Dresden-«Tatort» im Check Werden Rettungskräfte tatsächlich öfter angegriffen?

tsch

7.2.2021

Rettungssanitäter fürchteten im Dresdner «Tatort» um ihr Leben. Aber gibt es Gewalt gegen jene, die «nur zum Helfen» gekommen sind, auch in der Realität?

Der neue Dresdner «Tatort» passte zur nasskalten Jahreszeit. Und auch zur Pandemie. Drehstart für «Rettung so nah» war der 1. März 2020. Schon nach wenigen Tagen musste der Film wegen des ersten Lockdowns für viele Wochen unterbrochen werden. Fast schon prophetisch führte im – logischerweise vor Corona entstandenen – Drehbuch eine Grippe-Epidemie dazu, dass sich Sachsens Hauptstadt in ein Siechenlager verwandelte.

Dennoch gab es Strangulation statt Applaus für die Rettungshelfer, von denen dieser fiese Krimi erzählte. Doch wie gefährlich lebt man als Sanitäter tatsächlich? Gibt es die im Film gezeigte Aggressivität gegen jene, die nur zum Helfen gekommen sind?

Worum ging es?

Am Dresdner Elbufer wird Rettungshelfer Tarik Wasir (Zejhun Demirov) im Fahrzeug mit einer Plastiktüte erstickt. Seine junge Kollegin Greta Blaschke (Luise Aschenbrenner) hat sich während der Tat unweit des Krankenwagens um eine Obdachlose gekümmert. Die Kommissarinnen Gorniak (Karin Hanczewski) und Winkler (Cornelia Gröschel) recherchieren in der Einsatzleitstelle des Rettungswagens, wo auch andere Sanitäter auf unterschiedliche Art mit ihrer Angst zurechtkommen müssen. Hat es jemand auf das gesamte Team oder gar einen Berufsstand abgesehen?



Worum ging es wirklich?

Auch wenn der Hass auf die Helfer im «Tatort» durch ein Einzelschicksal erklärt wurde – dass sich Rettungssanitäter heute nicht nur der Gefahr aussetzen, über rote Ampeln zu rasen oder sich mit Corona zu infizieren, sondern dass sie auch zu Opfern quasi ungerichteter Gewalt durch Menschen in Stress-Situationen werden, machte die eine oder andere Szene im «Tatort» deutlich. Offenbar konzentriert sich der Hass einer zunehmend gewaltbereiten Gesellschaft auch auf jene, die nur zum Helfen gekommen sind. So lautet zumindest die Theorie von Drehbuch-Autor Christoph Busche.

Werden Einsatzkräfte tatsächlich öfter angegriffen?

Die Ruhr-Universität Bochum befragte im Frühjahr 2017 etwa 4'500 Einsatzkräfte von Feuerwehr und Rettungsdiensten aus Nordrhein-Westfalen. 64 Prozent gaben an, in den zwölf Monaten vor der Umfrage Opfer von Gewalt geworden zu sein.

Zudem veröffentlichte das BKA, dass in Deutschland 2018 statistisch etwa 100 Angriffe auf Polizisten pro Tag stattfanden. Dass die Zahlen seit Jahren steigen, belegen diverse Statistiken. So veröffentlichte das hessische Innenministerium für 2019, dass die Zahl der Angriffe auf Rettungsdienste von 41 im Jahr 2014 auf jeweils 84 in den Jahren 2018 und 2019 angewachsen ist.

Nimmt Gewalt gegen Rettungskräfte auch in der Schweiz zu?

Laut einem Bericht der NZZ, die bei «Schutz und Rettung Zürich» recherchierte, ist die Zahl der Beschimpfungen, Drohungen und körperlichen Angriffe seit einigen Jahren konstant. Ein Sprecher berichtete 2018 von rund 300 Fällen jährlich.

Das entspricht etwa 1 Prozent der über 35'000 Einsätze pro Jahr. Als den Mitarbeitern angeboten wurde, sie dürften ein Pfefferspray für Notsituationen bei sich tragen, nahmen drei Viertel der rund 170 Sanitäter im Einsatz den Vorschlag an. Im Herbst 2019 wurde gar verkündet, dass alle Notärzte und Rettungshelfer mit schusssicheren Westen ausgestattet werden.

Wie recherchierte Drehbuchautor Busche?

«Mich interessieren geschlossene Welten und Menschen, die unter harten Bedingungen einen ebenso wichtigen wie auch körperlich und psychisch belastenden Job machen», beschreibt Drehbuchautor Christoph Busche die Motivation für seinen ersten «Tatort»-Krimi.



«Dass sie dabei auch Gewalt ausgesetzt sind, las ich im Zuge meiner Recherche immer wieder und wurde mir dann auch auf den beiden Rettungswachen, die ich mehrfach besuchen konnte, bestätigt. Ich war selbst überrascht, wie sehr dieses Thema den Betroffenen unter den Nägeln brennt. Dass man sich Stichschutzwesten wünscht und meint, Pfefferspray könnte eine sinnvolle Ergänzung der Ausrüstung sein, habe ich direkt meinen Gesprächen mit einzelnen Rettungsassistent*innen entnommen.»

Wie erklärt man sich die zunehmende Gewalt?

Oft geht die Gewalt von jenen aus, zu deren Rettung die Helfer anrücken. Drogen und Alkohol spielen dabei eine Rolle. Doch auch eine zugenommene Aggressivität in der Gesellschaft erklärt wachsende Gewaltstatistiken. Psychologen vermuten verschiedene Gründe hierfür.

Darunter die Verrohung der Diskussionskultur im Internet oder ein Kontrollverlust im eigenen Leben etwa durch Globalisierung und Digitalisierung. «Die Leute suchten sich dann Sündenböcke für ihren Frust. Dieser entlädt sich oftmals gegen Staatsdiener», sagte der Münchner Psychologe Dieter Frey dem «Tagesspiegel». Aggressive Demos gegen die Corona-Massnahmen oder Parlamentsstürmungen scheinen seine These zu belegen.

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