Samuel Koch «‹Glücklich sein› ist nicht das Wichtigste im Leben»

Von Bruno Bötschi

23.2.2023

Ein Sturz in der TV-Show «Wetten dass..?» machte ihn zum Tetraplegiker. Schauspieler Samuel Koch spricht über seine erste Live-Show «Schwerelos», sagt, warum er oft an Grenzen geht, und verrät, weshalb er die Filme von Til Schweiger besonders gerne mag.

Von Bruno Bötschi

23.2.2023

Samuel Koch, wann waren Sie das letzte Mal Tanzen?

Oh, diese Frage hat mir noch nie jemand während eines Interviews gestellt. Ich muss kurz überlegen, was in diesem Jahr schon alles erlebt und angestellt habe … Ach, jetzt kommt es mir in den Sinn: Vergangene Woche tanzte ich mit meiner Frau zusammen in unserem Wohnzimmer.

Zu welcher Musik?

Das hört sich jetzt wahrscheinlich wie ein schlechter Propagandawitz an, aber es ist wirklich wahr: Wir tanzten zu meinem ersten eigenen Song.

Sie komponieren Lieder?

Ja. Ist es okay, wenn ich dafür etwas aushole?

Nur zu, bitte.

Meine Frau Sarah und ich besuchen Covermusik-Abende. Deshalb schenkte ich ihr vor ein paar Jahren einen Songwriting-Kurs. Seither komponiert sie selber Lieder. Als sie ihren ersten eigenen Song fertig hatte, zelebrierten wir das bei uns daheim im Wohnzimmer. Wir machten das Licht schön und fingen zusammen an zu tanzen.

Was für Musik macht Ihre Frau?

Sarah verarbeitet alte Literatur-Klassiker zu Popsongs mit orchestralem Charakter. Ende 2021 erschien ihr erstes Album mit dem Titel «Bittersüsses Finsterlicht». Seither tanzen wir regelmässig im Wohnzimmer zu ihrer Musik. Bis vor wenigen Tagen, da tanzten wir zum ersten Mal zu einem meiner Songs.

Wie kam’s?

Für meine erste Live-Show «Schwerelos – Wie das Leben leichter wird», mit der ich ab kommendem Mai auf Tournee gehe, schrieb ich einen Kindersong, der an den Spielorten jeweils von einem örtlichen Kinderchor vorgetragen werden wird. Als ich ihn zum ersten Mal meiner Frau vorgespielt habe, machten wir es so wie bei ihren Liedern auch: Licht schön und zusammen tanzen.

«Ich lernte in den letzten Jahren dankbar dafür zu sein, was alles noch geht und weniger darauf zu achten, was nicht mehr geht»: Samuel Koch.
«Ich lernte in den letzten Jahren dankbar dafür zu sein, was alles noch geht und weniger darauf zu achten, was nicht mehr geht»: Samuel Koch.
Bild: zVg

In einem Klub tanzte kürzlich ein Rollstuhlfahrer neben mir. Später kamen wir an der Bar ins Gespräch: Der Mann erzählte mir, dass er mit seinem Rollstuhl nicht ohne fremde Hilfe in die neuen SBB-Doppelstockzüge ein- und aussteigen kann …

… ach, ich wäre froh, wenn wir in Deutschland in Sachen Barrierefreiheit schon so weit wären wie ihr in der Schweiz.

Wie gehen Sie im Alltag mit Hindernissen um, die Sie an Grenzen bringen?

Es liegt in meinem Naturell, dass ich meist kein Problem damit habe, Hilfe anzunehmen. Gleichzeitig weiss ich natürlich: Hilfe annehmen fällt vielen Menschen schwerer als zu helfen. Aber ich war früher Kunstturner. Da geht ohne Hilfestellung nichts.

Turnte ich eine neue Übung, brauchte ich am Anfang immer die Unterstützung durch einen Trainer. Richtig bewusst geworden ist mir das aber auch erst nach meinem Unfall in der TV-Show «Wetten, dass..?» am 4. Dezember 2010. Da wurde mir klar, dass jede und jeder von uns mit Handicaps behaftet ist.

