Lauftipps Viktor Röthlin: «Es tut mir im Herzen weh, wenn ich sehe, wie gewisse Leute rennen»

Von Sulamith Ehrensperger

11.5.2020

Demnächst werde er die Erde zum vierten Mal umrundet haben, sagt Marathon-Europameister Viktor Röthlin über sich. Seit er seine Profikarriere beendet hat, coacht er Laufbegeisterte.
Demnächst werde er die Erde zum vierten Mal umrundet haben, sagt Marathon-Europameister Viktor Röthlin über sich. Seit er seine Profikarriere beendet hat, coacht er Laufbegeisterte.
Bild: Switzerland Marathon light

Joggen ist so angesagt wie lange nicht mehr. Lauf-Apps, virtuelle Coaches und Lauf-Events boomen. Marathon-Europameister Viktor Röthlin spricht heute über sein erstes virtuelles Rennen und warum Socken und die richtigen Ziele wichtig sind.

Herr Röthlin, Sie sind mit Dario Cologna um die Wette gelaufen, weil der Grand Prix von Bern wegen Corona virtuell stattfand. Wie war das Wettlaufen per App?

Es war das erste Mal, dass ich bei einem virtuellen Rennen Vollgas gegeben habe. Auch ohne Live-Atmosphäre kam ein Wettkampfgefühl auf, als ich vor der eigenen Haustüre gestartet bin. Über den Kopfhörer hörte ich, wie schnell Dario ist, ebenso die Gesamtrangliste und wo ich mich virtuell gerade auf der Originalstrecke in Bern befand: etwa links der Bärengraben, geradeaus der Zytglogge. Das Ganze war richtig cool, aber natürlich auch anstrengend. Denn Dario legte los wie die Feuerwehr, und ich hatte keine Chance, ihm zu folgen. Schlussendlich nahm er mir drei Minuten ab, dies, obwohl ich alles gegeben habe und heute immer noch einen tierischen Muskelkater in den Beinen spüre.

Die meisten Laufevents dürften nun virtuell stattfinden, vielleicht auch Ihr Lauf im September. Welche Herausforderungen bringen virtuelle Läufe?

Der Grand Prix von Bern virtuell

Eigentlich wären am Sonntag rund 30‘000 Läuferinnen und Läufer zum GP von Bern gestartet. Doch wie so viele Events ist auch dieser der Corona-Krise zum Opfer gefallen. Dank der App «viRACE» konnten 3‘000 Laufbegeisterte an einem virtuellen Grand Prix teilnehmen. Die Strecke gilt als anspruchsvoll: Viele Kurven, Kopfsteinpflaster, permanent geht es bergauf und bergab.

Du musst dich selber quälen können. Du hast keine Unterstützung anderer Läufer, kannst dich nicht im Windschatten einhängen. Natürlich fehlen auch die Zuschauer am Streckenrand. Du bist ganz bei dir, suchst selber dein Limit. Zudem rennst du nicht auf einer abgesperrten Strecke, plötzlich geht eine Barriere runter, dann muss du eben flexibel sein. Was ich witzig fand, mir sind viele Jogger mit Kopfhörer begegnet, die signalisiert haben, dass sie am gleichen Rennen teilnehmen. Vielleicht ist der eine oder andere virtuell gegen mich angetreten. Denn gegen welche Gegner du laufen willst, kannst du auf der App selber definieren.

Während des Lockdown haben viele das Laufen für sich entdeckt. Die meisten dürfen einfach mal darauf losgerannt sein. Wie viel Technik braucht ein Jogging-Neuling?

Es tut mir manchmal richtig im Herzen weh, wenn ich sehe, wie gewisse Leute rennen. Auch wenn Laufen eine einfache Sportart ist, kann man trotzdem einiges falsch machen und sich dabei verletzen. Es ist mit dem Rennen so wie bei anderen Sportarten: Wer die Bewegungsmuster von Anfang an richtig lernt, hat enorme Vorteile. Niemand würde sich ein Tennisracket kaufen und sich gleich zum Turnier anmelden. Spätestens jetzt mit den Lockerungen der Behörden macht es also Sinn, sich ein bisschen in Lauftechnik coachen zu lassen.



