Kommissarin Odenthal im Horror-Hotel Lena Odenthal im Horror-Hotel: So verrückt war der «Tatort: Waldlust»

tsch

4.3.2018

Wahnsinn, Liebe, Enthusiasmus: All das steckte im neuen Odenthal-«Tatort». Abermals alles andere als ein Krimi von der Stange. Aber im Walde, da scheiden sich auch die Geister ...

Die Macher des grandios gefloppten Impro-«Tatort»-Krimis «Babbeldasch» haben wieder zugeschlagen. Wie vom schrägen Kreativgespann Regisseur Axel Ranisch und Autor Sönke Andresen nicht anders zu erwarten, schlug auch ihr zweiter Lena-Odenthal-Fall völlig aus der Art. Der brachiale Gruselfilm namens «Waldlust», der sich zum grössten Teil in einem abgelegenen Albtraum von einem Tagungshotel abspielte, kam auch diesmal weitgehend ohne Drehbuchdialoge aus und brach mit den Sehgewohnheiten am Sonntagabend. Nun scheiden sich ein weiteres Mal die Geister: War das Kunst, oder kann das weg?

Was war los?

Kopper (Andreas Hoppe) ist weg, die Mordkommission Ludwigshafen muss sich neu finden. Für Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Konsorten stand tief im Nirwana des verschneiten Schwarzwaldes eine Teambuilding-Massnahme auf der Agenda. Doch was mit einem fröhlichen «Wochenend und Sonnenschein» begann, entpuppte sich als Albtraum. Schon in gastronomischer Hinsicht: Das Tagungshotel «Lorenzhof» war ein renovierungsbedürftiger alter Kasten mit einem vierschrötigen Gastgeber, an dem sich auch die Rachs, Rosins und Bumanns die Zähne ausbeissen würden. Derweil ein Schneesturm tobte, bekamen es Lena und Co. in dem morbiden Gemäuer mit Abgründen zu tun – und mit einem 30 Jahre alten Mordfall. Der Hotelwirt Humpe (Heiko Pinkowski) sass sein halbes Leben lang wegen eines Verbrechens im Knast, das er, was immer offensichtlicher wurde, nicht begangen hat. Weil der tatsächliche Täter nachvollziehbarerweise etwas gegen neuerliche Ermittlungen hatte, wurde nichts aus dem Offsite Meeting mit Gesprächskreisen und Yoga. Für Lena ging es um Leben und Tod.

Ergab die Story Sinn?

Nur zum Teil. Natürlich war das alles dreist an den Haaren herbeigezogen: Warum landete die «Tatort»-Crew ausgerechnet in diesem miesen Witz von einer Tagungsstätte? – Doro (Eva Bay), die psychisch auffällige Nichte des Hotelbetreibers, trickste sich so eben mal die Kripo ins Haus – auf dass sich die Ermittler um den alten Fall ihres knorrigen Onkels kümmern. Sie wollte Gerechtigkeit und bekam sie schliesslich auch – aber zu einem hohen Preis. Geschickt erzählt wurde das: Der Zuschauer erfuhr die Hintergründe in kleinen Dosen über eine Rahmenhandlung, die über eine zweite Zeitebene eingezogen wurde: Der ungemütliche Ausflug lag schon ein paar Wochen zurück, in der Jetztzeit sass Humpe bei Johanna Stern (Lisa Bitter) im Verhörraum und gab scheibchenweise Zusammenhänge preis.

Was war so besonders?

Wo soll man anfangen: beim fragwürdigen Konzept eines gastronomischen Betriebes, in dem der Gemüseeintopf mit Menschenknöchelchen serviert wird, beim Pfälzer Freischnauze-Geplapper oder doch eher beim schrägen Figurenensemble? Neben den Gastgebern, dem grobschlächtigen Humpe und seiner durchgeknallten Nichte war da noch das von den Klasseschauspielern Juergen Maurer und Christina Grosse verkörperte Provinzpolizistenpärchen, das ein dunkles Geheimnis hütete.

Viel skurriler war der Auftritt der hochbetagten 30er-Jahre-Diva Lilo Viardot (Ruth Bickelhaupt, Jahrgang 1921), die irritierenderweise in feinster Abendrobe zum Dinner erschien und mit einer Balletteinlage glänzte. Aussergewöhnlich war auch die Bildsprache: Während das kammerspielartige Geschehen im Hotel wirkte wie eine Dokusoap, in die sich ein paar echte Schauspieler verirrt haben, sahen manche Aussenaufnahmen aus wie im Gruselkino aus Hollywood. Sehr seltsam. Aber eben auch sehr kreativ.

Wie waren die Ermittler in Form?

Nicht nur der Zuschauer wähnte sich manchmal wie im falschen Film, sondern auch die Kommissarin. Lena Odenthal sprach in dem Fall, in den sie zunächst partout nicht hineingezogen werden wollte, nicht nur einmal die pure Verzweiflung aus den Augen. Für die junge Johanna Stern hingegen war die erste Ermittlung nach der Ära Kopper eine Bewährungsprobe, die sie mit Bravour bestand. Zum ersten Mal hatte man den Eindruck, dass im Ludwigshafen-«Tatort» tatsächlich etwas Neues zusammenwachsen kann.

Schön war auch, dass den guten Seelen des Kommissariats, Frau Keller (Annalena Schmidt) und Peter Becker (Peter Espeloer), mehr Raum denn je geboten wurde, ihre Lebensweisheiten im Pfälzer Idiom zum Besten zu geben. Auch wenn die beiden Schauspieler improvisierten bis zur Schmerzgrenze: Ohne sie wäre das triste Hotelsetting kaum auszuhalten gewesen.

Was sagt der Macher?

Axel Ranisch (34) gilt, wie auch dieser Film zeigt, nicht zu Unrecht als junger Wilder unter Deutschlands Regisseuren. Für «Waldlust» holte er einige seiner Lieblingsschauspieler zusammen. Dass die Chemie gestimmt hat, merkte man dem intensiven Stück an. Der Rest: nackter Wahnsinn. Aber warum nicht? – «Fernsehunterhaltung muss mutig sein dürfen, auch auf die Gefahr hin, den Geschmack des Publikums zu verfehlen, sonst schlafen wir alle ein, im Geiste und vor dem Fernseher», liess sich Ranisch zitieren. Toller Typ!

Wie gut war der «Tatort»?

Auch wenn nicht alles fugenfrei zusammenpasste, war dieser vor schrillen Ideen strotzende Film so drüber, dass er schon wieder gut war. Ein Ereignis mindestens auf Murot-«Tatort»-Niveau, an das man sich noch lange erinnern wird – obwohl oder gerade weil zur Abwechslung mal keine sozialen Missstände behandelt und relevante Diskurse angerissen wurden. Und auch wegen eines grandiosen Soundtracks: Komponistin Martina Eisenreich schrieb auf Grundlage des dialoglosen Drehbuchs von Sönke Andresen eine «Tatort»-Symphonie für grosses Orchester. Logisch, dass das Ganze polarisiert, aber im Gegensatz zum grenzwertigen Laientheater-Klamauk «Babbeldasch» (nur 6,35 Millionen Zuschauer) funktionierte Ranischs brachiale Gruselshow auch als Krimi. Ausserdem: So viel Liebe und Enthusiasmus – das muss man einfach honorieren. Wir geben eine Fünf plus!

Der neuste «Tatort» lief am Sonntag, 4. März, um 20.05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

Die Serien-Highlights im März
Nichts für schwache Nerven: Die bizarrsten Leichenfunde beim «Tatort»
Zurück zur Startseite