Kolumne So machst du aus Fett Muskeln

Von Jürg Hösli

12.7.2021

Mythos oder Trainingsweisheit? Nur wer im «Fettverbrennungspuls» trainiert, verbrennt Körperfett.
Mythos oder Trainingsweisheit? Nur wer im «Fettverbrennungspuls» trainiert, verbrennt Körperfett.
Bild: Getty Images

Wie wird man Körperfett am schnellsten los? Immer wieder sind es die gleichen Tipps, die sich wie ein roter Faden durch die Berichterstattung ziehen. Wir entlarven zwölf dicke Körperfett-Mythen. 

Von Jürg Hösli

12.7.2021

Es ist der heilige Gral der Fitnesswelt: die Formel, wie aus Fett Muskulatur gemacht wird. Das Problem: Es gibt viele Mythen, aber wenig Wahrheitsgehalt. Doch jede Woche erscheint ein neues Magazin, das die «absolute Wahrheit» und die grosse Lösung präsentiert. Hier ein paar Körperfett-Mythen. 

1. «Körperfett lässt sich in Muskeln verwandeln»

Der Wahrheitsgehalt dieser Aussage gleicht derjenigen, aus Butter ein Steak zu machen. Beide Gewebe haben definitiv nichts miteinander zu tun. Um Fett zu verlieren, muss es mittels verbesserter Fitness oder eines Kaloriendefizits abgebaut werden. Um Muskulatur aufzubauen, braucht es Krafttraining und genügend Kalorien. Grundsätzlich sind das also entgegengesetzte Prozesse.

2. «Eiweiss macht nicht dick»

Was die Supplement-Industrie verlauten lässt, hat leider kaum Wahrheitsgehalt. Wer über sehr viele Proteindrinks zwischendurch oder nach dem Training zu viele Kilokalorien zuführt, der sorgt für einen tollen Fettaufbau. Der Darm denkt nämlich richtig gut mit und kann aufgenommenes übermässiges Eiweiss zu Glukose aufbauen. Der Blutzuckerspiegel wird erhöht und zu Fett aufgebaut.

3. «Körperfett lässt sich lokal verbrennen»

Was der Traum vieler ist, die sich mit Unmengen Rumpfübungen quälen, funktioniert leider auch nicht. Man kann nicht lokal Körperfett verbrennen. Es wohl aber lokal reduzieren. Intervalltrainings zwischendurch, weniger Stress im Alltag und eine Ernährung nach der Formel «am Morgen wie ein Kaiser, am Mittag wie ein König und am Abend wie ein Bettler» führen beispielsweise zu weniger Bauchfett.

4. «Viel Krafttraining kann effektiv Körperfett reduzieren»

Über Jürg Hösli 
Jürg Hösli
zVg

Jürg Hösli ist Ernährungswissenschaftler und greift gerne kontroverse Themen aus Sport, Psychologie und Ernährung auf. Er ist Begründer der Ernährungsdiagnostik und der Schule für Ernährungsdiagnostik erpse in Winterthur, Zürich und Solothurn.

Was oft behauptet wird, ist ohne vorherige Überprüfung grobfahrlässig. Nicht für alle ist ein intensiver Muskelaufbau die Lösung zur Körperfettreduktion. Stellen Sie sich vor, sie bauen schnell Muskulatur auf, haben aber eine schlechte Ausdauer über ein kleines Herzkreislaufsystem. Dann wäre ihr Körper sozusagen ein Lastwagen mit Rasenmäher-Motor.

Das Herzkreislaufsystem verteilt den für die Fettverbrennung wichtigen Sauerstoff im Körper. Verschlechtert sich nun das Verhältnis zwischen Herzkreislaufsystem zur Summe der Muskulatur, reagiert der Körper mit Müdigkeit, Wassereinlagerungen, Erschöpfung, Verdauungsproblemen, entzündlichen Prozessen bis hin zu einem drohenden Herzinfarkt. Fazit: Ausdauer ist für viele Menschen sogar die wichtigere Komponente, um Körperfett zu reduzieren.

5. «Zucker ist ungesund und hemmt die Fettverbrennung»

Diese Aussage schiesst ebenfalls weit über das Ziel hinaus. Zucker zum intensiven Training lässt viele Menschen sogar wesentlich schneller regenerieren. Die Muskelzelle hat die Eigenschaft, dass sie besonders während des Trainings deutlich besser Glukose aufnehmen kann und möchte.

Wenn ich also im intensiven Training darauf achte, dass meine Speicher erst gar nicht leer werden, habe ich nachher umso weniger Lust auf Süsses, Salziges oder Brot. Die Frontalangriffe auf den Kühlschrank bleiben aus. Dazu kommt: Eine besser regenerierte Muskulatur baut deutlich weniger Körperfett auf, weil im Alltag die sogenannte Insulin-Sensitivität besser ist.

