Kolumne am Mittag Sie griffen spontan zu Schminke, und plötzlich schauten alle hin

Von Bruno Bötschi

18.8.2021

Mit mehr als 100 Millionen weltweit verkauften Alben zählen Kiss zu den erfolgreichsten Hard-Rock-Bands weltweit.
Mit mehr als 100 Millionen weltweit verkauften Alben zählen Kiss zu den erfolgreichsten Hard-Rock-Bands weltweit.
Bild: Keystone

Kiss haben die Rockmusik revolutioniert – und das Marketing. Keine andere Band hat die Selbstinszenierung so früh erkannt und perfektioniert. Eine zentrale Rolle spielten dabei das Make-up und die Zunge von Gene Simmons.

Von Bruno Bötschi

18.8.2021

Kiss wollten einfach nicht so aussehen wie andere Bands.

Die Idee, sich zu maskieren, könne allerdings keines der Bandmitglieder für sich allein beanspruchen. «Das war eine spontane Entscheidung», erzählt Gene Simmons, 71, Bassist, Songwriter und Sänger von Kiss in einem Interview mit der Wochenzeitung «Die Zeit».

Der Entscheid sei nicht etwas gewesen, worüber die Band gross intellektuell reflektiert habe – «was das Ganze natürlich letztlich ehrlicher macht».

Die Musiker von Kiss lebten Anfang der 1970er-Jahre in einem Loft in New York, «einem Loch mit Kakerlaken und Ratten». Eines Tages habe einer vorgeschlagen, in den Supermarkt zu gehen, um Clown-Make-up zu kaufen. Aus Quatsch, damit alle Bandmitglieder ihre Gesichter weiss färben und dazu Verzierungen malen konnten.

Kiss bestand auf eigene Songs

Richtig begriffen, wie genial die Schmink-Idee wirklich war, hat die Band am Abend des 13. März 1973. «Vorher hat das Make-up nichts verändert», so Simmons, «weil die Veranstalter mehr an Bands interessiert waren, die die aktuellen Charts-Hits runterleierten.»

An besagtem Abend hatte die Hard-Rock-Band in einem Club in Amityville auf Long Island eine Auftritt. Kaum seien sie auf der Bühne gestanden, habe es diesen Wow-Moment gegeben, von dem fast jede Musikerin und jeder Musiker träumt: «Wir schauten uns an und, ich glaube, jedem von uns ist aufgegangen, wie verdammt cool wir aussehen», so Simmons in der «Zeit».

«Wir schauten uns an und, ich glaube, jedem von uns ist aufgegangen, wie verdammt cool wir aussehen»: Gene Simmons.
«Wir schauten uns an und, ich glaube, jedem von uns ist aufgegangen, wie verdammt cool wir aussehen»: Gene Simmons.
Bild: Keystone

So, wie das Publikum an jenem Abend Kiss fasziniert zugeschaut habe, sei ihm und den anderen Bandmitgliedern schnell klar geworden, dass das Make-up «funktioniert». Die Menschen hätten plötzlich zu reden aufgehört und stattdessen auf die Bühne gestarrt.

Das ist bis heute so geblieben. Na ja, fast.

Zehn Jahre später, am 18. September 1983 ganz genau, passierte im Studio des Fernsehsenders MTV eine Überraschung: Zur Lancierung des Albums «Lick It Up» entfernten Kiss ihre Maskerade und präsentierten im Interview der Welt ihre ungeschminkten Gesichter.

Die Band wollte nach mehreren musikalisch flauen Jahren damit einen Neuanfang lancieren. Das Konzept ging auf: «Lick It Up» erreichte Platz 24 der US-Billboard-Pop-Charts, in der Schweizer Hitparade sogar Platz 10 und wurde der grösste LP-Hit seit dem Kiss-Album «Dynasty», das 1979 erschienen war.

Die allerletzte Kiss-Show soll im Himmel stattfinden

Wie sich später herausstellen sollte, fanden den Schmink-Verzicht aber nicht alle richtig cool: Gene Simmons, dessen lange Zunge zu Kiss gehört wie das Make-up, fand irgendwann, er sehe nicht mehr so richtig teuflisch aus. In der Folge konzentrierte er sich in den 1980ern mehr und mehr auf seine Schauspielkarriere.

Bis im Jahr 1996 die Kiss-Musiker schliesslich die Schminkstifte wieder aus der Schublade herausholten – und seither nur noch mit Make-up auftreten.

Was die Frage nach sich zieht: Werden eines Tages andere Maskierte als Kiss auftreten?

«Die Idee einer eventuellen Kiss-Show mit anderen Musikern erörtern wir bereits mit einigen Firmen. Es müssten allerdings Menschen auf der Bühne stehen, die richtig Musik machen, sonst kann es nicht Kiss sein.»

Seine allerletzte Kiss-Show werde aber sowieso nicht auf der Erde stattfinden, so Simmons in «Der Zeit», sondern im Himmel mit Gott als Publikum. «Aber Gott wird eine enorme Gage auf den Tisch legen müssen.»


Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr und manchmal auch erst um 12 Uhr bei «blue News» die Kolumne am Mittag – sie dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.