Der Rollstuhlfahrer aus dem Klub erzählte mir, dass es ihm – je nach Tagesform – nicht immer leicht falle Hilfe anzunehmen.

Ich verstehe Rollstuhlfahrende, denen das schwerfällt. Ich persönlich habe damit, wie gesagt, kaum Probleme. Was nicht heisst, dass ich mich nicht auch über unnötige Hindernisse ärgere. Etwa, wenn ich mit meiner Frau ins Kino oder Theater möchte, uns dann aber an der Kasse gesagt wird, dass an Rollstuhlfahrer keine Tickets verkauft werden.

Wieso das?

Weil es im Saal ein oder zwei Treppenstufen gebe, die verhindern könnten, mich in einem Notfall zu evakuieren. In solchen Situationen wird meine Frau übrigens oft noch wütender als ich.

Sie stehen auf der Bühne, spielen in Filmen mit und schreiben Bücher. Was bedeutet Ihnen die Kunst?

Ich bin über den Umweg als Kunstturner zur Kunst gekommen. Mancher wird jetzt sagen, dass dieser Sport wenig mit Kunst und viel mit Disziplin zu tun hat. Einer meiner Trainer sagte jedoch immer, wir sollten nicht vergessen, dass wir als Kunstturner gewissermassen mit unserem Körper als Kunstobjekt antreten. Kunstturnen hat eben nicht nur mit Leistung, sondern auch viel mit Leidenschaft zu tun.

Früher haben Sie als Sportler immer wieder Grenzen überschritten. Wo kommen Sie heute als Schauspieler an Ihre Grenzen?

Ach, du meine Güte, das passiert mir regelmässig. Aber ich schätze es auch, wenn mich Regisseure an Grenzen führen. Für das Theaterstück «Warten auf Godot» des irischen Schriftstellers Samuel Beckett arbeitete ich 2019 am Nationaltheater Mannheim mit Regisseurin Sandra Strunz zusammen. Ich war in der Rolle des Pozzo zu sehen. Sandra Strunz wollte immer mehr von mir. Sie wollte es wahrhaftiger, sie wollte es brutaler und sie wollte es gleichzeitig freudiger und traurig haben.

Das klingt nach Grenzerfahrung.

Damals kam ich an meine Grenzen, weil mir die Regisseurin immer wieder sagte, sie glaube mir nicht und ich könne die Rolle noch intensiver spielen – aber ich schaffte es einfach nicht. Irgendwann versuchte ich es gut zu machen. Aber sobald man es gut machen will, ist man schon gescheitert.

Warum?

Als Schauspieler sollte man es nicht gut machen, sondern einfach nur machen.

«Damals kam ich an meine Grenzen, weil mir die Regisseurin immer wieder sagte, sie glaube mir nicht und ich könne die Rolle noch intensiver spielen – aber ich schaffte es einfach nicht»: Samuel Koch.
«Damals kam ich an meine Grenzen, weil mir die Regisseurin immer wieder sagte, sie glaube mir nicht und ich könne die Rolle noch intensiver spielen – aber ich schaffte es einfach nicht»: Samuel Koch.
Bild: Uwe Anspach/dpa

Bringt Sie Ihre Live-Show «Schwerelos» auch an Grenzen?

Ja natürlich – und nicht nur die Show selbst, auch während der aktuell laufenden Vorbereitungen stosse ich immer wieder in Grenzbereiche vor. Was auch damit zu tun hat, dass ich mir extrem viel vornehme.

Ich möchte während der «Schwerelos»-Abende Werte vermitteln, die mir wichtig sind, und gleichzeitig auch einfach Unterhaltung bieten. Müsste ich das Format bezeichnen, würde ich sagen, es ist ein Valuetainment-Format. Value für Werte, Tainment für Unterhaltung.

Die «Schwerelos»-Show soll demnach das Publikum auch zum Nachdenken anregen.

Es wäre schön, wenn ich das schaffen würde. Gleichzeitig wäre mir aber ausschliessliche Wertevermittlung zu langweilig. Es soll eher eine Art Zirkus werden, in der ganz vieles möglich sein wird.