6. «Nur wer im ‹Fettverbrennungspuls› trainiert, verbrennt Körperfett»

Viele vergessen, dass wir nicht in dieser einen Stunde Training am meisten Körperfett abbauen, sondern in den restlichen 23 Stunden. Beim Training sollten wir den Körper so trainieren, dass der gesamte Stoffwechsel inklusive Herzpump-Volumen, Fliesseigenschaften des Blutes, Ökonomie der Lungenmuskulatur usw. optimiert werden.

Das bedeutet, dass wir sicher nicht immer im «Fettverbrennungspuls», der eher tief ist, trainieren sollten. Die optimale Mischung macht also den optimalen fettverbrennenden und fettabbauenden Effekt.

7. «Mit Low Carb können wir Körperfett am besten abbauen»

Insbesondere für viele Frauen ist dieser Satz komplett falsch. Viele bauen mit mehr Kohlenhydraten über den Tag verteilt wesentlich schneller Körperfett ab. Wenn eine Frau zu wenig Kohlenhydrate isst und zusätzlich in ein Kaloriendefizit gerät, erhöht dies das Hungersnot-Hormon Cortisol.

Dieses baut unselektiv Körperfett ab, ebenfalls auch in Regionen, wo dies eine Frau eher nicht möchte. Was passiert nun mit diesem Fett? Wenn es nicht verbrannt wird, weil nicht genug Sport getrieben wird, lagert es der Körper an einem anderen Ort ein. Und das macht nicht wirklich Freude. 

8. «Früchte zwischendurch hemmen die Fettverbrennung»

Auch diese Aussage ist nicht richtig. Viele Früchte und Beeren haben kaum einen grossen Einfluss auf das Speicherhormon Insulin. Genau dieses würde ja die Fettverbrennung hemmen. Sie sorgen aber für eine deutlich bessere Regeneration der Muskulatur. Und genau dies bringt wiederum einen besseren Fettabbau.

9. Je grösser das Kaloriendefizit, desto mehr nehmen wir ab

Fasten wir und befinden wir uns dadurch in einem sehr hohen Kaloriendefizit, bauen wir in den ersten Tagen das für die Gesundheit problematische Bauch- und Leberfett ab. Kurzfristig haben wir also einen sehr positiven Effekt.

Machen wir dies aber über eine längere Zeit und haben einen hohen Stressalltag, manipuliert der Körper die Fettzellen, dass diese wesentlich weniger gut abgebaut werden können. Dafür umso schneller wieder aufgebaut. Dies nennt man den Jo-Jo-Effekt. Darum sollte nie ein zu grosses Kaloriendefizit in einem Ernährungsplan umgesetzt werden.

10. «Alles, was schwabbelt, ist Fett»

Sind wir länger auf Diät, lässt sich oft beobachten, dass sich unter dem Bauchnabel besonders hartnäckiges «Fett» ansammelt. Drücken wir diese Hautfalte zusammen, ertasten wir eine hohe Weichheit. Ursache dafür ist, dass diese Region oft sehr viel Flüssigkeit sammelt, wenn zu wenig Nährstoffe zugeführt werden.

Es ist das Zeichen, dass im Körper viel Eiweiss abgebaut wird. Genau dieses Eiweiss hält normalerweise die Flüssigkeit in den Zellen, nun wandert diese aber zum Bauch. Extreme Beispiele kennen wir von stark unterernährten Kindern, die einen dicken Bauch haben als Zeichen eines massiven Eiweissmangels.

Fazit 

Körperfett hat eine eigene Geschichte. Es loszuwerden, ist leider nicht immer so einfach, wie viele sich wünschen würden. Warum, sollte uns aber klar sein: Die Fettdepots wollen uns ja in einer Hungersnot überleben lassen.

Was früher eine Hungernot war, ist heute der Alltagsstress. Bei beiden ist dasselbe Hormon (Cortisol) im Körper erhöht. Da wir in unserem Alltag einem oft immer grösser werdenden Druck ausgesetzt sind, wird das Körperfett ein gewichtigerer Begleiter. Darum kann es sicher nicht schaden, wenn wir falsche Mythen nun erkannt haben.

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In der Rubrik «Kolumne» schreiben Redaktorinnen und Redaktoren, freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von «blue News» regelmässig über Themen, die sie bewegen. Leserinnen und Leser, die Inputs haben oder Themenvorschläge einreichen möchten, schreiben bitte eine E-Mail an: redaktion.news@blue.ch