Erfahrungsbericht Mobbing – wenn dich der Chef wortlos fertigmacht

Redaktion blue News

2.8.2024

Laut Expert*innen rechnen Erwachsene oft nicht damit, Opfer von Mobbing zu werden (Symbolbild).
Laut Expert*innen rechnen Erwachsene oft nicht damit, Opfer von Mobbing zu werden (Symbolbild).
Bild: Christin Klose/dpa-tmn

Bestrafung durch Nichtbeachtung, Gelächter hinter dem Rücken: Mobbing am Arbeitsplatz vermiest einem nicht nur die Freude am Job, sondern kann auch weitreichende gesundheitliche Folgen für die Betroffenen haben.

Redaktion blue News

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • «Wie gehe ich mit Mobbing um?» ist eine schwierige Frage. Zuerst musste ich überhaupt erkennen, dass ich gemobbt wurde.
  • Meine Mobbing-Geschichte fing damit an, dass mich einer meiner Vorgesetzten von einem Tag auf den anderen nicht mehr gegrüsst hat. Genau, ich wurde mit Nichtbeachtung bestraft.
  • Mobbing hinterlässt Spuren in der Seele und kann laut Fachleuten auch grössere gesundheitliche Probleme verursachen.
  • Heute weiss ich zudem: Wer Opfer von Mobbing wird, sollte sich umgehend professionelle Hilfe holen.

Heute weiss ich: Es war Mobbing.

Mobbing ist zum Modewort geworden. Manche Menschen behaupten, sie würden gemobbt, wenn die Chefin oder der Chef sie am Morgen nur einmal nicht richtig grüsst. Dieses Verhalten ist unfreundlich, aber noch lange kein Mobbing.

Meine Geschichte fing allerdings auch mit Grüssen respektive dem plötzlichen Nicht-mehr-Grüssen an. Am Ende konnte ich keinen richtig guten Satz mehr schreiben – für einen Journalisten ein Problem.

Dabei dachte ich immer: So etwas passiert mir sicher nicht – und wenn doch, ich wüsste mich zu wehren.

Wenn dein Vorgesetzter dich loswerden will

Stell dir vor, einer deiner Vorgesetzten will dich loswerden, obwohl du dir nichts hast zuschulden kommen lassen.

Im Gegenteil: Die Beurteilungen während der Mitarbeitergespräche fielen gut bis sehr gut aus. Du bist in der Vergangenheit auch nicht durch Illoyalität aufgefallen.

Wikipedia definiert den Begriff «Mobbing» so: «Im soziologischen Sinne beschreibt Mobbing oder Mobben psychische Gewalt, die durch das wiederholte und regelmässige, vorwiegend seelische Schikanieren, Quälen und Verletzen eines einzelnen Menschen durch eine beliebige Gruppe von Personen oder durch eine einzelne Person in überlegener Position definiert ist.»

«Wie gehe ich mit Mobbing um?» ist eine schwierige Frage. Zuerst musste ich überhaupt erkennen, dass ich gemobbt wurde. Und ja, bis ich realisiert habe, dass einer meiner Vorgesetzten hinter meinem Rücken gegen mich intrigierte, war es schon zu spät.

Jedenfalls für mich.

Ich wurde mit Nichtbeachtung bestraft

Regelmässig die Zielscheibe einer Chefin oder eines Chefs zu sein, ist auf Dauer nur schwer zu ertragen.

In meinem Fall war es kein öffentliches Blossstellen mit Worten. Ich wurde stattdessen wortlos geschnitten. Genau, ich wurde mit Nichtbeachtung bestraft.

Ich gebe zu, ich brauchte lange, viel zu lange, bis ich realisierte, was da gerade abläuft: Mobbing! Und natürlich zweifelte ich zuerst an mir, an meiner Person, meiner journalistischen Leistung, an meinen unbrauchbaren Sätzen.

Monatelang fühlte ich mich mies, schlief schlecht, hatte Bauchkrämpfe und meine Selbstzweifel wuchsen. Ja, mich hat es umgehauen, aber ich bin immer wieder aufgestanden, habe weitergemacht. Weitergearbeitet.

Ich strampelte und strampelte, drehte mich im Kreis und wollte es irgendwie wiedergutmachen, nein, besser – und scheiterte ein fürs andere Mal.

Mir fehlte der Mut und die Kraft

Mobbing hinterlasse Spuren in der Seele, sagen Fachleute, und könne ein ganzes Spektrum von Problemen verursachen. Heute weiss ich zudem: Wer Opfer von Mobbing wird, sollte sich umgehend professionelle Hilfe holen.

Ich tat es damals nicht. Ich verstummte stattdessen je länger, desto mehr. Und wurstelte mich durch. Irgendwie.

Aber komplett unterkriegen liess ich mich dann doch nicht, auch wenn mir die Kraft und der Mut fehlten, innerhalb der Firma etwas gegen meinen Vorgesetzten zu unternehmen.

Die Suche nach einer neuen Herausforderung

In den meisten Fällen von Mobbing hilft irgendwann nur die Trennung vom Aggressor. So war es auch bei mir. Ich machte mich auf die Suche nach einer neuen beruflichen Herausforderung.

Und konnte mir ein schadenfreudiges Lächeln nicht verkneifen, als mich der Vorgesetzte während einer von ihm kurzfristig einberufenen «Krisensitzung» plötzlich aus heiterem Himmel verwarnen wollte.

Nun denn, er wusste in dem Moment noch nicht, dass ich eine halbe Stunde vorher meine Kündigung per Einschreiben auf der Post abgeschickt hatte.

Meine Eigeninitiative ist möglicherweise auch der Grund dafür, dass sich bei mir im Nachgang dieser unschönen Geschichte kein Gefühl von «Ich habe verloren» breitmacht.

Tatsächlich löste sich bei mir danach rasch der Knoten – und momoll, bereits am nächsten Tag fand ich beim Schreiben wieder die richtigen Worte. Die Blockade, die mich zuvor zurückgehalten hatte, war wie weggeblasen, die Sätze flossen wieder mühelos.

Von Rache halte ich nichts

«Sollten die Yogis recht haben, wenn sie davon ausgehen, dass in dieser Welt alles mit allem zusammenhängt», schrieb Dr. Burkhard Jahn im vergangenen Jahr in seiner Kolumne «Mobbing – wenn Menschen sich gegenseitig fertigmachen» in der «Nordwest Zeitung», «dann ist es wahrscheinlich, dass das Verursachen von Mobbing irgendwann oder in irgendeiner Form beim Verursacher wieder ankommt.»

Ich mag diese Gedanken. Und das, obwohl ich diesem ehemaligen Chef grundsätzlich nichts Schlechtes wünsche.

Denn ich halte nichts von Rache, auch wenn ich heute weiss:

Es war Mobbing.

Hinweis der Redaktion: Der Autor dieses Textes bleibt anonym. Er ist Mitglied der blue News Redaktion.


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