Interview Gillian Anderson: «Ich würde beim Retten der Welt tonnenweise Fehler machen»

Von Marlène von Arx, Los Angeles

13.11.2020

Königin Elizabeth II. bekommt in «The Crown», das Kronjuwel unter den Netflix-Serien, eine neue Widersacherin: Margaret Thatcher. Gillian Anderson über die Verwandlung in die britische Premierministerin, und wieso sie es nie bereut hat, Hollywood den Rücken zu kehren.

Gillian Anderson, verfolgen Sie, was bei den Royals läuft – wenigstens, wenn Sie beim Coiffeur oder Zahnarzt durch die Magazine blättern?

Nein, ich glaube, ich habe überhaupt noch nie in einem Magazin etwas über die Royals gelesen.

Jetzt spielen Sie aber Margaret Thatcher in der neuesten Staffel von ‹The Crown›. Dafür mussten Sie sich mit den Windsors auseinandersetzen. Wie war insbesondere die Beziehung zwischen der Premierministerin und Königin Elizabeth II.?

Sie hatten gemein, dass sie beide Frauen in einer Männerwelt waren. Sie hatten beide Kinder und ein grosses Pflichtbewusstsein. Aber es gab auch heftige Auseinandersetzungen. Dass beispielsweise Thatcher die Sanktionen gegen das Apartheid-Regime in Südafrika nicht unterstützen wollte, ging der Königin gegen den Strich, was sie auch publik machte. Das gab es vorher nie. Das verärgerte und verletzte Thatcher sehr.

Wie fühlten Sie sich, als Sie sich im Spiegel zum ersten Mal als Margaret Thatcher sahen?

Es war aufregend und etwas schauerlich. Es war ein langer Prozess, bei dem viele Einzelteile zusammenkommen mussten – die Perücke, das Make-up, die Kleider, ein gepolsterter Bodysuit. Zum ersten Mal wurde alles für den Kameratest zusammengeführt. Danach hatten wir alle noch Änderungswünsche.

Thatcher sagt in ‹The Crown›, sie arbeite nicht gern mit Frauen. Sie seien zu emotional …

Stimmt, sie hat in den elf Jahren als Premierministerin nur eine einzige Frau ins Kabinett geholt.

Welche Erfahrung haben Sie bei der Zusammenarbeit mit Frauen gemacht?

Ehrlich gesagt: Gemischte, was mich überrascht, denn ich bin gern mit Frauen zusammen und mag ihnen ihren Erfolg gönnen. Aber ich habe mit Frauen zu tun gehabt, die sich eine Härte angeeignet haben, die nicht ihrem Naturell entsprach – wohl, weil sie beim Aufstieg nicht gehört wurden. Ich hoffe, diese Attitüde verschwindet, je mehr Frauen in leitenden Positionen sind.

Was haben Sie bei der Vorbereitung auf die Rolle über die umstrittene Premierministerin erfahren, das Sie überraschte?

Dass sie für Journalisten und Politiker Tee und anderes selber kochte, wusste man, aber die BBC hat vor einem Jahr einen neuen Dokumentarfilm ausgestrahlt, der ähnliche unbekannte Seiten und unbeobachtete Momente zeigte. Deshalb habe wohl auch ich heute mehr Verständnis für sie.

Und?

Ich habe so auch viel über ihre Kindheit und die Beziehung zu ihrem Vater erfahren, von dem sie gelernt hat, hart zu arbeiten. Sie sah ihn als Regierungsrat Reden halten und Wahlen verlieren. Das prägte sie sehr. Ebenso hatte ihr methodistischer Glaube einen grossen Einfluss auf ihren Charakter, und wie sie das Land führte.

Sie sind Amerikanerin, aber eine Weile in England aufgewachsen. Sie waren damals noch zu jung, aber hätten Sie Margaret Thatcher gewählt?

Das ist eine gute Frage. Hätte ich Thatcher gewählt? So wie die Situation damals war, wohl kaum.

«Ich hatte eine komplizierte Beziehung zum Showbusiness
in Hollywood.
»

Peter Morgan, der Serien-Schöpfer von ‹The Crown›, ist seit vier Jahren Ihr Lebenspartner. Haben Sie ihn bezirzen müssen, um die Rolle zu bekommen?

Ich glaube, sein Casting Director hat mich vorgeschlagen und so denke ich, war es eher ein normaler Prozess als ein persönlicher Gefallen. Wir vereinbarten dann, dass wir nicht über ‹The Crown› reden: Ich durfte keine Kommentare über seine Drehbücher und er keine über meine Performance machen. Wir schafften das sogar – was eigentlich ein Wunder ist, denn wir können normalerweise beide nicht mit unseren Meinungen zurückhalten.

Wie haben Sie den zweifach oscarnominierten Autor überhaupt kennengelernt?

Durch die Schauspielerin Vanessa Kirby. Sie spielte meine Schwester in ‹A Streetcar Named Desire› auf der Bühne und in ‹The Crown› verkörperte sie die junge Prinzessin Margaret. Sie meinte, sie wolle mir mal Pete vorstellen. Ich winkte immer ab, weil ich dachte, er sei zu vornehm und gebildet für mich. Ich bin ja eher ungeschickt und einfältig. Aber sie meinte, er sei auch eher schräg. So kam es dann einmal zu einer gemeinsamen Mahlzeit.

Spannend. 

Ja, und der Witz: Es gibt ein Foto von uns von viel früher – vermutlich war es die Premiere von ‹The Last King of Scotland›. Er schrieb das Drehbuch, ich war im Film. Wir waren am selben Ort, aber nahmen einander nicht wirklich wahr. Wir waren damals auch beide mit anderen Partnern zusammen und ich hochschwanger.

Sie sind nach dem Erfolg der ‹Akte X› quasi aus Hollywood geflüchtet und in Ihre alte Heimat Grossbritannien zurückgezogen. Wie hat das Ihre Karriere beeinflusst?

Es haben viele Leute nicht verstanden, wieso ich aus Hollywood verschwunden bin. Auch meine Agenten nicht. Abgesehen davon, dass ich immer dachte, dass ich eines Tages nach England zurückkehren würde, hatte ich eben wirklich eine komplizierte Beziehung mit dem Showbusiness in Hollywood und wollte nicht dauernd daran denken. Und was ich beruflich machen wollte, fand auch mehr in London statt als in Los Angeles.



Wie meinen Sie das?

Nach neun Jahren mit der Serie wusste ich nicht mehr, ob ich überhaupt noch auf einem Set sein wollte. Denn was man so über Hollywood in Filmen sieht, hat etwas Wahres. Ich hasste es, so jung so berühmt zu sein. Ich kam nach London und trat auf der Bühne auf und drehte das Kostümdrama ‹The Bleak House› für die BBC – das war eine viel ruhigere, bodenständigere und ehrlichere Welt. Jetzt habe ich etwas mehr Distanz und kann ein Projekt wählen oder nicht. Manchmal habe ich das Gefühl: Jetzt geht es erst richtig los. Aber damals folgte ich richtigerweise dem, was in meiner Natur lag. Ich kann das nur jedem empfehlen.

Die vierte Staffel von «The Crown» läuft ab 15. November auf Netflix.

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