Was steht dieser Tage in Sachen Vorbereitung gerade an?

Nach unserem Gespräch treffe ich mich mit einem der Dramaturgen, um mit ihm zusammen die Texte durchzugehen. Neben poetisch-lyrischen Momenten soll es in meiner Show auch viel zu lachen geben. Weil mir das Schreiben von humoristischen Texten jedoch nicht so leichtfällt, hole ich mir da Hilfe – wie bei vielen anderen Dingen auch.

Es heisst, Sie wollen auch Action präsentieren. Wirklich wahr, dass Sie mit dem Rollstuhl über die Bühne fliegen werden?

Ich möchte noch nicht zu viel verraten. Deshalb nur so viel: Ziel ist es, dass ich nicht nur psychisch, sondern auch physisch schwerelos auf der Bühne landen werde.

Auf Ihrer Internetseite steht der Satz: «Ich Holzkopf bin mit dem Kopf gegen ein Auto gerannt und habe mir viermal das Genick gebrochen. Seitdem war es nicht immer einfach. Aber möglich.» Sind Sie stolz darauf, was Sie seit dem Unfall in der TV-Show «Wetten, dass..?» am 4. Dezember 2010 alles geleistet und möglich gemacht haben?

Entschuldigung, aber ich tue mich schwer mit dem Begriff «Stolz».

Warum?

Stolz ist die Ursache für viele ungute Dinge, die auf der Welt passieren. Deshalb verwende ich dieses Wort nicht besonders gerne. Was ich sagen kann, ist, dass ich glücklich darüber bin, dass ich bisher zwei Bestseller schreiben, über 2000 Bühnenauftritte absolvieren und in mehreren Filmen mitspielen durfte. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass mir dabei ganz viele Menschen geholfen haben – allein wäre ich niemals so weit gekommen.

Im Kinofilm «Draussen in meinem Kopf» spielten Sie 2019 einen Mann, der an Muskelschwund leidet. Sie mussten dafür Ihre eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten noch weiter reduzieren. War das schwer?

Wissen Sie was, es war das erste Mal seit meinem Unfall, dass ich gesagt bekam, ich dürfe mich nicht zu stark bewegen. Die Dreharbeiten mussten immer wieder unterbrochen werden, weil Regisseur Eibe Maleen Krebs meinte: «Samuel, du hast dich zu stark bewegt. Stop, du darfst deinen Arm nicht bewegen.» Das war eine grossartige Erfahrung.

«Stolz ist die Ursache für viele ungute Dinge, die auf der Welt passieren. Deshalb verwende ich dieses Wort nicht besonders gerne»: Samuel Koch.
«Stolz ist die Ursache für viele ungute Dinge, die auf der Welt passieren. Deshalb verwende ich dieses Wort nicht besonders gerne»: Samuel Koch.
Bild: zVg

Seit «Intouchables», der 2011 ins Kino kam, boomen Filme mit Behinderten: Haben Sie eine Erklärung dafür – also abgesehen davon, dass diese Produktionen Geld einspielen?

Als Erklärung für den ­Hype kann ich folgende leicht provokative Hypothese anbieten: Vielleicht gucken die Zuschauer*innen sich gern Filme über Menschen an, denen es schlechter geht, damit es ihnen besser geht. Und sonst? Ich finde es natürlich gut, wenn in Filmen und im Theater alle Bevölkerungsgruppen berücksichtigt werden, also beispielsweise People of Colour, LGBTIQ oder Menschen mit Einschränkungen. Aus diesem Grund bin ich auch ein grosser Fan der Filme von Til Schweiger.

Was machen seine Filme besonders für Sie?

Til Schweiger hat keine Scheu davor, sich Tabuthemen zu nähern. Es fing 1997 mit dem Roadmovie «Knockin’ on Heaven’s Door» an. Darin geht es um einen Mann, der Knochenkrebs hat, aber vor dem Sterben unbedingt noch das Meer sehen. Im Film «Barfuss» nahm er sich dem Thema «geistige Behinderung» an.  Und im Film «Honig im Kopf» …

… in dem Sie selber auch eine kleine Rolle inne haben …

… geht es um das Thema «Alzheimer». Ich finde, Til Schweiger schafft es, die schwierigen Themen, derer er sich annimmt, auf humorvolle, bewegende und berührende Art auf die Leinwand zu bringen.

