Mann mit Nagellack «Spannender als altbackene Macho-Kultur»

Von Carlotta Henggeler

14.8.2021

Måneskin, Harry Styles und Lars Eidinger stehen auf Nail-Design. Ist der Nagellack am Manne als Gender-Revolution zu verstehen? «blue News» hat bei Style-Papst Jeroen van der Roijen und dem Schweizer Popstar Crimer nachgefragt. 

Von Carlotta Henggeler

14.8.2021

Mit seinen bunten Nägeln hat Nemo eine Diskussion im Netz losgetreten. «Irritiert dich das oder findest du das total normal?», fragte etwa SRF3 auf Facebook seine Gefolgschaft. Der Lack am Mann ist keine neumodische Erscheinung, wie die obige Bildergalerie zeigt. 

Erlebt aber mit Stars wie Harry Styles oder Italo-Rapper Fedez eine Renaissance. Fedez, Ehemann von Star-Influencerin Chiara Ferragni, hat diesen Frühling mit einer Beauty-Firma eine eigene Nagellack-Linie für Männer lanciert. Chanel bietet nicht nur Lack an, der Kosmetikriese hat eine ganze Linie für die Pflege männlicher Nägel auf den Markt gebracht.

Gender-Themen kommen wieder auf

«blue News» hat bei Stil-Experte Jeroen van Roijen nachgefragt, wie er den Nagellack-Trend einschätzt. 

Harry Styles, Lars Eidinger, die Måneskins, Crimer und jetzt auch Nemo: Erlebt die Manniküre gerade ein Revival?

Es sieht so aus – wobei ich nicht genau weiss, ob es ausserhalb der Gothic-Szene jemals ein grösserer Trend für Männer war. Offenbar findet eine junge Generation von Männern Spass am Spiel mit den Stereotypen.

Wieso sehen wir gerade jetzt wieder mehr lackierte Männerhände?

Die ganze Gender-Thematik ist derzeit stark in Bewegung: Man hinterfragt stereotype Zuordnungen und Merkmale, kapert diese mitunter – auch als Zeichen dafür, dass man sich mit diesem bedeutenden gesellschaftlichen Wandel aktiv befasst.

«Ein langweiliger Bürolist mittleren Alters irritiert mit Nagellack wohl nur»

Über Nemos Nägel haben Sie gesagt, es sei eine Lust an einer gewissen Provokation. Sind Männer mit Nagellack quasi die neue Version der Frauen in Miniröcken aus den 60ern und 70ern? Der Minirock war ja eine Revolution für mehr Freiheit und gegen eine einengende und starre Gesellschaft.

Mit dem Minirock, der seinerzeit wie eine Bombe einschlug und ein Massenphänomen war, kann man Männer mit lackierten Nägeln nicht vergleichen. Das spielt viel mehr in einer Nische, und es hat auch nicht dieselbe Wucht und Bedeutung wie der Minirock in seiner Zeit. Aber klar: Nagellack am Mann ist ein Zeichen gegen betonierte ästhetische Vorstellungen.

Ist der Nagellack bei Männern auch ein Statement für eine neue Gender-Diskussion? Quasi: Auch Mann kann alles tragen und tut es auch. Denn Mode ist Kunst und in der Kunst gibt es keine Grenzen.

Mode ist keine Kunst, allenfalls Kunsthandwerk. Und Nagellack ist zwar Styling, aber keine Mode. Da würde ich etwas schärfer abgrenzen. Aber natürlich sagt ein Mann, der Nagellack trägt: Seht her, ich probiere Neues aus, gehe mit der Zeit, spiele mit den Beschränkungen, welche die Gesellschaft mir aufzwingen will – ich definiere mich anders, freier und jeder soll das sehen.

Gefällt Ihnen dieser Trend?

Ich finde es gut, wenn Männer so etwas tun – es muss halt zum Typ passen. Ein langweiliger Bürolist mittleren Alters irritiert mit Nagellack wohl nur, wogegen ein junger, urbaner Styler damit gekonnt ein Zeichen setzt. Ich finde solche Bewegungen auf jeden viel spannender als diese ganze altbackene Macho-Kultur, die bei vielen Jugendlichen ja auch ein grosses Ding ist.

Crimer: «Man muss einen eigenen Kopf haben»

Woher kommt deine Freude an der Man(n)iküre?

Ich hab mir schon als kleiner Bub gerne die Nägel lackiert. Meine Mutter trug immer rot und hat mir dann nach ihrem auch einen Abstrich verabreicht. Jeweils nur an einer Hand. Über die letzten Jahre habe ich sie mir immer selbst angemalt, mal schwarz, mal pastell, dann dachte ich mir plötzlich: warum nicht mal professionell die Nägeli machen lassen. Ich hab ein Studio in Bern gefunden mit dem Namen Kartoffellack, das wirklich coole Designs macht. Flammen, Tribals in Kombo mit Chromstahl Lack und so Zeugs. Ich hab dann gleich die Verlängerung ausprobiert, wenn ich schon nach Bern gepilgert bin. Und habs regelrecht geliebt.

Siehst du deinen Look als ein Gender-Statement?

Nopes. Wir alle haben Nägel, warum soll ich sie mir nicht anmalen? Es ist einfach ein Fashion-Accessoire und soll weder männlich, weiblich oder sonst wie wirken. Es ist genauso wenig ein Statement, wie wenn ich mich morgens dazu entscheide, rosa Sportsocken zu tragen.

Jerome van Roijoen sagt über Nemos Look: Nagellack bei Männern deutet darauf hin, dass man es mit jemandem zu tun hat, der seinen eigenen Kopf hat, der sich wenig vorschreiben lässt, der Lust hat an einer gewissen Provokation. Einverstanden?

Hmm, ich will damit niemanden provozieren. Ich find's einfach extrem schön. Ich selbst fühle mich ja auch nicht angegriffen, wenn jemand einen verrückten Style zelebriert. Ich finde das vor allem spannend und inspirierend und denke mir: was für eine Legende! Aber ja, man muss einen eigenen Kopf haben, weil die schrägen Blicke kommen, aber daran gewöhnt man sich.