Kindermüde Wenn es Papa bereut, Vater geworden zu sein

Von Sulamith Ehrensperger

16.3.2021

Elternsein ist nicht für alle eine erfüllende Veränderung, manchmal wird es gar als falsche Entscheidung empfunden. 
Elternsein ist nicht für alle eine erfüllende Veränderung, manchmal wird es gar als falsche Entscheidung empfunden. 
Bild: Getty Images/Westend61 (Symbolbild)

Machen Kinder das Leben erst vollständig – oder wesentlich komplizierter? Ein Vater hat auf der Plattform Reddit eine Diskussion angestossen: Ob andere Eltern es jemals bereut hätten, Kinder bekommen zu haben.

Von Sulamith Ehrensperger

Darf man als Eltern zugeben, dass man sich insgeheim sein kinderloses Leben zurückwünscht? Ein Vater hat auf der Plattform Reddit eine Diskussion angestossen, als er fragte, ob andere Eltern es jemals bereut hätten, Kinder bekommen zu haben. Er liebe seine Kinder und er höre, dass er ein ziemlich guter Vater sei. Aber die meiste Zeit sei es einfach nur anstrengend, schreibt er in einem Post: «Es ist nicht so, dass ich das Um-Kinder-kümmern als qualvoll empfinde (...). Es ist nur anstrengend. Es saugt die Energie aus dir heraus, egal ob du gut darin bist oder nicht.» Auf seinen Post hin folgten fast 11'000 Reaktionen.

«Ich liebe meine Kinder und ich will, dass sie glücklich sind, und wenn jemand versuchen würde, sie mir wegzunehmen, würde ich durch die Hölle gehen, um es zu verhindern. Aber wann war ich das letzte Mal mit dem Fahrrad unterwegs? Wann habe ich mich das letzte Mal auf das Wochenende gefreut, statt es als anstrengende Plackerei zu sehen? Wann bin ich das letzte Mal ein wenig ausgeruht in den Montag gegangen, statt nur niedergeschlagen und erschöpft? Und, was ebenso wichtig ist: Wann werde ich das nächste Mal dazukommen? In fünf Jahren? In zehn? Werde ich noch jung genug sein, um es überhaupt geniessen zu können?» Er fühle sich definitiv viel öfter so, als ihm lieb sei, gibt er zu. Und damit scheint er definitiv nicht der Einzige zu sein, wie die zahlreichen Kommentare auf seinen Aufruf hin zeigen.

«Dass es ein harter Job ist, wird unter den Teppich gekehrt»

Aus manchen Kommentaren gewinnt man den Eindruck, dass noch viele weitere Eltern zweifeln – das Gefühl haben, keine guten Eltern zu sein und in der Erziehung zu versagen. «Ich beobachte, dass tatsächlich so viele Menschen blauäugig in die Elternschaft hineingehen», sagt Autorin Regula Simon, die freiwillig und unfreiwillig kinderlose Paare coacht. «Das hat damit zu tun, dass das Kinderhaben gleichgestellt wird mit intakt und komplett sein, mit gesund und glücklich sein – und niemand stellt diesen Wunsch infrage».

Kinder zu haben und eine Familie zu sein, würde gesellschaftlich als ein Ideal hingestellt. Dementsprechend würde übers Elternsein viel zu wenig gesprochen – und wenn, dann nur in höchsten Tönen. «Dass es ein harter Job ist, von dem es keine Ferien und keine Pausen gibt, wird unter den Teppich gekehrt», gibt Simon zu bedenken. Immer wieder begleitet sie als systemischer Coach und Beraterin Paare, die sich in ihrer Elternschaft plötzlich in einer Situation wiederfinden, von der sie sich eine ganz andere Vorstellung gemacht hatten.

Kinder bedeuten nicht für alle das grosse Glück

«Ich denke, die Gesellschaft muss anfangen, Kinder als eine Wahl zu akzeptieren und nicht als eine Erwartung. Ich glaube, so viele Menschen bekommen ein Kind, weil das von ihnen erwartet wird», schreibt eine Userin in der Reddit-Diskussion. Tatsächlich war das Phänomen «Regretting Motherhood» lange ein gesellschaftliches Tabuthema. Erst seit 2015 hat das Phänomen einen Namen, der auf die gleichnamige, viel beachtete Studie der israelischen Soziologin Orna Donath zurückgeht.

Sie zeigte, dass Kinder nicht für jede Frau das grosse Glück bedeuten. Die Hauptgründe dabei seien keineswegs der Nachwuchs selbst, sondern die gesellschaftliche Rolle, die Frauen auch heute noch zugewiesen wird, sobald sie ein Kind zur Welt bringen. «Regretting Fatherhood» hingegen findet bis heute vergleichsweise wenig bis keine Beachtung.

«Mein Arbeitskollege (und Freund) sagte mir neulich, dass es egoistisch ist, keine Kinder zu haben», schreibt eine weitere Userin. «Es ist besser, kein Kind in die Welt zu setzen, das man nur vielleicht liebt, als ein Kind zu haben und sich am Ende zu wünschen, man hätte es nicht.» Frauen, die bekennen, dass sie gewollt kinderlos sein wollen, würden oftmals schräg angeschaut, sagt auch Simon. Solche Reaktionen würden grosse Selbstzweifel auslösen: «Frauen ohne Kinderwunsch beginnen oft an sich selber zu zweifeln, sie fragen sich, ob mit ihnen etwas nicht stimme oder sie sich etwas vormachen. Und diese Zweifel werden von ihrem Umfeld immer wieder geschürt.»

Den Kinderwunsch vom hohen Podest holen

Sabotieren Kinder also wirklich das eigene Glück? Nein, sagen Forscher der Universität Heidelberg, aber es brauche Geduld. Eltern seien glücklicher als Kinderlose, allerdings erst, wenn der Nachwuchs ausgezogen ist, wie die Forscher im Fachblatt «Plos One» schreiben. Soweit die gute Nachricht, zumindest für überforderte Eltern.

«Ich finde es sehr wichtig, dass man die Selbstverständlichkeit des Kinderkriegens in Frage zu stellen beginnt», sagt Simon zur Reddit-Diskussion. Es sei wichtig, sich als Paar klar zu werden, welche Hoffnungen man mit dem Elternwerden verbinde. «Um sich dessen bewusst zu werden, muss man den Kinderwunsch aber erst von seinem hohen Podest herunterholen».

Eine Nutzerin der Diskussion findet versöhnliche Worte: «Ich fühle so sehr mit. Ich kenne das Gefühl, das Sie beschreiben, zu 110 Prozent. Es ist widersprüchlich sich so zu fühlen – so ausgelaugt, und dennoch so viel Liebe für seine Kinder zu empfinden.»