Ernährung Wie die Corona-Krise das Essverhalten der Schweizer verändert 

Von Sulamith Ehrensperger

23.7.2020

Weniger Fleisch, mehr Bio und selber kochen – die Pandemie hat auch Einfluss auf unser Essverhalten. Doch nicht alle kurzfristigen Entwicklungen dürften langfristig bestehen.
Weniger Fleisch, mehr Bio und selber kochen – die Pandemie hat auch Einfluss auf unser Essverhalten. Doch nicht alle kurzfristigen Entwicklungen dürften langfristig bestehen.
Bild: Spencer Davis, Unsplash

Essen vom Kurier, fleischlos glücklich, Gemüse vom Balkon? Die Coronakrise hat auch unser Essverhalten nachhaltig verändert. Ein Blick in die Zukunft mit Experte David Bosshart.

Fast Food und Dosenfutter, selber backen oder nur noch Bio: Herr Bosshart, wie hat Covid-19 unsere Ernährung (jetzt schon) verändert?

Viele unterschwellig vorhandene Trends werden durch die Corona-Krise bewusster erlebt. Flexitarier-Verhalten dürfte aufgrund der Skandale in grossen Schlachthäusern – wie in Deutschland oder den USA gesehen – weiterhin zulegen. Wir sind nicht nur, was wir essen. Wir sind vielmehr das, was das isst, was wir essen. Alternative Proteine sind Mainstream geworden. Kräuter und Gemüse auf dem Balkon oder im Schrebergarten oder Kräuterzuchtschränke in der Wohnung befriedigen romantische Bedürfnisse. Selber kochen ist mit Youtube oder Social Media viel einfacher geworden. Aber klar: Wenn man beruflich engagiert ist, wird die richtige Definition von Convenience wichtig bleiben.

Zur Person: David Bosshart
Bild: GDI Gottlieb Duttweiler Institut

David Bosshart ist seit bald 22 Jahren CEO des Gottlieb-Duttweiler-Instituts in Rüschlikon, Zürich. Das Institut ist ein unabhängiger europäischer Thinktank für Handel, Wirtschaft und Gesellschaft.

Inwiefern wird (oder ist) die Corona-Krise ein Katalysator für neue Anbauformen?

Vieles ist bereits am Laufen und verstärkt sich nun. Gesundheit, Wellness und Happiness betreffen nun alle Konsumkategorien von Freizeitradfahren und Yoga bis gesund wohnen wie auch gesund essen und trinken. Lebensmittel haben zweifellos den höchsten Kultstatus – siehe etwa Superfood-Produkte. Wie beim Fleisch ‹from Nose to Tail› gilt es nun, die ganze Wertschöpfungskette vom Anbau bis zum Konsum und der Entsorgung von Abfällen ‹gesund› hinzukriegen. Daher der Kampf gegen Monokultur, Pestizide und Bodenverschleiss.

Wir werden also auch in den Städten zu Selbstversorgern?

Zum Teil. Es wird Mischformen geben: lokaler Anbau in Stadtnähe von Bio bis Urban Farming und für die Romantik die erwähnten Schrebergärten. Die Abhängigkeit von traditioneller industrieller Landwirtschaft wird nicht ganz verschwinden, aber sie muss sich nun kontinuierlich neu legitimieren.

Haben wir hier in der Schweiz die dafür notwendige Infrastruktur und das Know-how?

Ja, es ist nicht eine Frage des Könnens, sondern des Wollens. Wir haben jahrzehntelang unsere Bauern falsch erzogen – sie können den Schalter nicht von heute auf morgen umlegen.

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Nur eine vorübergehende Zeiterscheinung – oder wird diese Krise unser Ess- und Konsumverhalten tatsächlich langfristig verändern?

Etwas nachhelfen ist immer gut. Wir sind im Wohlstand nicht nur materiell, sondern auch geistig satt und bequem geworden – ja manchmal etwas gar gleichgültig.

Werden wir zukünftig noch in den Supermarkt einkaufen gehen? Oder im Restaurant essen?

Sicher. Der Supermarkt wird für noch mehr Frische und Nähe stehen, das Restaurant für das soziale, also das fröhliche Zusammensein – genauer: das ‹Sociopleasure›, die Lust am Sozialen.

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