Glauben Sie an Schicksal?

Wie definieren Sie Schicksal? Meinen Sie das im Sinne von Vorherbestimmung?

Ja.

Dann eher weniger. Ich betrachte das Leben als Geschenk – und empfinde es als grossen Liebesbeweis von dem, der uns Menschen geschaffen hat, dass er uns den freien Willen geschenkt hat. Zu wissen, dass ich sowieso nichts ändern kann und alles vorbestimmt ist, empfände ich als trostlos. Ich würde mich dann so wie ein biochemisches Zufallsprodukt fühlen, ähnlich einer Luftblase in einer Cola-Flasche, die irgendwann zerplatzt.

Sie glauben nicht ans Schicksal, aber an Gott?

Ich glaube an Gott und ich glaube auch daran, dass er einen Wunschplan hat für unser Leben. Gleichzeitig bin ich aber davon überzeugt, dass er gemeinsam mit uns in der Lage ist, Pläne umzustellen und die Route des Lebens neu berechnen kann. Ich halte mich dabei auch gerne an Friedrich Nietzsche, der einmal sagte: «Wer ein Warum im Leben hat, erträgt fast jedes Wie.»

Aber unter uns gesagt: Ich bewundere gleichzeitig auch die Atheistinnen und Atheisten, die glauben, dass alles, was auf der Erde geschieht, ein Versehen sei. Ich persönlich kann das aber nicht glauben.

Nach Ihrem Unfall in der Sendung «Wetten dass..?» wurden Sie ins Spital gebracht, bald wussten Sie, dass Sie für immer im Rollstuhl sitzen würden. Gab es damals Momente, in denen Sie am liebsten die Augen für immer geschlossen hätten?

Wie gesagt: Für mich ist Gott der Grund, warum ich auf der Welt bin. Aber natürlich kenne auch ich schlechte Tage. Umso wichtiger ist an solchen Tagen mein Glaube, denn gerade in einsamen Momenten spüre ich sehr intensiv, dass ich getragen werde.

Wie glücklich sind Sie?

«Glücklich sein» ist nicht die höchste Prämisse meines Lebens. Ich möchte jetzt nicht arrogant klingen, aber für mich wäre das zu klein gedacht.

Geht es noch etwas konkreter bitte?

Mir macht es mehr Freude zu überlegen, wie ich andere Menschen glücklich machen kann. Ich weiss, das tönt jetzt äusserst selbstlos. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass das Leben ein Wechselspiel ist. Gebe ich Liebe, bekomme ich auch welche zurück.

Was tun Sie, wenn Menschen Mitleid über Sie ausschütten?

Man sagt ja, geteiltes Leid ist halbes Leid. Manchmal scheinen die anderen Menschen aber mehr zu leiden als ich selbst. Mitleid bringt niemandem wirklich etwas, Mitgefühl dagegen finde ich etwas Gutes.

Ich möchte jetzt nicht zu floskelhaft klingen, aber wahr ist: Ich lernte in den letzten Jahren dankbar dafür zu sein, was alles noch geht und weniger darauf zu achten, was nicht mehr geht. Gleichzeitig möchte ich weiterhin demütig bleiben und mich nicht zu wichtig nehmen oder mich zu stark um meine eigene Achse drehen. Ich finde es viel spannender auch einmal über den Horizont hinauszuschauen und zu fragen: Wo kann ich der Welt noch nützlich sein?


Samuel Koch geht ab 4. Mai mit seinem Live-Programm «Schwerelos – Wie das Leben leichter wird» auf Live-Tournee durch 15 deutsche Städte. Termine in der Schweiz sind aktuell noch keine geplant. Was sich aber noch ändern könnte, falls die Tour im Herbst fortgesetzt wird.


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