Was ist das Wichtigste, damit sich leichtfüssiger läuft?

Die Arme sind die Taktgeber der Beine. Wer die Arme richtig braucht, rennt leichter. Die Ellbogen sind ein bisschen mehr als 90 Grad gebeugt, die Hände locker und der Daumen liegt auf dem Zeigefinger. Die Armbewegung kommt aus dem Schultergelenk. Wer das richtig macht, findet seine Schrittlänge und Schrittfrequenz. Der häufigste Fehler sind riesengrosse Schritte, doch diese bremsen den Läufer regelrecht aus.

Ich habe beobachtet, dass zurzeit viele in ausgelatschten Turnschuhen joggen – wahrscheinlich keine gute Idee.

Mir tut es richtig weh, wenn ich sehe, in welchen Schuhen die Leute joggen. Teils nicht mal in Laufschuhen, sondern in irgendwelchen Freizeit-Sneakers. Grundsätzlich ist Laufen eine gesunde Sportart, doch schlägt bei jedem Schritt das Dreifache vom Körpergewicht auf die Gelenke. Darum ist die richtige Schrittlänge und ein passender Laufschuh an den Füssen kein Werbegag, sondern gehört zum Einmaleins für gesundes und dynamisches Laufen. Es macht Sinn, sich jetzt im Sportfachhandel beraten zu lassen, um passende Laufschuhe zu finden. Und bitte vergesst die Laufsocken nicht. Denn die Blasen an den Füssen entstehen meistens wegen der falschen Socken.

Viktor Röthlin ist einer der erfolgreichsten Schweizer Marathonläufer. Zu seinen grössten Erfolgen zählt unter anderem der Europameistertitel 2010 in Barcelona. Heute ist der Obwaldner Laufcoach, Laufexperte bei Ochsner Sport und Initiator des Switzerland Marathon light.
Viktor Röthlin ist einer der erfolgreichsten Schweizer Marathonläufer. Zu seinen grössten Erfolgen zählt unter anderem der Europameistertitel 2010 in Barcelona. Heute ist der Obwaldner Laufcoach, Laufexperte bei Ochsner Sport und Initiator des Switzerland Marathon light.
Bild: zvg

Müssen es wirklich teure Sportsocken sein oder kann ich auch meine normalen Socken fürs Laufen anziehen?

Alltagssocken haben einen sehr hohen Baumwollanteil. Diese fühlen sich zwar weich am Fuss an, saugen den Schweiss aber einfach auf. Da man bei einer Stunde Laufen circa drei Deziliter pro Fuss schwitzt, sind Alltagssocken in einem Laufschuh schon nach wenigen Minuten nass. Laufsocken hingegen weisen einen hohen funktionellen Faseranteil auf und sind anatomisch geschnitten. Durch die gute Passform entstehen keine Reibstellen, und das Fussklima bleibt trocken. Dadurch entstehen viel seltener Blasen an den Füssen und Laufen macht langfristig Spass.



Welches sind weitere Röthlin-Tipps für Neueinsteiger?

Geduldig sein. Es braucht etwa drei Monate, bis Fortschritte sichtbar sind. Viele Neojogger starten von Null auf Hundert, sind übermotiviert und laufen damit in eine Überbelastung rein. Ohne Erholung nach einem Trainingsreiz entsteht keine Verbesserung. Gerade für Einsteiger ist es wichtig, zwischen den Einheiten einen Tag Pause einzulegen. Denn Regeneration ist auch Training und gehört zum Gesamtpaket dazu, damit man fitter wird.

Wie gelingt es, den Schwung und die Motivation in die Nach-Corona-Zeit mitzunehmen?

Klar, hat man jetzt nach dem Lockdown auch wieder Lust auf anderes. Wer sich hingegen ein Ziel setzt und dieses gegenüber seinem Umfeld kommuniziert, hat grosse Chancen, dranzubleiben. Vielleicht hilft es, sich für einen Lauf oder bei einem virtuellen Rennen anzumelden. Aber auch Treppensteigen, ohne ins Schnaufen zu kommen, oder eine Kleidergrösse kleiner können Ziele sein, die motivieren, weiterzurennen.

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