Sprays kommen zum Einsatz. Sie muss ihre Belastbarkeit neu aufbauen. «Es gibt gute und weniger gute Tage. Ich brauche mehr Schlaf und Erholung. Wandertouren kommen momentan nicht infrage und ich teste mich auch sonst nicht mehr aus. Jetzt bin ich immer die Erste, die bei einer Party nach Hause geht.»

Schlafen kann sie nicht immer gut. Aber das hat auch mit dem «Lucid Dreaming» zu tun, wie sie ihre Gabe nennt, beim Einschlafen, aber auch im Wachzustand, träumen und sich Geschichten ausdenken zu können. Was sie sieht und spürt, kann sie im Hirn gleichzeitig inszenieren, was ihr dann tagsüber bei der Niederschrift ihrer Ideen hilft.



So hat sie innerhalb eines Jahres alle acht Episoden ihrer dystopischen Serie um eine junge Frau, die nicht ins System passt, geschrieben. «Ich sass immer im gleichen Café, um da zu schreiben. Und da ich offenbar dabei Grimassen zog, war ein Produzent, der auch immer in diesem Café arbeitete, gespannt auf das Endprodukt.»

Schliesslich bot er sich als Produzent an. Sie bekam einen Manager und Türen fingen sich an zu öffnen. Plötzlich war sie in Neuseeland, bekam eine Tour beim Studio von Peter Jackson und traf sich mit Vertreter*innen der Filmkommission. Sie stellte ihr Projekt bei Warner Bros. vor und selbst die Casting-Leute, die ihr vor Jahren beim «Hobbit»-Casting die kalte Schulter zeigten, waren interessiert. Aber jetzt sind grosse neue Projekte wegen Corona vorderhand auf Eis gelegt.

Zurück zum normalen Alltag

Und so konzentriert sich die aus Küsnacht am Zürichsee stammende Schauspielerin momentan auf ihre Schüler*innen. Sie hilft Schauspieler*innen mit der amerikanischen Aussprache und sich in der internationalen Szene zurechtzufinden. «Es ist eine grosse Befriedigung, sie dann an den Abschlussfeiern zu sehen», so Meister. «Ich kann für sie die Person sein, die ich wünschte, ich hätte am Anfang als Unterstützung gehabt.»

Nebenbei betätigt sich Deborah Meister auch lustvoll als eine Art Lady Whistledown aus dem Netflix-Hit «Bridgerton» und schreibt einen anonymen Dating-Blog: «Es sind Geschichten, die ich selber erlebt habe und die ich enttabuisieren will.»

Im März 2022 werden ein Jahr seit der Long-Covid-Diagnose und zwei Jahre seit der Krankheit verstrichen sein. Was erhofft sie sich also für den nächsten Frühling? «Ich hoffe, es ist alles ruhiger und gelassener und ich kann an Projekten arbeiten. Ich wäre dann gerne beim Dreh in Neuseeland, aber ich bin auch glücklich, wenn ich in einem Café sitze und schreibe.» Und lachend fügt sie hinzu, dass sie auch noch persönliche Ziele hat.

«Ich möchte eine Familie und suche mir dazu noch die richtigen Bausteine.»